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Bahnhofsviertel

Der Prenzlauer Berg lässt grüßen

Ist das Glas halbleer? Der Fotograf, Stadtführer und Autor Ulrich Mattner sieht das Bahnhofsviertel auf dem Weg weg vom Szene- hin zum stinknormalen Stadtteil. Nicht erst seit Flugblätter gegen Lärm verteilt werden.
Ein Gespenst geht um im Bahnhofsviertel. Erst schwebte es leise ein. Jetzt aber rumort es durch den Stadtteil, reißt Altes nieder und baut Neues auf. Es zähmt urbanen Wildwuchs, um ihn zum schicken Lebensraum für Besserverdienende aufzuhübschen. Das Gespenst heißt Gentrifizierung: Erst sanierten Hauseigentümer heruntergekommene Gründerzeitbauten, jetzt errichten Investoren komplette Luxusresidenzen – etwa am „Prachtboulevard“, wie die Kaiserstraße in einer edlen Verkaufsbroschüre geadelt wurde. Die öffentliche Hand kurbelte die Aufwertung des Wohnraums mit Zuschüssen für Umwandlung von Geschäftsräumen in Mietwohnungen an.

Zunächst hatten vor etwa 20 Jahren junge Künstler und Intellektuelle das in Verruf geratene Viertel entdeckt und sich in den billigen Wohnungen eingemietet. Dann lief alles wie in gentrifizierten Künstlervierteln in New York, London und Berlin ab. An einstigen Schmuddelecken öffneten trendige Bars. In leerstehenden Striptease-Clubs legten angesagte DJs auf. Das Bahnhofsviertel feierte sich als flippigen Abenteuerspielplatz, wobei das schillernde Image des Rotlichtsmilieus diese Entwicklung befeuerte. Der aufregende Ruf des neuen Szenestadtteils schallte von Mainhattan bis nach Manhattan. Dort geriet die New York Times vor zwei Jahren über die „neue Sexiness des Redlight Districts“ so sehr ins Schwärmen, dass sie Frankfurt auf ihre alljährliche Liste der aufregendsten Plätze weltweit setzte.

Längst hatte der Hype Immobilienprofis auf den Plan gerufen. Teure Wohnblocks an Standorten wie in der verrufenen Elbestraße, für die früher kaum jemand einen Cent investiert hätte, erzielen heute Spitzenrenditen. Luxuswohnen über Straßenstrich und Drogen-elend heißt die neue Devise. Und es geht weiter: In der Weserstraße wächst ein kostspieliger Appartmentblock in den Himmel. In der Taunusstraße fällt in Kürze der Startschuss für ein Großprojekt. Und zwischen Gutleut- und Wilhelm-Leuschner-Straße ist ein riesiger Hotel- und Bürokomplex teilweise schon abgerissen.

Der neue Schick zieht Besserverdienende ins Viertel. Zentraler kann man nirgendwo in Frankfurt wohnen, Wo sonst halten ICE aus Hamburg oder Berlin 200 Meter vor der Haustür? Die neue Klientel liebt es ordentlich. Etlichen scheint erst nach dem Einzug aufzufallen, dass sie mitten auf Frankfurts Amüsiermeile gelandet sind. Sie machen alteingesessenen Bars und Clubs das Leben schwer. Jüngstes Beispiel ist die Moselstraße. Dort fordert ein anonymer Neuankömmling per Handzettel andere Mieter auf, sich beim Ordnungsamt zu beschweren. Stein des Anstoßes ist die Lautstärke des Club 44, der Gaststätte Coco Loco und des Nightclubs „Diamond“, in dessen Vorgänger „Imperial“ schon Tom Jones und Josephine Baker gastierten.

Das Bahnhofsviertel verliert seinen rauen Charme und sein buntes Flair.

Schon packen die ersten Multi-Kulti-Läden ihre Koffer, weil Mieten drastisch erhöht oder Verträge gekündigt werden. Niedrigpreisige Treffpunkte wie die Terminus Klause schließen oder bekommen – wie der Kult-Kiosk YokYok– vom Ordnungsamt das Leben schwergemacht. So dauert es nicht mehr lange, bis Ruhe und Ordnung ins laute Viertel ziehen. Der Prenzlauer Berg lässt grüßen.

Vorbei sein werden dann auch die Zeiten, in denen internationale Medien von Frankfurt als junger Szenestadt schwärmten.
 
Fotogalerie:
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7. März 2016, 17.18 Uhr
Ulrich Mattner
 
 
 
 
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