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Das postfaktische Zeitalter
What about?
Themen mit Konfliktpotential sind der Nährboden für Whataboutism – besonders in den sozialen Medien. In seiner Kolumne legt Christoph Schröder den Finger in die Wunde und zeigt auf, wie gefährlich so etwas ist.
Manche Dinge kann man vielleicht einfach nicht oft genug sagen, auch wenn sie nicht neu sind. Sie wissen ganz sicher, was Whataboutism ist, weil Sie ihn aus Ihrer Partnerschaft kennen: „Wir haben jetzt Juni, und Du hast noch immer nicht die Weihnachtsdeko in den Keller gebracht.“ „Ach, und was ist mit Deiner Mutter, die mir immer noch die 50 Euro schuldet, die ich ihr letzte Woche geliehen habe?“ An diesem Punkt ist jedes sinnvolle Gespräch am Ende, und wir begeben uns auf das Feld der immer weiter führenden gegenseitigen Bezichtigungen, die in der völligen Irrationalität enden.
So funktioniert das auch bei Diskussionen in den sozialen Medien, und zwar bei allen Themen, die nur ansatzweise Konfliktpotential in sich tragen. Ganz besonders begabt für absurden Whataboutism (für sonst leider ziemlich wenig) sind die Anhänger jener Partei, deren Mitarbeiter und Funktionäre als chinesische Spione oder russische Geld- und Befehlsempfänger aufgeflogen sind. Dein Idol kassiert Geld von Diktaturen? „Und was ist mit den Systemparteien? Da müsste mal jemand nachforschen, aber das trauen sich die Systemmedien natürlich nicht.“
„Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die glaubt, der Verfassungsschutz sei ein von der Regierung gesteuerter Apparat zur Unterdrückung einer blauen Rechtsstaatspartei“
Was ich wirklich jetzt erst begriffen habe: All das sind nicht nur Schutzbehauptungen. Die glauben das ernsthaft. Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen in diesem Land, die wirklich glaubt, der Verfassungsschutz und alle anderen staatlichen Behörden seien ein von der Regierung gesteuerter Apparat zur Unterdrückung einer blau-oppositionellen Rechtsstaatspartei. Noch mal: Die glauben das ernsthaft.
Das gleiche Prinzip gibt es überall, beim Fußball (wahlweise Bayern München- oder Borussia Dortmund-Verschwörungstheorien), im Kulturbetrieb, wo systematische Benachteiligung mit inbrünstiger Überzeugung als Förderung von marginalisierten Gruppen umdeklariert wird. All das gehört zusammen und hat die gleiche Quelle. Aber nirgendwo ist es so gefährlich wie in der Politik. Das werden wir spätestens dann merken, wenn die ersten Bundesländer von der Rechtsstaatspartei regiert werden.
So funktioniert das auch bei Diskussionen in den sozialen Medien, und zwar bei allen Themen, die nur ansatzweise Konfliktpotential in sich tragen. Ganz besonders begabt für absurden Whataboutism (für sonst leider ziemlich wenig) sind die Anhänger jener Partei, deren Mitarbeiter und Funktionäre als chinesische Spione oder russische Geld- und Befehlsempfänger aufgeflogen sind. Dein Idol kassiert Geld von Diktaturen? „Und was ist mit den Systemparteien? Da müsste mal jemand nachforschen, aber das trauen sich die Systemmedien natürlich nicht.“
Was ich wirklich jetzt erst begriffen habe: All das sind nicht nur Schutzbehauptungen. Die glauben das ernsthaft. Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen in diesem Land, die wirklich glaubt, der Verfassungsschutz und alle anderen staatlichen Behörden seien ein von der Regierung gesteuerter Apparat zur Unterdrückung einer blau-oppositionellen Rechtsstaatspartei. Noch mal: Die glauben das ernsthaft.
Das gleiche Prinzip gibt es überall, beim Fußball (wahlweise Bayern München- oder Borussia Dortmund-Verschwörungstheorien), im Kulturbetrieb, wo systematische Benachteiligung mit inbrünstiger Überzeugung als Förderung von marginalisierten Gruppen umdeklariert wird. All das gehört zusammen und hat die gleiche Quelle. Aber nirgendwo ist es so gefährlich wie in der Politik. Das werden wir spätestens dann merken, wenn die ersten Bundesländer von der Rechtsstaatspartei regiert werden.
26. Juni 2024, 09.19 Uhr
Christoph Schröder
Christoph Schröder
Christoph Schröder studierte in Mainz Germanistik, Komparatistik und Philosophie. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und dem Literaturbetrieb. Er ist Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt. Mehr von Christoph
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