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Werwolfkommandos

Keine Bühne bieten

Als Prozessbeobachterinnen haben Marie Schwesinger, Julia Just und Fabiola Eidloth den Lübcke-Ahmed-I.-Prozess und den Prozess gegen den Ex-Bundeswehsoldaten Franco A. verfolgt. Daraus haben Sie das Theaterstück „Werwolfkommandos“ erarbeitet. Ein Interview.
Journal Frankfurt: Frau Schwesinger, Frau Just, wie dürfen wir uns Ihre Inszenierung „Werwolfkommandos“ vorstellen? Was erwartet uns?
Julia Just:
Wir haben vier Spieler:innen auf der Bühne: Nicolai Gonther, Florian Mania, Anabel Möbius und Rosanna Ruo. Das Stück hat zwei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Prozess um die Ermordung Walter Lübckes und um den rassistischen Angriff auf Ahmed I., der zweite Teil mit dem Franco-A.-Prozess. Wir haben dabei unsere eigene Perspektive dem Stück eingeschrieben. Das heißt: Man verfolgt uns, wie wir durch diese Prozesse gehen. Das Publikum wird also in den Gerichtssaal mitgenommen, nicht wissend, was dort passiert. Als Material haben wir für den Franco-A.-Teil Protokolle verwendet, die wir selbst über ein Jahr erstellt haben. Für den Lübcke-Ahmed-I.-Prozess greifen wir auf unsere Erinnerungen und Erinnerungsprotokolle zurück, da wir vom Vorsitzenden Richter keine Erlaubnis zum Mitschreiben bekommen haben.
Marie Schwesinger: Damit spielt das Stück auch. Der erste Teil des Stücks ist fragmentarischer als der zweite. Oft geht es um die Frage: Hat er das wirklich so gesagt oder anders? Im Franco-A.-Teil haben wir wiederum versucht, die Aussagen Wort für Wort wiederzugeben.

Was verbindet dann die beiden Teile des Stücks?
Schwesinger:
Es gibt in beiden Teilen Collagen-Szenen. Darin treffen Sätze aufeinander, die vor Gericht immer wieder fallen. Etwa „Guten Tag, nehmen Sie Platz“ oder „Jetzt ist der Ton weg, gehen Sie bitte etwas näher ans Mikrofon.“ Diese Alltäglichkeits-Sätze treffen dann auf Sätze wie „Ich weiß nicht, wo ich die Waffen versteckt habe.“ Dabei haben wir nach Sätzen gesucht, die in beiden Prozessen aufgetaucht sind.

Werden diese beiden Sprach-Ebenen kontrastiert?
Schwesinger:
Es wird dadurch vor allem deutlich, welche Fragen nicht beantwortet wurden. Wenn die Behördensprache auf jemanden trifft, der ein schweres Trauma davongetragen hat, dann reicht das nicht aus, um diesem Menschen die Botschaft mitzugeben: Wir sind auf deiner Seite.
Just: Es ist kein Kontrast per se, aber natürlich fühlt es sich wie einer an. Die Sprache zeigt sich stellenweise unzulänglich, um gewisse Sachverhalte aufzuklären; Zum Beispiel die Fragen: Waren es beim Mord an Walter Lübcke ein Täter oder zwei? Welches der Geständnisse stimmt nun? Die Wahrheit ist nicht ganz aufgeklärt worden. Sie wurde nicht versprachlicht.

Sollte der Fokus des Stücks von Anfang an auf der Sprache liegen?
Schwesinger:
Es war von vornherein nicht einmal geplant, daraus ein Theaterprojekt zu machen. Ich habe den Lübcke-Ahmed-I.-Prozess zunächst nur aus Interesse besucht. Vorher hatte ich zwei Stücke zu den Auschwitzprozessen erarbeitet und darüber Gerhard Wiese kennengerlernt, einen der Staatsanwälte im Auschwitzprozess. Er sagte dann zu mir: „Marie, jetzt lass’ doch mal die 60er-Jahre. Es gibt gerade einen ganz wichtigen Prozess. Geh’ da mal hin!“ Eigentlich wollte ich dann nur ein-, zweimal hingehen. Aber ich wurde hineingesogen, auch durch die Wucht dieser Sprache. Sehr beeindruckt hat mich etwa das Plädoyer von Oberstaatsanwalt Dieter Killmer. Irgendwann habe ich dann immer weniger Erinnerungsprotokolle geschrieben, sondern meine Erinnerungen schon szenisch umgesetzt.

Zwischen dem Gericht und dem Theater gibt es Parallelen: Beide bestehen aus einem Handlungs- und einem Zuschauerraum. In beiden treten Menschen in Rollen auf. Beide stellen Worte in ihr Zentrum, es gibt aber auch performative Abläufe. War auch das ein Ansatzpunkt für das Stück?
Schwesinger:
Das hat sicher geprägt, wie ich die Prozesse beobachtet habe. Wenn ich dasitze und sehe, wie sich jemand mit Schwung seine Robe überzieht, dann denke ich natürlich an einen Schauspieler, der sein Kostüm anzieht. Die Parallelen zwischen Gericht und Theater drängen sich auf. Trotzdem stellt sich die Frage: Benennt man diese Parallelen oder lässt man sie beim Zuschauer oder der Zuschauerin selbst entstehen? Gerade im Franco-A.-Prozess gab es immer wieder den Satz: „Sie benutzen diesen Prozess als Bühne!“ Auch darin steckt diese Parallele. Es steckt darin aber auch etwas, was man nicht darf: Man darf diesen Menschen keine Bühne bieten.
Just: Was das Stück deshalb auf keinen Fall ist, ist eine Art von Reenactment. Es gibt auch keine klare Rollenverteilung. Alle spielen alles. Das funktioniert über ein rotierendes System.

War diese fluide Rollenverteilung Ihre Möglichkeit, den Rechten keine Bühne zu bieten?
Just:
Ja, das hat einen großen Teil dieser Entscheidung ausgemacht.
Schwesinger: Der zweite Grund war die Psychologisierung. Wir wollten keine Fragen der Psychologisierung eröffnen. Der Fokus sollte auf den Sachverhalten liegen.

Häufig liegt in Strafprozessen die Aufmerksamkeit auf den Tätern. Wie ist das also in „Werwolfkommandos“?
Schwesinger:
Es gibt in Strafprozessen einerseits die Täterorientierung, andererseits auch die Wiedergabe der Tätersprache. Deshalb haben wir eine analytische Beobachtersicht hineinbringen wollen. Von der Tätersprache grenzen wir uns über das Zitathafte ab. Etwa durch „(…), hat er gesagt“ oder „Ich zitiere das erste Vernehmungsvideo“. Gerade im zweiten Teil versuchen wir dann auch eine Abgrenzung durch ironische Brechungen.
Just: Natürlich kann man kein Theaterstück über solche Gerichtsprozesse erarbeiten, ohne über die Täter zu sprechen. Aber das geschieht bei uns immer in der Spiegelung durch die Protokolle und unsere Erinnerungen. Auch ein performatives Ausbrechen aus dem Spiel haben wir eingearbeitet. Trotzdem haben wir uns auch gefragt: Wie können wir das machen, dass den Leuten bei der Tätersprache schlecht wird, so wie uns schlecht geworden ist?

Künstlerisch haben Sie dabei eine starke Brechung vorgenommen. Andere Theaterstücke in den vergangenen Jahren haben ebenfalls Gerichtsverhandlungen dargestellt, waren dabei aber sehr naturalistisch. Haben Sie dazu eine bewusste Abgrenzung vorgenommen?
Just:
Wir wussten am Anfang noch gar nicht genau, wie wir es darstellen wollen. Aber es ist schwierig, auf einer Theaterbühne den Gerichtssaal zu behaupten. Bei allem Mitschreiben und Dokumentieren wollten wir keine trügerische Authentizität vorgeben. Oft waren wir uns auch untereinander nicht einig: Alle sehen das Gleiche, aber am Ende haben wir doch nicht das Gleiche gesehen.
Schwesinger: Ich finde es fast leichter, aus Franco A. eine Theaterfigur zu machen. Aber ich kann nicht aus den Mitgliedern der Familie Lübcke Figuren machen. Ich hätte es auch falsch gefunden, einen Monolog aus der Sicht von Ahmed I. zu schreiben. Trotzdem muss die Sicht der Betroffenen vorkommen. Vielleicht kam daher unser Fokus auf die Sprache.

Sie haben immer wieder betont, wie wichtig die Sprache für das Stück war. Warum haben Sie sich für den Titel „Werwolfkommandos“ entschieden?
Schwesinger:
Den Begriff hat Oberstaatsanwalt Dieter Killmer im Lübcke-Ahmed-I.-Prozess in seinem Plädoyer verwendet. Er wollte den Mord an Walter Lübcke in die Kontinuität rechten Terrors einordnen – vom Mord an Walter Rathenau 1922 bis zum NSU. Zwar hat auch Killmer die Verurteilung eines Einzeltäters gefordert, aber er hat trotzdem diese Kontinuität eröffnet. Es war nicht nur irgendein Mord. Er lief nach einem Muster ab. Trotzdem stammt das Wort natürlich aus der Tätersprache. Der Begriff ist besetzt durch die Nazi-Szene, seit Heinrich Himmler. Es war uns aber wichtig, die genannte Kontinuität im Stück abzubilden.
Just: Der Titel zeigt außerdem unsere Reibung an der Sprache und unsere Auseinandersetzung damit. Rechtsextreme Attentäter sind natürlich keine „Werwölfe“. Es sind Attentäter – auch wenn sie sich selbst mit diesem Werwolf-Mythos schmücken.

Werwolfkommandos, Landungsbrücken, Gutleutstraße 294, 20./23.10., 20 Uhr, 22.10., 19 Uhr
 
Fotogalerie:
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