Pflasterstrand

Peter Kurzeck: Mein Bahnhofsviertel (Teil 2)

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Durchs Bahnhofsviertel: ein Phantom, umgeben von Gespenstern!" – Der zweite Teil unserer Dokumentation der Bahnhofsviertelserie des Autors Peter Kurzeck aus dem Pflasterstrand von 1984.

Peter Kurzeck /

„Du steigst zur U-Bahn hinab, das bin ich, immer wieder, wie in immer andere abgelegte frühere Leben, wie in das trübe abgestandene Badewasser von gestern, vorgestern, vorvorgestern, die Woche davor. Herrgott, wie du heut wieder jäh aus dem Schlaf gerissen durch dieses ärmliche Hurenviertel stolperst. Wo sind wir denn hier? Ohne Spielzeug, ein gottverlassener Riese in aller Frühe. Eine arme verlorene Seele die nicht den Weg findet, hustend, krächzend, ein fluchendes Gespenst. Außer mir ist niemand da. Sich sammeln – da bleibt dir nix! Bloß die Möwen die kreisend davonfliegen. Leere Flaschen im Rinnstein. Und der Wind, naß und kalt, der dir bis auf die Knochen geht, der Wind bläst durch dich hindurch. Weiter bergauf und bergab Elendsgassen des Zweifels, die dich belauern ohne zu blinzeln. Die du nicht ums Verrecken wiedererkennst, eher noch die Höhlenzeichnungen aus der Steinzeit, mein Schiff liegt im Hafen, ich komme ganz woanders her. Noch zweitausend Jahre.“

Wieder ein anderer naßkalter nebliger Morgen, ein Werktag, wenn du in der dritten Person von der Mainzer Landstraße kommst und eilig durchs Bahnhofsviertel: ein Phantom, umgeben von Gespenstern!

Die Straßen haben sich… ruckartig in Bewegung gesetzt, ziehen schwankend an dir vorbei; der Tag kennt dich nicht! Da ist ja auch schon die Gutleutstraße mit ihrem Behördendunkel: das Staatsbauamt, das Amt nur Fremdverkehr – soll man sich grüßen? Der Tag schweigt verstockt, in jedem Parkhaus lauert der Tod! Wie, sagst du dir, das Bahnhofsviertel? So klein, so klein und ohne Gesicht und das soll schon alles? Und kehrst augenblicklich um, einfältig wie nur eine Märchengestalt die sich verirrt hat im Zauberwald, um deine Spuren auf diesem wankelmutigen Pflaster zu suchen.

Vergangenheiten, die Jugend, mein Leben hat viele Haltten. Und, in Gedanken ein Riese, noch ein gewaltigen Fußtritt für das Vereinigte Aachner und Münchener Haus, weil es so dasteht, als ob es nur darauf wartet mit seiner polierten Fassade; weil du nicht aufhören kannst, und das quält dich, an das versunkende Eckhaus von früher zu denken. Wie dieses klamme lausige Gegenwart eben beschaffen ist: was man nicht im Kopf behält auf eigene Rechnung, ist gleich für immer verloren!

Weil es dir zu schnell ging, weil du wie amtliche Scheuklappen, ein Staatsbürger, ein Frankfurter Fußgänger, nix mehr gesehen hast (und das darf man nicht hinnehmen): deshalb bist du umgekehrt! Jetzt, den Rückweg zu finden, laß dir nur Zeit! Stationen, drei Kneipen im jedem Haus, warum denn nicht den ganzen Tag brauchen von der unteren Weser bis in die obere Moselstraße, soviel hast du hier doch erlebt und kennst dich kaum wieder, und wirst dich nach Jahren erinnern, wie du heute daran gedacht hast bei jedem Schritt: hinterher wird es unbestreitbar unser Leben gewesen sein, unsere Zeit! Hinter der nächsten Ecke schon wartet der Abend und kommt gleich ingang mit all seinen heutigen Lichtern und Stimmen, Musik auch, erkennst du jetzt alles wieder? Der da geht und drei Wünsche freigehabt hat, das bist du doch selbst gewesen! Ist es nicht, als ob sie ein Feuer anzünden, Nacht für Nacht, hier im Bahnhofsviertel. Wie jetzt die Preise sind, fragst du dich; der Oberbürgermeister wird es auch nicht wissen!

Unterwegs zum Bahnhof: wir können froh sein wenigstens für die griechischen und türkischen Läden und Kneipen in der Münchener Straße. Auf der linken Seite. Auf einmal spürst du, du hast deinen Körper wieder. Wie in einem anderen Land: auf einmal gehst du mit all deinen Gliedern und Sinnen, mit Lust. Statt wie sonst – undeutlich nur ein Knoten der sich bewegt, zum Teufel, in dem allgemeinen Gewirr, im Frankfurter Straßenschritt. Kaum bleibst du stehen (in Gedanken wo weiß ich auch nicht), da hat dir der griechische Händler auch schon einen lächelnden Pfirsich geschenkt. Damit du glaubst, daß er süß ist und saftig! Und jetzt siehst du, es ist bald Kirschenzeit. Als Kind bist du jedes Jahr durch das Kirchenwäldchen (ins Stafmojer Keschewäldche) und über den Goldmorgen, so hieß da ein Feldstück, in den Juni hineingegangen und auf einen Geburtstag zu. Und hier merkst du es gerade noch am Preis, an der Fülle, an den weitgereisten Obstkisten die da stehen – und siehst blitzartig den ganzen langen Weg den sie gekommen sind, vor dir aufflackern: früh im Sommer die Landstriche, Straßen und Küsten unter vielen Himmeln, Thrakien, Thessalien, Arkadien, jede Tankstelle, jeden elenden Wellblechschuppen, die staubigen Esel, die schlingernden Schiffe, die müden Güterzüge und ramponierten Lastwagen von hier bis Morea, bis ans äußerste südliche Ende des Peloponnes und dahinter die Inseln, im Abend versinkend, im letzten Licht. Wir hätten die Erde nicht aufgeben sollen! Einmal hast du hier in der Münchener Straße einen Koffer neben das Auto gestellt, statt in den Kofferraum, dann gleich abgefahren, schnell weg, und du hast ihn zurückgekriegt unversehrt! Es hätte genausogut ein Koffer voll Geld gewesen sein können, nachträglich! Wie du weitergehst, ist die Sonne doch durchgekommen, du siehst es an deinem vergänglichen Schatten. Der wandert so mit. Wenn es den nicht mehr gibt, wird es dir leid sein um ihn, so lang habt ihr euch gekannt! Und vergiß nicht den saftigen süßen Pfirsich! Zum Bahnhof, ja richtig, ein Bahnhof für überallhin! Das alte Jahrhundert!

Noch zwanzig Jahre nach Kriegsende standen im Bahnhofsviertel die Ruinen teils leer und mit Brettern vernagelt, teils konfus (wie im Schlaf) nur halb wieder aufgebaut am Rand des Abends, als ob gleich hinter ihnen das Meer anfinge. Wie gestrandete Schiffe. Als ob sie seit vielen Jahren und Zeitaltern schon dabei sind, mit der Zeit die vergeht ein Stück in die Erde hineinzusinken. Wie ist denn das zugegangen? Du könntest schwören, daß du hier ein paar echte Erdbeben auch erlebt hast!

Wie in deiner Kindheit am Ende eines langen Tages die Benzinpfützen auf dem heißen Asphalt, keine Wolken am Himmel, so leuchtend und schillern die Bilder in deinem Gedächtnis in den unwahrscheinlichsten Regenbogenfarben und suchen dich unentwegt heim; der Himmel ein leerer Spiegel. Jetzt gehst du und liest die Namen: Palais d’Amour, Lido, Moulin Rouge. Wie bunte Lämpchen. Noch lang bis es dunkel wird. Und auf einmal kommst du (umständlich genug) darauf, daß diese Namen direkt auf die abgenutzten Plüschphantasien aus der erledigten Welt unserer Großväter zurückgehen; davon haben sie unbeholfen geträumt oder nicht zu träumen gewagt in ihren Kontoren und Arbeitsverschlägen und selbstgezimmerten Käfigen, Konsule, Kassierer, Kutscher und Schustergesellen. In ihren halben Ehebetten und in der respektablen Sonntagsnachtmittagslangeweile ihrer gesegneten guten Stuben. Halbwüchsige Bäckerjungen die um vier Uhr früh nach vier Stunden Schlaf die duftenden frischen Brötchen austragen, fröstelnd, und im Halbschlaf komplette Operetten auswendig trällern und pfeifen wie Stare, in die abgasfreie kühle graue Vortagsluft des Jahres 1896 hinein. Austräger, Lehrjungen, für jedes Gähnen prompt eine Ohrfeige!

Das Wort = Aber = galt als Widerspruch, eine Frechheit in ihrem Mund; statt mit ihrem Namen wurden sie mit Rippenstößen angeredet. Die unterwürfigen Lehrmädchen mit in den Keller genommen, für Prügel und zum Vergnügen oder beides im einem. Ein gesunder Schlaf, ein gutes Gewissen. Davon haben sie nach jedem Krieg wieder geträumt, bessere Sklavenhalter bis weit in unser Jahrhundert hinein. Die Dienstmädchen hatten nur Vornamen, waren froh für die Arbeit und dankbar für jeden Dreck den sie wegputzten durften und wußten was sich gehört. Und die Brötchen: haben drei Stück ein Heller gekostet und waren selbstredend größer und besser als heute. Sind noch warm ins Haus gebracht worden, hat man Beutel zum Hochziehen aus dem eigenen Küchenfenster gehängt. Nie ist was geklaut worden und in jeder Stadt gab es eine Kaiserstraße. Nicht zu vergessen die Sonntage, Gott sieht zu, er macht eine Pause: es gibt Werktagsgefühle und Sonntagsgefühle, die einen und die anderen Sünden und Gerechtigkeiten und alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, ein barbarisches Zeitalter nach dem anderen. Und sind auf uns und die Gegenwart (welche Gegenwart denn?) überkommen wie Schlafgesichte von Fledermäusen und Denkmälern, wie Vampire und Erbkrankheiten. Wahrhaftig, auch wenn die Nutte inzwischen alle drei Monate frisch eingeflogen werden, bereits dressiert, gedopt und mit Mindestwortschatz, aus Ländern mit schlechteren Handelsbilanzen, mit besserer Luft und reinerem Wasser und niedrigeren Lebenserwartung und mit wieder anderen Träumen. Und im Blitz-Tip inserieren die zu Hostessen avancierten, telefonisch zu buchenden Nutten aus dem Westerwald, aus Offenbach, Hanau und Heddernheim regelmäßig und jeden verständlich als Pusztamädel aus dem Land der Mitternachtssonne und Perle von Jamaica. Sie haben ihre eigenen Druckklischees für die wöchentlichen Anzeigen. Und sonst sollte uns nix zu wünschen eingefallen sein, fragst du dich erbittert, jetzt schon zu deinem Untrost in unabsehbare Selbstgespräche verstrickt, mehr hätten wir nicht gewollt und nicht gewußt? Als ob die hiesige Menschheit seither das Wünschen verlernt hätte! Sowieso inzwischen eine Angelegenheit der Medien und Agenturen! Und müssen wir diese toten Großväter in ihrer Walzergeseligkeit nicht auch noch beneiden? Nicht um ihre Ersparnisse, sondern um ihre Selbstgerechtigkeit, um die Familienfotos, um diesen Anschein von Dauer und Frieden, den es nie mehr geben wird. Damit sind sie uralt geworden. Es ist der letzte irdische Frieden gewesen: nie wieder wird eine Menschlichkeit so ahnungslos sein können!

Andere Namen, als zitternde Leuchtschriften siehst du sie ohne Ende durch deine Tage und Jahre, durch dein abendmüdes Gedächtnis geistern: sie gehen direkt auf die volkstümliche bornierten Filme, die idiotischen Schlager und Schnapsideen der frühen fünfziger Jahre zurück. In genau solchen Puffs und Neppkneipen hätte damals jeder männliche Wahlberechtigte als Lottogewinner seine staatlichen halben Millionen verjubeln mögen: erst fraglos verjubeln, dann eine deutsche Weltreise und nicht nach dem Preis fragen, dann das gute Geld bis auf den letzten Fennich getrost nach Hause tragen in einem nagelneuen (vom eigenen ehrlich verdienten Wochenlohn bezahlten oder in der gegnerischen Verwandtschaft eigens dafür ausgeliehen) Kaufhauskoffer, Kunstleder; dann stumpfsinnig ein deutsches Haus bauen, „Villa Sonnenschein“, ein wirkliches Traumschloß kaufen, Neuschwanstein mit Zentralheizung, mit Stragula-Fußboden, Gärtner und Busverbindung (Teppichböden kamen erst später über den Teich), ein Hotel für feine Leute eröffnen: Kurhotel Regina – die eigene Frau, glatt vergessen: wie hieß sie doch gleich? Den feinen Leuten zusehen wie sie leben, schlau das Geld für sich arbeiten lassen wie einen rastlosen Ameisenhaufen und jeden Tag mehrfach nachzählen: lauter einzelne Markstücke! Sich die niedlichen kleine Brigritte Bardot kaufen und Gina Lollobrigida, Geschenkverpackung! Und der eigenen Frau als Überraschung ein vergoldetes silbernes Halskettchen und einen frühen Staubsauger kaufen, den ersten im dämmrigen Dorf bzw. in der heimatlichen Abendmietskaserne, im christlichen Vorort, herrje, im ganzen diskriminierenden Sozialen Wohnungsbau. Einen Mercedes 300 mit Schofföhr kaufen und den unsterblichen Bundeskanzler und die verkalkten eigenen Schwiegereltern (sie sind noch ein bißchen am Leben) zum Essen einladen, zu Kaffee und Kuchen! Die Schwiegereltern im letzten Moment doch lieber schnell wieder ausladen, damit sie uns vor dem Herrn Dr. Bundeskanzler nur ja nicht blamieren – sie kommen beim Kauen mit dem gemeinsamen neuen Gebiß nicht zurecht, sie haben von nix eine Ahnung und müssen in alles reinreden! Der Herr Bundeskanzler weiß was sich gehört: wird den ganzen Sonntagnachmittag lang den neuen Musikschrank bewundern!

Die anderen regelmäßigen Traum, den eigenen Arbeitsplatz kaufen, die gutgehende ruinierte Firma, den Arbeitsgeber aufkaufen, die Konkurrenz auch gleich mit! Und sich fünf teure Minuten lang den uralten Wunsch erfüllen: im Direktorsessel, im Sonntagsanzug, eine Fünf-Mark-Zigarre und die Füsse auf den Tisch, so tun als ob man diktiert und telefoniert! Wie nicht recht bei sich, wie jemand anders: drei oder vier Leben lang drauf gewartet! Und sich dabei von allen Seiten fotografieren lassen! (Nie vorher je eine Zigarre geraucht! Noch 1959 war ein Telefon jedem Hilfsarbeiter, jedem normalen Menschen hierzulande ein höheres Unding!) Dann weiterhin bescheiden als Handlanger von Maschinen in der eigenen Firma und den aufgekauften Direktor, den sanierten Werksgötzen alle Tage von unten rauf grüßen wie eh und je. Den Gewinn vergraben, auf die hohe Kante, von der eigenen Frau mit verbundenen Augen in die verlegenen Matratzen einnähen lassen. Mit Schusterzwirn! Doch wohl eher aufs Sparbuch und nie anrühren, nur im äußersten Notfall anrühren, um keinen Preis jemals anrühren! Im Gegenteil noch hastig dazusparen Woche für Woche! Wie denn und wo vergraben in Gottes Namen!

Nach Mitternacht auf einer städtischen Baustelle: Betreten verboten! Sich selbst mit Taschenlampe leuchten dabei: die Taschenlampe atemlos mit dem Mund halten und wie ein Maulwurf graben mit beiden Händen, so hart ist der städtische Untergrund. Kommt morgen amtlich drei Lagen Teer druff! Lotto und Fußballfoto! Nicht daß sie in der Mehrzahl je mehr als selten vier Mark fuffzich gewonnen hätten, bestenfalls, doch konnten immerhin von Samstag zu Samstag beharrlich dran glauben: jeder echte Glauben erneuert sich aus sich selbst heraus! Statt als Metallmitarbeiter – keine Erlösung in Sicht – zehn Jahre eher zu sterben! Kinder haften für ihre Eltern! Statt daß sie einen endgültigen Montagmorgen nicht mehr aufgestanden wären (die Möbel auf Raten erst halb bezahlt), einen Mittwochmittag aus angeblich heiterem Himmel heraus die Arbeit beidhändig hingeschmissen für immer, einen Samstagabend ohne Namen und Vergangenheit gar nicht mehr heimgefunden, Sonntagnachmittag sich ein Herz gefaßt und endlich eine Ordnung und Stille geschaffen im Haus und im Land und im unbegreiflichen eigenen Kopf mit der Axt in der Hand: jetz is Frieden! Die Puffs, die Kneipen, die Namen, manchmal hast du manche von ihnen jahrelang vergeblich gesucht – wie weggezaubert, das gibt es! Jetzt gehst du und schreibst dir die Namen auf!

Und ein paar wahrhaftige Lottogewinner (die muß es auch gegeben haben, genau wie statistisch den Durchschnittverbraucher mit wachsenden Ansprüchen) werden ihren Gewinn auch wirklich hier oder in ähnlichen ehrlichen Puffs und Neppkneipen mühsam verjubeln haben! Weil sie nicht wußten wohin damit, so plötzlich jetzt und ein ganzes Leben lang drauf gewartet! Weil sie keine Übung und keine Übersicht hatten und im Schreck im ersten Glück nach dem zwoten Glas nicht aufhören konnten: in der einen Hand einen blonden Arsch, gut und teuer, in der andern Hand, die uns immer noch an den Preßlufthammer von gestern erinnert, biegsam brünette Brüste – und sich den Edeka-Sekt, die Flasche zu DM 685,- vierhändig durch die siegreiche Kehle gießen lassen, weil es letzten Endes noch das vernünftigste war, was sie mit dem ungewohnten Reichtum schnell anfangen konnten. Um baldmöglichst auf die Erde zurückzugelangen. Sie hätten sonst nicht daran glauben können. Als ich zwölf war oder so eine Serie in der damaligen Familien-Quick, beim Friseur in der Neuen oder Münchener Illustrierten, im Grünen Blatt oder weiß der Teufel: die sinnigen Beichten jedenfalls von einem Dutzend Lottogewinnern. Ein paar Jahre danach und jedem ging es nicht zu Unrecht weit schlechter als vor dem Gewinn! Das Geld im Arsch, sich beim Hausbau übernommen: jetzt Magenleiden, einen Leberschaden, einen doppelten Herzinfarkt und fünf Vaterschaftsanklagen von drei verschiedenen Müttern (die Ähnlichkeit wie aus dem Gesicht geschnitten und alle Bälger die gleich Blutgruppe). Falsche Freunde, sie dachten der Zaster recht ewich, Goldgruben in Alaska. Die eigene Frau mit geschädigten Kindern auf und davon, will jetzt ihr Anteil einklagen von dem Geld was er längst nicht mehr hat – wo ist es denn eigentlich hin? Der Neubau halb fertig zur Ruine oder zieht nächstens ein wildfremder neureicher Taxiunternehmer drin ein. Vor unseren Augen. Die eigenen Kinder kennen uns nicht! Jetzt soll er arbeitslos, krank und nichtmal versichert DREIHUNDERTTAUSEND Mark Steuern nachzahlen, so viele Nullen, daß er ohne Anwalt gar nicht zurechtkommt! Einer hat den René Kollo tagelang life für sich allein singen lassen oder für sich und seine ehemaligen Arweitskumpel. Tatsachenbericht. Ein Jahr lang mit Taxi von Spielbank zu Spielbank, mit Aktentasche voll Geld, immer rechtzeitig nachgefüllt. Fahren ohne Führerschein, Trunkenheit am Steuer. Jetzt wünscht er sich krank und elend seine alte Knochenarbeit zurück, die Familie zurück, die Zweizimmerwohnung mit dem Klo auf der Treppe. Daß sie nächstens in der verklärten Vergangenheit vom Lohnsteuer-Jahresausgleich sparsam und glücklich eine Woche in den Schwarzwald fahren könnten oder ein neues Klappsofa kaufen, eine preiswerte Bettcouch! Daß er Samstagabend daheim müd in der Küche sitzt, im Unterhemd, sein Bier vor sich, die Kinder im Bett, die Frau backt einen Dr.-Oetker-Kuchen. Im Radio das Wunschkonzert, die Schlagerparade von 1956, das Bier nicht zu warm, nicht zu kalt, und er wartet auf die Lottozahlen! Morgen ausschlafen! Der Betroffenste querschnittsgelähmt im neuen Rollstuhl (mit Foto), weil gleich bei der ersten Ausfahrt der neue Ferrari zu schnell war (vorher immer bloß einen Llyod LP 400, den hat er im Siegestaumel einen Kindergarten als Spielzeug gestiftet) und in seiner ungewohnten Reglosigkeit eben dabei sein Unglück das besserwisserische Walten Gottes zu entziffern: Geld macht nicht glücklich, Gott aber ist undurchschaubar! Vielleicht muß er sich jeden Tag alles neu ausdenken, am Ende Er auch: die ganze (bekannte) Welt! NACH JEDEM ERWACHEN: DIE WELT NEU ORDNEN!

Aus: Pflasterstrand 189 vom 28.7.1984

>> Hier geht es zum ersten Teil.
>> Hier geht es zum dritten Teil.
>> Hier geht es zum vierten und letzten Teil


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