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Indizienprozess mit Fallstricken

Ist der Oberurseler Halil D. wirklich ein Terrorist?

Er soll einen Terroranschlag auf das Radrennen am 1. Mai 2015 geplant haben, doch mehr als Indizien liegen gegen den mutmaßlichen Islamisten Halil D. nicht vor. Auch die Verfassungsmäßigkeit der Anklage wurde nun in Frage gestellt.
Die massive Polizeipräsenz am Donnerstagmorgen rund um das Gebäude E im Gerichtsviertel ist einschüchternd, die Sicherheitskontrollen sind intensiv, eine gewisse Nervosität ist spürbar. Vor dem Gerichtssaal bilden sich Menschenschlangen. Nicht nur die Presse will den Prozessauftakt gegen den vermeintlichen Terroristen aus Oberursel sehen, auch zahlreiche Zuschauer, darunter vermutlich fünf Bekannte des Angeklagten Halil D. wollen der Verhandlung beiwohnen, letztere tragen zauselige Bärte. Auch der Angeklagte entspricht zumindest rein optisch dem Klischee eines Islamisten. Der stämmige Mann trägt eine schwarze Kluft, der buschige schwarze Bart lässt ihn deutlich älter aussehen als er ist. Seine Glatze verbirgt er mit einer Baseballkappe, er trägt blaue Sneaker mit giftgrüner Sohle. Dass er, wie die bärtigen Zuschauer auch, nicht aufstehen möchte, als die vorsitzende Richterin und die Schöffen den Gerichtssaal betreten, passt da ins Bild. Doch reicht es tatsächlich, wenn alles ins Bild passt? Das zumindest wird dieser Prozess klären müssen. Missachtung des Gerichts sei das Verhalten des Angeklagten, mahnt die Richterin. Doch Halil D. fühlt sich dem Koran verpflichtet, der es ihm verbiete vor Menschen aufzustehen. Letztlich bringt ihm das eine Ordnungsstrafe von 200 Euro oder eine Haftstrafe mit Tagessätzen à 50 Euro ein. Während der zahlreichen Unterbrechungen bleibt Halil D. dann einfach stehen, damit muss er sich nicht mehr extra erheben und das spart ihm bares Geld oder eben Haft. Halil Ds. Schwester, die von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen will, ist auch im Zuschauerraum. Sie trägt ein Kopftuch, anders als ihr Bruder steht sie im Gericht regelmäßig auf.

Wer ist Halil D.?
Der 36-jährige Mann sitzt seit dem 30. April in der JVA Frankfurt ein. In Oberursel wohnen er, seine Frau Senay D. und die zwei kleinen Kinder derzeit nicht mehr. Halil D. ist arbeitslos, erhält Sozialleistungen und hat mal Chemie studiert. Man sagt ihm den Umgang mit islamistischen Kreisen nach. Da kommen bei manchen Bürgern vielleicht schnell ausländerfeindliche Gedanken hoch. Doch Halt: Halil D. wurde in Deutschland geboren und hat einen deutschen Pass, er hat türkische Wurzeln.

Worum geht es im Prozess?
Das legendäre Radrennen rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt wurde am 30. April vergangenen Jahres wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. Kurz davor hatte die Polizei ein mutmaßlich islamistisches Ehepaar, Halil und Senay D., damals wohnhaft in Oberursel, festgenommen. Eine Mitarbeiterin eines Frankfurter Baumarktes hatte die Polizei benachrichtigt, weil ein bärtiger Mann und eine Frau im Niqab eine verdächtig große Menge Wasserstoffperoxyd in 19,9 prozentiger Konzentration erworben hatten. Es stellte sich heraus, dass Halil D. bei der Registrierung für den Kauf falsche Angaben zur Person gemacht hatte. Das chemische Mittel kann zum Bombenbau genutzt werden, Familie D. will aber damit den Schimmel im Bad bekämpft haben. Der Angeklagte war mehrfach entlang der Rennstrecke in seinem alten Mercedes beobachtet worden. Bei einer Hausdurchsuchung fand man in D.s Haus eine funktionstüchtige Rohrbombe, die angeblich 200 Nägel sowie Stahlkugeln enthielt, einen Schlagring, Spring- und Butterflymesser, unerlaubte Schusswaffen, die teilweise bearbeitet worden seien sowie mehr als 300 Patronen, Übungsgeschosse für die Panzerfaust, ein Würgeholz und ein Magazin für ein Sturmgewehr. Angeblich hat man auch 24.000 Euro Bargeld und ominöse Karteikarten gefunden, auf denen von Bomben und deren Herstellung die Rede ist. Aus diesen Indizien schlossen die Ermittler zunächst, dass Halil D. einen Terroranschlag am 1. Mai auf das Radrennen verüben wollte. Die Staatsanwaltschaft wollte sich auf das Datum und den genauen Anlass nicht festlegen, das Landgericht und das Oberlandesgericht aber befanden, dass die Hinweise auf einen ebensolchen Plan deuten würden. Laut Anklageschrift soll Halil D. Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben, die dazu geeignet sei, die Sicherheit des Staates zu gefährden und die Stoffe besorgt zu haben, die für eine Brandvorrichtung benötigt würden, um eine Straftat vorzubereiten.

Ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht?
Freilich versuchen Halil Ds. insgesamt drei Verteidiger alles, um Revisionsgründe zu schaffen. Daher wurde am ersten Verhandlungstag sowohl die Anklageschrift bemängelt als auch die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses in Frage gestellt. Doch ein richtig umstrittener Punkt ist der Paragraph 89a des StGB, Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Juristen streiten seit Langem darüber, ob es sich hierbei nicht eher um Gesinnungsstrafrecht handelt, bei dem man nicht schuldig aufgrund der Taten, sondern der Gesinnung ist. Ein Verteidiger Halil D.s kündigte daher an, eine Verfassungsbeschwerde einlegen zu wollen und beantragte das Verfahren auszusetzen.

Wie geht es weiter?
Fest steht: Die Schwester des Angeklagten sowie deren beiden Brüder und die Ehefrau von Halil D. werden von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, Halil D.s kränklicher Vater soll eigens mit Dolmetscher anreisen und der Angeklagte selbst, will sich schweigend verteidigen. Die Richterin hatte angekündigt, das Verfahren I vier Teile gliedern zu wollen: Zunächst erörterte man die Person und das Umfeld des Angeklagten, dann den Kauf der Chemikalien und die Umstände, dann die Funde der Hausdurchsuchung und letztlich alle Vorgänge rund um das Radrennen. 30 Verhandlungstage wurden bis Juni angesetzt, rund 70 Zeugen und ein Dutzend Gutachter werden vermutlich gehört werden. Der nächste Verhandlungstag ist der 25.1.
 
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21. Januar 2016, 14.35 Uhr
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