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Städtische Bühnen
„Offensichtlich will man eine demokratische Beteiligung ausbremsen“
Die Debatte um die Zukunft der Städtischen Bühnen geht weiter. Tobias Rüger von der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus erklärt, was an der Anlage schützenswert ist - und welche Informationen die Politik schuldig bleibt.
Herr Rüger, der Magistrat geht davon aus, dass das Schauspiel abgerissen und an der Neuen Mainzer Straße wieder aufgebaut wird. Was spricht dagegen?
Wir haben in der sogenannten Theaterdoppelanlage – mit Oper, Schauspiel und Kammerspielen, eigentlich eine Trippelanlage – vier bauliche Zeitschichten, von denen mindestens zwei Denkmalwert haben: Zum einen die Wolken-Deckenskulptur von Zoltan Kemeny aus dem Jahr 1963. Zum anderen die hinter der Glasfront erhaltene Ost- und Westfassade nebst Teilen der Vorderseite des Theaters von Heinrich Seeling, und da insbesondere die Reliefarbeiten von Augusto Varnesi aus dem Jahr 1902. Unter anderem in dem Buch „101 Frankfurter Unorte“ von Christian Setzepfandt sind Teile davon abgebildet.
Kurz vor der Sommerpause legte die Stadt plötzlich die Einigung mit der Fraspa und der Helaba vor. Auch der Städtebaubeirat äußert sich positiv. Sollen plötzlich Fakten geschaffen werden?
Das ist schwer einzuschätzen, da die städtischen Entscheider die Öffentlichkeit bislang immer nur selektiv informiert haben. Bei dem Verwirrspiel um die Verfügbarkeit des Grundstücks, auf dem aktuell ein Zweckbau der Sparkasse steht, wurde bislang nicht klar, ob dort ein Neubau möglich wäre oder nicht. Auch wurde nicht bekanntgegeben, mit welchen Kosten für den Kauf des Grundstücks zu rechnen wäre. Das sind Informationen, die für zielführende politische Prozesse und deren Einschätzung benötigt werden.
Städtische Bühnen: „Wolken-Foyer steht für gesellschaftliche Spannungskräfte der jungen Bundesrepublik“
Architekten und Wissenschaftlerinnen fordern nun, eine Sanierung neu zu diskutieren. Welche Position hat hierzu die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus?
Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus setzt sich zunächst für den Erhalt, die Ertüchtigung und Weiternutzung der historischen Bausubstanz von 1902 ein. Wer heute eine Opernaufführung besucht, befindet sich ja innerhalb dieser historischen Bausubstanz – nur dass man es eben nicht sehen kann, da sie 1960/61 von allen Seiten her umbaut wurde. Inwieweit die Anfang der 1960er-Jahre angefügten Betonteile technisch erhaltbar sind, müssen Fachleute bewerten. Nach allem, was aus den entsprechenden Gutachten durchgesickert ist, scheint das nicht möglich zu sein. Zudem heißt es, es könne von der Baupolizei kurzfristig die Schließung von Gebäudeteilen angeordnet werden. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Anbauten aus den 1960er-Jahren technisch nicht erhaltbar sind.
© Maria Di Marco
Können Sie konkretisieren, was jenseits der bereits viel besprochenen Wolken-Deckenskulptur noch schützenswert ist?
Als Frau Hartwig einmal meinte, das Wolken-Foyer sei ein Sinnbild für den demokratischen Aufbruch der Bundesrepublik nach dem Krieg, hat sie durchaus Recht gehabt – wenn auch auf eine weitaus komplexere Art, als sie das vermutlich zum Ausdruck bringen wollte. Otto Apel, der Architekt des Glasfoyers, ist als ehemaliger Assistent des NS-Baumeisters Albert Speer aus meiner Sicht politisch belastet.
Möglicherweise hat man das auch Anfang der 1960er schon so empfunden und, gewissermaßen als Kontrast dazu, dann das Kunstwerk eines nicht-deutschen Künstlers und das Gemälde des jüdischen Malers Marc Chagall in den Raum eingefügt. So gesehen steht das Wolken-Foyer auf skurrile Art tatsächlich für die gesellschaftlichen Spannungskräfte der jungen Bundesrepublik und ist meiner Meinung nach daher erhaltenswert. Ob am originalen Ort oder integriert in einen Neubau, das ist eine andere Frage. Denn wenn der Beton sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat, müsste es in jedem Fall vollständig nachgebaut werden. Dann wiederum kann das auch an einem anderen Ort (beispielsweise auf dem Gelände der Frankfurter Sparkasse) geschehen.
Städtische Bühnen: Seeling-Bau bemerkenswert für das reaktionäre politische Klima der Kaiserzeit
Und was ist mit den Gebäudeteilen von 1902?
Die wiederum stellen in zweierlei Hinsicht einen unschätzbaren Wert für Frankfurt dar. Zum einen haben im Seeling-Bau, also dem Schauspielhaus von 1902, insbesondere in den 1920er-Jahren bedeutende kulturelle Ereignisse stattgefunden. Z.B. die Uraufführung von Bertolt Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, die ersten Auftritte afroamerikanischer Jazzmusiker wie Sidney Bechet und viele Aufführungen des Frankfurter Expressionismus’. Das kann man beispielsweise in Elias Canettis Jugenderinnerungen „Die Fackel im Ohr“ nachlesen.
Info
Die „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt“ trat erstmals 2016 zusammen und setzt sich für den Erhalt beziehungsweise Wiederaufbau der historischen Städtischen Bühnen ein. Vorbild ist Aktionsgemeinschaft Opernhaus Frankfurt e.V.", welche sich seit 1964 erfolgreich für einen Wiederaufbau der Alten Oper einsetzte.
Zum anderen erzählt der Seeling-Bau eine für das reaktionäre politische Klima der Kaiserzeit bemerkenswerte Geschichte: Während die Ostfassade den Blick auf das alte Griechenland mit Reliefs von Aischylos und Sophokles richtet, ist die Westfassade unter anderem mit Bildnissen von Molière und Shakespeare geschmückt. Das Frankfurter Bürgertum, seit 1866 wider Willen preußisch, hat damals mit einer bewundernswerten Geste dem Zeitgeist zwei ‚Erbfeinde‘ entgegengestellt. Ich lese das als Behauptungswillen der Kunstfreiheit gegen politische Vorgaben. Dazu kommt, dass der Künstler der Bildnisse, der aus Rom stammende Bildhauers Augusto Varnesi, ein großartiges Beispiel für die Internationalität Frankfurts und dem damit einhergehenden Kulturaustausch in dieser stark nationalistisch geprägten geschichtlichen Epoche gewesen ist.
„Frankfurt hat notwendige Fakten bislang nicht gänzlich öffentlich gemacht“
Konkret: Wie sollen die städtischen Bühnen künftig aussehen – und ist das finanziell überhaupt umsetzbar und bezüglich einer zeitlichen Einordnung attraktiv?
Es überdehnt unsere Zielsetzung, die sich ja zunächst auf Erhalt denkmalwerter Bausubstanz bezieht, hier genaue Planungen vorzulegen. Insbesondere, da die Stadt Frankfurt die für die Meinungsbildung abschließend notwendigen Fakten bislang nicht gänzlich öffentlich gemacht hat. Meine persönliche Meinung ist, dass am Willy-Brandt-Platz ein Kultur-Standort im historischen Seeling-Bau erhalten werden muss. Die Oper spielt seit Beseitigung der Kriegsschäden 1951 in diesem Gebäude und das mit großem Erfolg, wie die mehrfache Würdigung als „Opernhaus des Jahres“ belegt. Dazu kann ein Standort auf dem Gelände der Frankfurter Sparkasse oder aber auch am Osthafen kommen. Das muss in einem politischen Prozess, der die Bürgerinnen und Bürger sowie die Angestellten der Städtischen Bühnen mit einbezieht, ermittelt werden.
© Maria Di Marco
„Arbeitsbedingungen der Mitwirkenden in den Kulturbetrieben müssen Beachtung erfahren“
Sie haben auch einen persönlichen Bezug …
Ja. Ich wohne im Bahnhofsviertel und gehe daher fast täglich über den Willy-Brandt-Platz, vorbei an der sogenannten Theaterdoppelanlage. Und ich finde deren Raumwirkung, die ja seinerzeit aus dem Gedanken der autogerechten Stadt entwickelt wurde, nicht stimmig. Der Seeling-Bau mit seinem Gartenhof, der gewissermaßen baulich zwischen Wallanlage und Kulturtempel vermittelt, würde die Aufenthaltsqualität des Platzes deutlich steigern. Zudem arbeite ich seit dreißig Jahren als Musiker und habe auf vielen Bühnen gestanden, u.a. im Frankfurter Schauspiel.
Aufgrund meiner Erfahrung will ich daher darauf hinweisen, dass wir es hier nicht nur mit einem städtebaulichen Thema zu tun haben, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Mitwirkenden in den Kulturbetrieben Beachtung erfahren müssen. Ich denke, insbesondere Zwischenspielstätten gilt es, zu vermeiden. Es sollte also zunächst einmal ein Neubau entstehen, in den einer der beiden Bühnen vollständig umziehen kann; erst danach sollte mit dem Rückbau der maroden Betonteile der sogenannten Theaterdoppelanlage begonnen werden. Für kleine Opern-Produktionen kann zwischenzeitlich das (ebenfalls 1902 erbaute) Bockenheimer Depot weiter genutzt werden. Auf jeden Fall wird das ein organisatorischer Kraftakt, für dessen Leitung es eine kompetente Person braucht.
Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus forderte bereits ein Bürgerentscheid, der vom Magistrat abgelehnt wurde. Wie sind aktuell Ihre Pläne zum Erhalt des Schauspiels?
Das Bürgerbegehren wurde von drei Vertrauensleuten, Ursula Plahusch, Nidal Chetly und Thomas Mann, angestoßen. Dafür wurde auch die notwendige Anzahl an Stimmen erreicht – mehr als 20.000. Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus beobachtet das naturgemäß mit großem Wohlwollen. Dass die Stadt das Bürgerbegehren unter anderem mit der Begründung abgelehnt hat, es sei nicht hinreichend finanziell kalkuliert, ist in Anbetracht der Tatsache, dass sie selbst ihre Kostenschätzung von ursprünglich 800 Millionen auf 1,3 Milliarden nachkorrigieren musste, ein unglaubwürdiges Vorgehen. Offensichtlich will man hier eine demokratische Beteiligung der Menschen ausbremsen. Dass die Stadt nun eine teure Kanzlei in München engagiert hat, um der Klage der drei Vertrauensleute gegen die Ablehnung entgegenzutreten, anstatt einen Dialog mit den Vertrauensleuten zuzulassen, wird von deren Seite als Verweigerung politischer Teilhabe gesehen.
Und wie sind die weiteren Pläne des Vereins?
Wir sind als Verein und zivilgesellschaftliche Gruppe nicht befugt, städtebauliche Pläne zu machen. Aber unser Anliegen ist seit der Gründung: Freilegung und Erhalt der städtebaulich und kulturgeschichtlich bedeutsamen Bausubstanz von 1902. Entfernung der maroden Anbauten von 1960/61. Freigabe des dadurch entstehenden Baugrundstücks am Anfang der Neuen Mainzer Straße (also dort, wo derzeit der Eingang für die Kammerspiele ist) für gewerbliche Nutzung zwecks Generierung von Einnahmen, sowie Neubau eines zweiten Theatergebäudes unter Einbeziehung des Wolken-Foyers.
Info
ZUR PERSON: Tobias Rüger ist freischaffender Musiker mit Wohnsitz in Frankfurt. Er wohnt seit über zwanzig Jahren in Frankfurt und fühlt sich seiner Heimatstadt, insbesondere ihrer Geschichte, stark verbunden. Vor diesem Hintergrund setzt er sich für den Erhalt historischer Bausubstanz ein. Er ist Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt.
© Maria Di Marco
Wir haben in der sogenannten Theaterdoppelanlage – mit Oper, Schauspiel und Kammerspielen, eigentlich eine Trippelanlage – vier bauliche Zeitschichten, von denen mindestens zwei Denkmalwert haben: Zum einen die Wolken-Deckenskulptur von Zoltan Kemeny aus dem Jahr 1963. Zum anderen die hinter der Glasfront erhaltene Ost- und Westfassade nebst Teilen der Vorderseite des Theaters von Heinrich Seeling, und da insbesondere die Reliefarbeiten von Augusto Varnesi aus dem Jahr 1902. Unter anderem in dem Buch „101 Frankfurter Unorte“ von Christian Setzepfandt sind Teile davon abgebildet.
Kurz vor der Sommerpause legte die Stadt plötzlich die Einigung mit der Fraspa und der Helaba vor. Auch der Städtebaubeirat äußert sich positiv. Sollen plötzlich Fakten geschaffen werden?
Das ist schwer einzuschätzen, da die städtischen Entscheider die Öffentlichkeit bislang immer nur selektiv informiert haben. Bei dem Verwirrspiel um die Verfügbarkeit des Grundstücks, auf dem aktuell ein Zweckbau der Sparkasse steht, wurde bislang nicht klar, ob dort ein Neubau möglich wäre oder nicht. Auch wurde nicht bekanntgegeben, mit welchen Kosten für den Kauf des Grundstücks zu rechnen wäre. Das sind Informationen, die für zielführende politische Prozesse und deren Einschätzung benötigt werden.
Städtische Bühnen: „Wolken-Foyer steht für gesellschaftliche Spannungskräfte der jungen Bundesrepublik“
Architekten und Wissenschaftlerinnen fordern nun, eine Sanierung neu zu diskutieren. Welche Position hat hierzu die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus?
Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus setzt sich zunächst für den Erhalt, die Ertüchtigung und Weiternutzung der historischen Bausubstanz von 1902 ein. Wer heute eine Opernaufführung besucht, befindet sich ja innerhalb dieser historischen Bausubstanz – nur dass man es eben nicht sehen kann, da sie 1960/61 von allen Seiten her umbaut wurde. Inwieweit die Anfang der 1960er-Jahre angefügten Betonteile technisch erhaltbar sind, müssen Fachleute bewerten. Nach allem, was aus den entsprechenden Gutachten durchgesickert ist, scheint das nicht möglich zu sein. Zudem heißt es, es könne von der Baupolizei kurzfristig die Schließung von Gebäudeteilen angeordnet werden. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Anbauten aus den 1960er-Jahren technisch nicht erhaltbar sind.
© Maria Di Marco
Können Sie konkretisieren, was jenseits der bereits viel besprochenen Wolken-Deckenskulptur noch schützenswert ist?
Als Frau Hartwig einmal meinte, das Wolken-Foyer sei ein Sinnbild für den demokratischen Aufbruch der Bundesrepublik nach dem Krieg, hat sie durchaus Recht gehabt – wenn auch auf eine weitaus komplexere Art, als sie das vermutlich zum Ausdruck bringen wollte. Otto Apel, der Architekt des Glasfoyers, ist als ehemaliger Assistent des NS-Baumeisters Albert Speer aus meiner Sicht politisch belastet.
Möglicherweise hat man das auch Anfang der 1960er schon so empfunden und, gewissermaßen als Kontrast dazu, dann das Kunstwerk eines nicht-deutschen Künstlers und das Gemälde des jüdischen Malers Marc Chagall in den Raum eingefügt. So gesehen steht das Wolken-Foyer auf skurrile Art tatsächlich für die gesellschaftlichen Spannungskräfte der jungen Bundesrepublik und ist meiner Meinung nach daher erhaltenswert. Ob am originalen Ort oder integriert in einen Neubau, das ist eine andere Frage. Denn wenn der Beton sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat, müsste es in jedem Fall vollständig nachgebaut werden. Dann wiederum kann das auch an einem anderen Ort (beispielsweise auf dem Gelände der Frankfurter Sparkasse) geschehen.
Städtische Bühnen: Seeling-Bau bemerkenswert für das reaktionäre politische Klima der Kaiserzeit
Und was ist mit den Gebäudeteilen von 1902?
Die wiederum stellen in zweierlei Hinsicht einen unschätzbaren Wert für Frankfurt dar. Zum einen haben im Seeling-Bau, also dem Schauspielhaus von 1902, insbesondere in den 1920er-Jahren bedeutende kulturelle Ereignisse stattgefunden. Z.B. die Uraufführung von Bertolt Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, die ersten Auftritte afroamerikanischer Jazzmusiker wie Sidney Bechet und viele Aufführungen des Frankfurter Expressionismus’. Das kann man beispielsweise in Elias Canettis Jugenderinnerungen „Die Fackel im Ohr“ nachlesen.
Die „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt“ trat erstmals 2016 zusammen und setzt sich für den Erhalt beziehungsweise Wiederaufbau der historischen Städtischen Bühnen ein. Vorbild ist Aktionsgemeinschaft Opernhaus Frankfurt e.V.", welche sich seit 1964 erfolgreich für einen Wiederaufbau der Alten Oper einsetzte.
Zum anderen erzählt der Seeling-Bau eine für das reaktionäre politische Klima der Kaiserzeit bemerkenswerte Geschichte: Während die Ostfassade den Blick auf das alte Griechenland mit Reliefs von Aischylos und Sophokles richtet, ist die Westfassade unter anderem mit Bildnissen von Molière und Shakespeare geschmückt. Das Frankfurter Bürgertum, seit 1866 wider Willen preußisch, hat damals mit einer bewundernswerten Geste dem Zeitgeist zwei ‚Erbfeinde‘ entgegengestellt. Ich lese das als Behauptungswillen der Kunstfreiheit gegen politische Vorgaben. Dazu kommt, dass der Künstler der Bildnisse, der aus Rom stammende Bildhauers Augusto Varnesi, ein großartiges Beispiel für die Internationalität Frankfurts und dem damit einhergehenden Kulturaustausch in dieser stark nationalistisch geprägten geschichtlichen Epoche gewesen ist.
„Frankfurt hat notwendige Fakten bislang nicht gänzlich öffentlich gemacht“
Konkret: Wie sollen die städtischen Bühnen künftig aussehen – und ist das finanziell überhaupt umsetzbar und bezüglich einer zeitlichen Einordnung attraktiv?
Es überdehnt unsere Zielsetzung, die sich ja zunächst auf Erhalt denkmalwerter Bausubstanz bezieht, hier genaue Planungen vorzulegen. Insbesondere, da die Stadt Frankfurt die für die Meinungsbildung abschließend notwendigen Fakten bislang nicht gänzlich öffentlich gemacht hat. Meine persönliche Meinung ist, dass am Willy-Brandt-Platz ein Kultur-Standort im historischen Seeling-Bau erhalten werden muss. Die Oper spielt seit Beseitigung der Kriegsschäden 1951 in diesem Gebäude und das mit großem Erfolg, wie die mehrfache Würdigung als „Opernhaus des Jahres“ belegt. Dazu kann ein Standort auf dem Gelände der Frankfurter Sparkasse oder aber auch am Osthafen kommen. Das muss in einem politischen Prozess, der die Bürgerinnen und Bürger sowie die Angestellten der Städtischen Bühnen mit einbezieht, ermittelt werden.
© Maria Di Marco
Sie haben auch einen persönlichen Bezug …
Ja. Ich wohne im Bahnhofsviertel und gehe daher fast täglich über den Willy-Brandt-Platz, vorbei an der sogenannten Theaterdoppelanlage. Und ich finde deren Raumwirkung, die ja seinerzeit aus dem Gedanken der autogerechten Stadt entwickelt wurde, nicht stimmig. Der Seeling-Bau mit seinem Gartenhof, der gewissermaßen baulich zwischen Wallanlage und Kulturtempel vermittelt, würde die Aufenthaltsqualität des Platzes deutlich steigern. Zudem arbeite ich seit dreißig Jahren als Musiker und habe auf vielen Bühnen gestanden, u.a. im Frankfurter Schauspiel.
Aufgrund meiner Erfahrung will ich daher darauf hinweisen, dass wir es hier nicht nur mit einem städtebaulichen Thema zu tun haben, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Mitwirkenden in den Kulturbetrieben Beachtung erfahren müssen. Ich denke, insbesondere Zwischenspielstätten gilt es, zu vermeiden. Es sollte also zunächst einmal ein Neubau entstehen, in den einer der beiden Bühnen vollständig umziehen kann; erst danach sollte mit dem Rückbau der maroden Betonteile der sogenannten Theaterdoppelanlage begonnen werden. Für kleine Opern-Produktionen kann zwischenzeitlich das (ebenfalls 1902 erbaute) Bockenheimer Depot weiter genutzt werden. Auf jeden Fall wird das ein organisatorischer Kraftakt, für dessen Leitung es eine kompetente Person braucht.
Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus forderte bereits ein Bürgerentscheid, der vom Magistrat abgelehnt wurde. Wie sind aktuell Ihre Pläne zum Erhalt des Schauspiels?
Das Bürgerbegehren wurde von drei Vertrauensleuten, Ursula Plahusch, Nidal Chetly und Thomas Mann, angestoßen. Dafür wurde auch die notwendige Anzahl an Stimmen erreicht – mehr als 20.000. Die Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus beobachtet das naturgemäß mit großem Wohlwollen. Dass die Stadt das Bürgerbegehren unter anderem mit der Begründung abgelehnt hat, es sei nicht hinreichend finanziell kalkuliert, ist in Anbetracht der Tatsache, dass sie selbst ihre Kostenschätzung von ursprünglich 800 Millionen auf 1,3 Milliarden nachkorrigieren musste, ein unglaubwürdiges Vorgehen. Offensichtlich will man hier eine demokratische Beteiligung der Menschen ausbremsen. Dass die Stadt nun eine teure Kanzlei in München engagiert hat, um der Klage der drei Vertrauensleute gegen die Ablehnung entgegenzutreten, anstatt einen Dialog mit den Vertrauensleuten zuzulassen, wird von deren Seite als Verweigerung politischer Teilhabe gesehen.
Und wie sind die weiteren Pläne des Vereins?
Wir sind als Verein und zivilgesellschaftliche Gruppe nicht befugt, städtebauliche Pläne zu machen. Aber unser Anliegen ist seit der Gründung: Freilegung und Erhalt der städtebaulich und kulturgeschichtlich bedeutsamen Bausubstanz von 1902. Entfernung der maroden Anbauten von 1960/61. Freigabe des dadurch entstehenden Baugrundstücks am Anfang der Neuen Mainzer Straße (also dort, wo derzeit der Eingang für die Kammerspiele ist) für gewerbliche Nutzung zwecks Generierung von Einnahmen, sowie Neubau eines zweiten Theatergebäudes unter Einbeziehung des Wolken-Foyers.
ZUR PERSON: Tobias Rüger ist freischaffender Musiker mit Wohnsitz in Frankfurt. Er wohnt seit über zwanzig Jahren in Frankfurt und fühlt sich seiner Heimatstadt, insbesondere ihrer Geschichte, stark verbunden. Vor diesem Hintergrund setzt er sich für den Erhalt historischer Bausubstanz ein. Er ist Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt.
© Maria Di Marco
5. August 2023, 09.33 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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23. November 2024
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