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Ein Kommentar zur bedrohten Kneipenkultur
Der Stadt ihre Kneipen!
Die Frankfurter Kneipen sind vom Aussterben bedroht. Während der Merkurist vergangene Woche forderte, die Kneipen endlich sterben zu lassen, plädiert unser Autor für den Erhalt dieses wichtigen Bestandteils unserer Kultur. Ein Kommentar.
Europa League und die Eintracht ist mit dabei – doch auch dieses Mal hat es mit der Karte für das Heimspiel nicht geklappt. Bleibt noch der Trip zum Auswärtsspiel? Auch in Zeiten von Billigfliegern und Last Minute Flügen mehr frommer Wunsch denn werktägliche Realität. Und so treibt es die mitfiebernden Enthusiasten in die traditionellen Treffpunkte, um zu jubeln, zu schreien, um wildfremden Menschen in die Arme zu fallen und den ein oder anderen Fluch abzulassen: Die Kneipen, Bars und Spelunken dieser Stadt.
Doch geht es nach Marcel Richters, gehört die profane Eckkneipe bald der Vergangenheit im Frankfurter Stadtbild an. „Lasst die Kneipen endlich sterben“, forderte der Journalist unlängst im Merkurist und stempelt die einfache Schankwirtschaft als letztes Refugium all jener in den Augen des Autors bemitleidenswerten Gestalten ab, „die auf Kneipen als niedrigschwelliges Angebot zum Zusammenkommen angewiesen sind“. Denn hinter „Butzenscheiben“ vermutet Richters nichts weniger als einen der globalisierten Welt nicht mehr angemessenen „Eskapismus“: „Die Zukunft verheißt nichts Gutes, darum setzt man sich in die Kneipe.“
Zu einfach und bequem macht es sich der Mensch, wenn er auf seinem mit ranzigem Kunstleder bezogenen Barhocker an der Theke sitzt, an der man mit einem kurzen, für die Sitznachbarn kaum merklichen, für die Person hinter dem Tresen aber umso eindringlicheren kurzen Anheben des leeren Glases noch eine weitere Runde ordern kann. Zu einfach und bequem sind für Lustfeind Richters die Bierseeligkeit und der blaue Dunst, in denen schon unzählige Liebschaften ihren Anfang und ihr Ende fanden, zahllose Runden auf die Geburt der ersten Tochter ausgegeben und die Trauer um einen geliebten Menschen für eine kurze Zeit ertränkt wurde.
Frankfurts Kneipen sterben aus. Das ist eine Entwicklung, die nicht erst in den letzten Jahren zu beobachten ist. Vom einstigen Bermudadreieck im Nordend ist schon lange nicht mehr viel übrig – „Feinstaub“, „New Backstage“ und „Le Kaschemm“ sind die letzten um die Rohrbachstraße verbliebenen Institutionen. Im Bahnhofsviertel, der einstigen Kneipen-Hochburg der Stadt, wird der an Dynamik zunehmende Verdrängungsprozess aktuell am deutlichsten: Mit der „Terminus Klause“ musste Mitte 2018 eine der letzten urigen Spelunken schließen, nachdem es 2017 schon die „Bier Brezel“ erwischt hatte. Ende des vergangenen Jahres fiel die „Pilsstube Pfiff“ der raumgreifenden Gentrifizierung zum Opfer. „Kneipensterben als Verlust von Kultur?“, fragt Marcel Richters ablehnend. Ja, ganz unbedingt.
Insbesondere in Frankfurt waren und sind die Kneipen und Spelunken Orte des kulturellen, politischen wie künstlerischen Austauschs: Der „Club Voltaire“ in der Kleinen Hochstraße bot seit seiner Gründung im Jahr 1962 Raum für politische Diskussionen und gesellschaftliche Erneuerung durch das linke Spektrum. In den 1970er Jahren traf sich die Avantgarde aus Kunst und Literatur im Oeder Weg in der Gaststätte „Bei Mentz“ – nicht folgenlos: Ein Großteil der anwesenden Zecher entstammte dem Umfeld der einstigen Redaktion des „Pardon“-Magazins, von denen später acht Köpfe unter der Bezeichnung „Neue Frankfurter Schule“ firmieren und das Satiremagazin „Titanic“ gründen sollten. Sie hatten seitdem den wohl entscheidendsten Einfluss auf die nachkriegs-deutsche Komik- und Lachkultur. Ihren Kneipenergüssen widmete die Stadt Frankfurt vor zehn Jahren mit dem „Caricatura“-Museum gar ein eigenes Museum. Und im Bahnhofsviertel galt die „Terminus Klause“ noch vor wenigen Jahren als schmuddelige Bierkneipe mit brandloch-übersäten Tischdecken, ehe sie von Frankfurter Hipstern und Städel-Schülerinnen und Schülern für sich entdeckt und zum Insider-Treffpunkt gemacht wurde. Aber auch das stets verrauchte, unweit des Campus Bockenheim gelegene „Doctor Flotte“ bietet seit Jahrzehnten seinen Gästen nicht nur Raum für feuchtfröhliche Gelage: Unzählige Generationen von Studierenden gaben sich in der holzvertäfelten Eckkneipe auf dem Weg von oder in die Universität die Klinke in die Hand, wofür Andreas Maier in seinem neusten autobiographischen Roman „Die Universität“ unlängst Zeugnis ablegte. Und an vorlesungsfreien Tagen ist dieser Ort dann wieder das Zuhause jener Gesellinnen und Gesellen, die gerne einmal in euphorischstem Jubel das Bier durch die Spelunke schwappen lassen, wenn der Frankfurter Eintracht in der zweiten Minute der Nachspielzeit doch noch der nicht mehr für möglich gehaltene Ausgleich gelingt.
Kneipen, Spelunken und Löcher sind Orte der gleichberechtigten Geschichten und Erzählungen, für die es in einer von Gentrifizierung immer stärker geprägten Großstadt wie Frankfurt keine Alternativen mehr gibt. Und wenn Marcel Richters den Kneipenbesucher*innen eine hedonistische „Lust am Morbiden“ in der Suche nach Selbstbestätigung durch die umgebenden Zecher – „So schlimm wie ‚die‘ wird es uns ja selbst nie treffen“ – unterstellt, so verkennt der Autor das emanzipative Moment eines Tresens in Kombination mit einem großen Bier und einem Korn.
Die Forderung nach dem Aussterben der Kneipen und der Verdrängung ihrer Besucherinnen und Besucher – ja, wohin eigentlich? – mutet in diesem Lichte wie der pure Klassenhass an. Dass Richters dies bei Mango-Ingwer-Schorle und Schwarzwald-Gin-Tonic in einer hippen Nordend-Bar nicht in den Sinn kommen konnte, verwundert keineswegs.
Doch geht es nach Marcel Richters, gehört die profane Eckkneipe bald der Vergangenheit im Frankfurter Stadtbild an. „Lasst die Kneipen endlich sterben“, forderte der Journalist unlängst im Merkurist und stempelt die einfache Schankwirtschaft als letztes Refugium all jener in den Augen des Autors bemitleidenswerten Gestalten ab, „die auf Kneipen als niedrigschwelliges Angebot zum Zusammenkommen angewiesen sind“. Denn hinter „Butzenscheiben“ vermutet Richters nichts weniger als einen der globalisierten Welt nicht mehr angemessenen „Eskapismus“: „Die Zukunft verheißt nichts Gutes, darum setzt man sich in die Kneipe.“
Zu einfach und bequem macht es sich der Mensch, wenn er auf seinem mit ranzigem Kunstleder bezogenen Barhocker an der Theke sitzt, an der man mit einem kurzen, für die Sitznachbarn kaum merklichen, für die Person hinter dem Tresen aber umso eindringlicheren kurzen Anheben des leeren Glases noch eine weitere Runde ordern kann. Zu einfach und bequem sind für Lustfeind Richters die Bierseeligkeit und der blaue Dunst, in denen schon unzählige Liebschaften ihren Anfang und ihr Ende fanden, zahllose Runden auf die Geburt der ersten Tochter ausgegeben und die Trauer um einen geliebten Menschen für eine kurze Zeit ertränkt wurde.
Frankfurts Kneipen sterben aus. Das ist eine Entwicklung, die nicht erst in den letzten Jahren zu beobachten ist. Vom einstigen Bermudadreieck im Nordend ist schon lange nicht mehr viel übrig – „Feinstaub“, „New Backstage“ und „Le Kaschemm“ sind die letzten um die Rohrbachstraße verbliebenen Institutionen. Im Bahnhofsviertel, der einstigen Kneipen-Hochburg der Stadt, wird der an Dynamik zunehmende Verdrängungsprozess aktuell am deutlichsten: Mit der „Terminus Klause“ musste Mitte 2018 eine der letzten urigen Spelunken schließen, nachdem es 2017 schon die „Bier Brezel“ erwischt hatte. Ende des vergangenen Jahres fiel die „Pilsstube Pfiff“ der raumgreifenden Gentrifizierung zum Opfer. „Kneipensterben als Verlust von Kultur?“, fragt Marcel Richters ablehnend. Ja, ganz unbedingt.
Insbesondere in Frankfurt waren und sind die Kneipen und Spelunken Orte des kulturellen, politischen wie künstlerischen Austauschs: Der „Club Voltaire“ in der Kleinen Hochstraße bot seit seiner Gründung im Jahr 1962 Raum für politische Diskussionen und gesellschaftliche Erneuerung durch das linke Spektrum. In den 1970er Jahren traf sich die Avantgarde aus Kunst und Literatur im Oeder Weg in der Gaststätte „Bei Mentz“ – nicht folgenlos: Ein Großteil der anwesenden Zecher entstammte dem Umfeld der einstigen Redaktion des „Pardon“-Magazins, von denen später acht Köpfe unter der Bezeichnung „Neue Frankfurter Schule“ firmieren und das Satiremagazin „Titanic“ gründen sollten. Sie hatten seitdem den wohl entscheidendsten Einfluss auf die nachkriegs-deutsche Komik- und Lachkultur. Ihren Kneipenergüssen widmete die Stadt Frankfurt vor zehn Jahren mit dem „Caricatura“-Museum gar ein eigenes Museum. Und im Bahnhofsviertel galt die „Terminus Klause“ noch vor wenigen Jahren als schmuddelige Bierkneipe mit brandloch-übersäten Tischdecken, ehe sie von Frankfurter Hipstern und Städel-Schülerinnen und Schülern für sich entdeckt und zum Insider-Treffpunkt gemacht wurde. Aber auch das stets verrauchte, unweit des Campus Bockenheim gelegene „Doctor Flotte“ bietet seit Jahrzehnten seinen Gästen nicht nur Raum für feuchtfröhliche Gelage: Unzählige Generationen von Studierenden gaben sich in der holzvertäfelten Eckkneipe auf dem Weg von oder in die Universität die Klinke in die Hand, wofür Andreas Maier in seinem neusten autobiographischen Roman „Die Universität“ unlängst Zeugnis ablegte. Und an vorlesungsfreien Tagen ist dieser Ort dann wieder das Zuhause jener Gesellinnen und Gesellen, die gerne einmal in euphorischstem Jubel das Bier durch die Spelunke schwappen lassen, wenn der Frankfurter Eintracht in der zweiten Minute der Nachspielzeit doch noch der nicht mehr für möglich gehaltene Ausgleich gelingt.
Kneipen, Spelunken und Löcher sind Orte der gleichberechtigten Geschichten und Erzählungen, für die es in einer von Gentrifizierung immer stärker geprägten Großstadt wie Frankfurt keine Alternativen mehr gibt. Und wenn Marcel Richters den Kneipenbesucher*innen eine hedonistische „Lust am Morbiden“ in der Suche nach Selbstbestätigung durch die umgebenden Zecher – „So schlimm wie ‚die‘ wird es uns ja selbst nie treffen“ – unterstellt, so verkennt der Autor das emanzipative Moment eines Tresens in Kombination mit einem großen Bier und einem Korn.
Die Forderung nach dem Aussterben der Kneipen und der Verdrängung ihrer Besucherinnen und Besucher – ja, wohin eigentlich? – mutet in diesem Lichte wie der pure Klassenhass an. Dass Richters dies bei Mango-Ingwer-Schorle und Schwarzwald-Gin-Tonic in einer hippen Nordend-Bar nicht in den Sinn kommen konnte, verwundert keineswegs.
2. Januar 2019, 10.54 Uhr
Moritz Post
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20. Januar 2025
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