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Antisemitismus in Frankfurt

"... und dann riss er mir die Kippa vom Kopf"

Ein Mitarbeiter unseres Verlags wird in Bockenheim auf der Straße als "Drecksjude" beschimpft, als "Kindermörder" und dass er ins Gas gehöre. Seine Kippa trägt er nun nicht mehr - obwohl sie ihm viel bedeutet.
In der vergangenen Woche steckten wir mitten in der Recherche für unsere Coverstory. Sprachen mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde, mit Integrationspolitikern wie Turgut Yüksel und mit Vertretern von muslimischen und christlichen Religionsgemeinschaften. Wir gingen der Frage nach, ob der offene Antisemitismus seit dem Wiederaufflammen des Gaza-Konfliktes zugenommen hat - und wie man ihm begegnen kann. Einfache Antworten gibt es da nicht. Mittenrein platzt eine E-Mail eines Kollegen.

Er ist als Stadtführer für uns tätig und berichtet von einer Tour durch Bockenheim. Bestürzt, hoffnungslos im Ton. Mitten auf der Leipziger Straße riss ihm ein Mann die Kippa vom Kopf, empfahl ihm das Gas, beschimpfte ihn als "Kindermörder" und als "Drecksjuden". Die Kunden unseres Stadtführers griffen ein, Passanten riefen die Polizei, doch die konnte nur wenig tun. "Ich fühle mich schuldig", sagt unser Mitarbeiter. Hätte er die Kippa nicht getragen, wäre er nicht als Jude zu erkennen gewesen, dann wären auch seine Kunden nicht in Gefahr gewesen.

Unser Mitarbeiter erinnert sich an andere Vorfälle in jüngster Zeit, einmal, da stand er mit einer Gruppe vor der Alten Oper, erklärte die Geschichte des Gebäudes, das Wahre, Schöne, Gute. Ein bisschen weiter weg allerdings – am Opernbrunnen wurde grade gegen Israel demonstriert. Palästina-Fahnen wehten in der Luft, Plakate, auf denen "Kindermörder Israel" stand, Leute von der Linken hielten ein paar Reden, plötzlich ruft es aus der Menge: "Da ist ein Jude, da ist ein Jude" und Finger zeigen auf unseren Kollegen. Er entfernt sich lieber schnell. Man wird ja wohl noch die israelische Regierung kritisieren dürfen, die Besatzung, den Krieg, sagen viele. Richtig, sagt auch unser Stadtführer. Auch in Israel seien einige seiner Freunde nicht mit dem einverstanden, was die Regierung veranstalte, es gebe auch dort eine Opposition, die es nun, im Krieg, gewiss nicht leicht habe. Doch was habe er mit Israel zu tun, mit der israelischen Politik? "Ich bin ein deutscher Jude", sagt er. Er sei Bürger der Bundesrepublik Deutschland, nicht des Staates Israel.

3,1 Promille Alkohol hatte der Angreifer aus der Leipziger Straße im Blut. Die Polizei rät, keine Anzeige zu erstatten. "Da haben Sie nichts davon." In eine Ausnüchterungszelle käme der Mann dann, morgen sei er wieder hier. Man kenne ihn, er sei schon öfter ausfällig geworden. Kurz gesagt: nicht zurechnungsfähig, damit auch nicht vergleichbar mit Salafisten oder Neonazis.

Unser Mitarbeiter hat dennoch für sich entschieden, die Kippa nicht mehr zu tragen. Er hat sie dennoch dabei, als wir uns im Restaurant Merkez in der Kaiserstraße auf einen Ayran und einen Cai treffen. "Sie bedeutet mir sehr viel", sagt er, nestelt sie aus seiner Tasche und faltet die zum Dreieck gefaltete Kopfbedeckung auseinander. "Ohne Kippa", sagt er, "fühle ich mich nackt und ausgeliefert. Ich habe sie nie getragen, um zu provozieren. Sondern weil sie mir persönlich sehr wichtig ist." Er sagt, dass er mit anderen Leuten aus der Gemeinde sprechen will, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, will ihren Rat hören. Seinen Namen, gar sein Foto möchte er einstweilen nicht in der Öffentlichkeit wiederfinden.
 
Fotogalerie:
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26. August 2014, 11.14 Uhr
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