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Mousonturm
Turm mit Doppelspitze
Am 1. September übernehmen Anna Wagner und Marcus Droß die gemeinsame Leitung des Mousonturms. Als Dramaturgin und Dramaturg waren beide schon vorher am Haus und gehen nun in ihre neuen Leitungsrollen über. Ein Interview.
Journal Frankfurt: Frau Wagner, Herr Droß, der Mousonturm bietet ein vielfältiges Programm aus unterschiedlichen Sparten mit nationalen wie internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Wie sehen Sie die Rolle des Mousonturms im Frankfurter Kulturleben?
Marcus Droß: Für uns steht zum einen das im Zentrum, was wir mit dem Wort „Künstler*innenhaus“ verbinden. Auf der anderen Seite der Begriff „international“. Das Tolle an beidem ist: Es weist einerseits nach Frankfurt und andererseits weit aus Frankfurt hinaus.
Anna Wagner: Die Position des Mousonturms ist einzigartig. Er ist das einzige Mehrspartenhaus in der Stadt, und das heißt nicht nur Tanz, Theater, Musik und Performance. Es heißt auch: Regionales trifft auf Internationales. Wir sind sozusagen das Drehkreuz, und das wollen wir weiter ausbauen.
Wie sehen Sie dabei also Ihre neue Rolle?
Droß: Unsere ästhetische Vision für den Mousonturm ist die der Vielstimmigkeit, das beginnt mit uns, dem Intendanz-Duo und gilt vor allem für die Künstlerinnen, die hier arbeiten. Wir sehen uns in der Rolle des Moderierens, des Bündelns, des Zuspitzens. Wir wollen zuhören. Wie arbeiten Menschen? An welchen Themen arbeiten sie? Was sind ihre Arbeitsbedingungen? Solche Tendenzen möchten wir artikulieren helfen und sagen: Das sind für uns wichtige Fragen und Forderungen.
Wagner: Wir sehen uns als Anstifter*innen. Wir wollen Bereiche, Orte und Gruppen in der Stadt kennenlernen und sie ermutigen, in der Stadt sichtbar zu werden.
Als Doppelspitze treten Sie bewusst ohne einen dominanten Einzelkopf auf. Kommt die Zeit der „großen Intendanten“ – wie etwa Peter Zadek, Frank Castorf oder Claus Peymann sie verkörperten – an ihr Ende?
Wagner: Das hängt davon ab, welches Theater man betrachtet. Der Mousonturm hat immer schon mit Gruppen gearbeitet, die ein gemeinsames Arbeiten erproben. Deswegen würde ich sagen: Die kollaborative Arbeitsform ist bereits da. Sie ist bloß noch nicht auf den Leitungsebenen der Theater angekommen. Außerdem hoffe ich, dass unterschiedliche Arbeitsweisen koexistieren können. Ich würde nicht dogmatisch sagen: „Der Einzelkünstler oder die Einzelkünstlerin wird vom Kollektiv abgelöst!“ Ich hoffe auf eine Akzeptanz unterschiedlicher Arbeitsweisen.
Droß: Wir haben am Mousonturm kein eigenes Ensemble. Dafür steht der Mousonturm auch: für seine Vielstimmigkeit. Die Frage „Wo entstehen Kommunikationsräume?“ führt diese Vielstimmigkeit wieder zusammen.
Durch sie wird es kein beliebiges Nebeneinander von Programm, sondern ein Ins-Gespräch-Kommen, eine kaleidoskopartige Verdichtung. Wir können nicht mehr für alle sprechen. Wir können ihnen Plattformen bieten.
Kann man also sagen: Die Doppelspitze ist damit genau die passende Leitungsform für den Mousonturm?
Droß: Genau das ist unsere Parole. Nach zehn Jahren Arbeitserfahrung am Mousonturm kann ich sagen: Die Doppelspitze ist der konsequente Schritt.
Am 1. September übernehmen Sie die gemeinsame Leitung. Was werden Ihre ersten Schritte sein?
Droß: Wir feiern ein tolles Programm, an dem wir zwei Jahre lang gearbeitet haben, zusammen mit der Stadtgesellschaft und internationalen Gästen. Viele dieser Projekte liegen uns sehr am Herzen. Und sie bersten geradezu vor Potenzial, um anschaulich zu machen, wofür der Mousonturm steht.
Wagner: Konkret könnte man sagen: Wir verstärken Akzente, die wir in den letzten Jahren schon setzen konnten. Wir freuen uns außerdem, dass wir ab dem 1. September mit dem alten neuen Team unsere Arbeit starten können. Weil Marcus Droß und ich nun in eine andere Position rücken, haben wir ein neues Dramaturgie-Team, das mit uns gemeinsam seine Arbeit beginnen wird. Auf diese Zusammenarbeit freuen wir uns, ebenso wie die Arbeit mit den vertrauten Kollegen und Kolleginnen fortzuführen.
Sie beide sind nicht neu am Mousonturm. Frau Wagner, Sie waren ab 2014 feste Dramaturgin am Haus. Herr Droß, Sie waren bereits ab 2012 fester Dramaturg und in der Saison 2012/13 zudem Co-Interimsleiter. Wie wirkt sich das auf Ihre neue Position aus?
Droß: Bislang waren wir hauptsächlich für die Gestaltung des Programms zuständig. Wir haben Produktionen und Koproduktionen am Mousonturm in die Wege geleitet, sie mitentwickelt und ihre Finanzierung ermöglicht. Das werden wir auch weiterhin tun. Gleichzeitig kommt jetzt aber die Gestaltung der ganzen Institution dazu, und damit Fragen ihrer Zugänglichkeit für die Stadtgesellschaft. Etwa: Wie barrierefrei ist der Mousonturm? Diese Frage erörtern wir derzeit mit der Politik, und wir wollen den Mousonturm zu einer Modellinstitution hin entwickeln. Natürlich braucht so etwas Zeit. Auch die Diversifizierung eines Teams braucht Zeit. Hier ist es uns ein zentrales Anliegen, dass sich Veränderungen und Entwicklungen auf das ganze Theater auswirken, also vor, auf und hinter der Bühne.
Kann der Mousonturm dabei eine Vorbildrolle einnehmen?
Wagner: Auf jeden Fall. Der Mousonturm hat schon immer neue Arbeitsweisen erprobt, vorgeschlagen und realisiert –
das sehen wir auch weiterhin als unseren Auftrag. Dabei zu zweit zu sein, bedeutet zugleich, sich auf der Leitungsebene permanent in Bewegung zu bringen und Schritte transparent zu kommunizieren. Auf der Leitungsebene wollen wir zuhören, befragen und nach außen sichtbar machen. Der Mousonturm hat dafür eine gute Größe und noch dazu seine internationale Strahlkraft. In dieser Kombination sind wir eine Modellinstitution.
Das ist die Innenseite des Hauses. Auf der anderen Seite steht das Publikum. Nach dem letzten Lockdown ist ungefähr ein Drittel der Zuschauer nicht zurück in die Theater gekommen. Ist das am Mousonturm ähnlich?
Wagner: Das betrifft nicht nur das Theater. Es betrifft den ganzen Kultursektor. Die Auslastungszahlen am Mousonturm sind auch hier nicht die von 2019. Aber ich bin zuversichtlich, dass wieder mehr Menschen ins Theater kommen werden. Wir haben derzeit etwa viel mehr Abendkassenpublikum. In den letzten Wochen waren Vorstellungen letztlich ausverkauft, von denen wir noch kurz vorher dachten: Da kommt keiner. Ich hoffe, dass die Leute trotz der hohen Covid-Zahlen nicht den Mut verlieren und ihren Weg ins Theater finden.
Droß: Das andere Prinzip, das wir dabei verfolgen, sind Kooperationen. Die Frage „Wer möchte eigentlich mit wem kooperieren, um Synergien oder eine sich wechselseitig verstärkende Sichtbarkeit zu erzeugen?“ erleben wir in vielen solcher Kooperationen, zum Beispiel bei dem vom Mousonturm getragenen Festival „Politik im Freien Theater“ (28. September bis 8. Oktober).
Andersherum gefragt: Was verpasst man, wenn man sich Kultur entgehen lässt?
Droß: Man verpasst ein Sich-angesprochen-Fühlen. Man verpasst es, ergriffen zu werden. Und man verpasst, dass so etwas andere Räume schaffen kann: Räume, die Fragen eröffnen, und andererseits Räume, in denen sich der gedankliche Druck auch wieder öffnet. Genau solche Räume wollen wir öffnen.
Wagner: Man verpasst das gemeinsame Erleben lustiger oder berührender Dinge. Auch das Erleben von Dingen in ihren Widersprüchlichkeiten verpasst man. Ich glaube, dass so ein Erleben wirklich nur im Theaterraum möglich ist.
Marcus Droß: Für uns steht zum einen das im Zentrum, was wir mit dem Wort „Künstler*innenhaus“ verbinden. Auf der anderen Seite der Begriff „international“. Das Tolle an beidem ist: Es weist einerseits nach Frankfurt und andererseits weit aus Frankfurt hinaus.
Anna Wagner: Die Position des Mousonturms ist einzigartig. Er ist das einzige Mehrspartenhaus in der Stadt, und das heißt nicht nur Tanz, Theater, Musik und Performance. Es heißt auch: Regionales trifft auf Internationales. Wir sind sozusagen das Drehkreuz, und das wollen wir weiter ausbauen.
Wie sehen Sie dabei also Ihre neue Rolle?
Droß: Unsere ästhetische Vision für den Mousonturm ist die der Vielstimmigkeit, das beginnt mit uns, dem Intendanz-Duo und gilt vor allem für die Künstlerinnen, die hier arbeiten. Wir sehen uns in der Rolle des Moderierens, des Bündelns, des Zuspitzens. Wir wollen zuhören. Wie arbeiten Menschen? An welchen Themen arbeiten sie? Was sind ihre Arbeitsbedingungen? Solche Tendenzen möchten wir artikulieren helfen und sagen: Das sind für uns wichtige Fragen und Forderungen.
Wagner: Wir sehen uns als Anstifter*innen. Wir wollen Bereiche, Orte und Gruppen in der Stadt kennenlernen und sie ermutigen, in der Stadt sichtbar zu werden.
Als Doppelspitze treten Sie bewusst ohne einen dominanten Einzelkopf auf. Kommt die Zeit der „großen Intendanten“ – wie etwa Peter Zadek, Frank Castorf oder Claus Peymann sie verkörperten – an ihr Ende?
Wagner: Das hängt davon ab, welches Theater man betrachtet. Der Mousonturm hat immer schon mit Gruppen gearbeitet, die ein gemeinsames Arbeiten erproben. Deswegen würde ich sagen: Die kollaborative Arbeitsform ist bereits da. Sie ist bloß noch nicht auf den Leitungsebenen der Theater angekommen. Außerdem hoffe ich, dass unterschiedliche Arbeitsweisen koexistieren können. Ich würde nicht dogmatisch sagen: „Der Einzelkünstler oder die Einzelkünstlerin wird vom Kollektiv abgelöst!“ Ich hoffe auf eine Akzeptanz unterschiedlicher Arbeitsweisen.
Droß: Wir haben am Mousonturm kein eigenes Ensemble. Dafür steht der Mousonturm auch: für seine Vielstimmigkeit. Die Frage „Wo entstehen Kommunikationsräume?“ führt diese Vielstimmigkeit wieder zusammen.
Durch sie wird es kein beliebiges Nebeneinander von Programm, sondern ein Ins-Gespräch-Kommen, eine kaleidoskopartige Verdichtung. Wir können nicht mehr für alle sprechen. Wir können ihnen Plattformen bieten.
Kann man also sagen: Die Doppelspitze ist damit genau die passende Leitungsform für den Mousonturm?
Droß: Genau das ist unsere Parole. Nach zehn Jahren Arbeitserfahrung am Mousonturm kann ich sagen: Die Doppelspitze ist der konsequente Schritt.
Am 1. September übernehmen Sie die gemeinsame Leitung. Was werden Ihre ersten Schritte sein?
Droß: Wir feiern ein tolles Programm, an dem wir zwei Jahre lang gearbeitet haben, zusammen mit der Stadtgesellschaft und internationalen Gästen. Viele dieser Projekte liegen uns sehr am Herzen. Und sie bersten geradezu vor Potenzial, um anschaulich zu machen, wofür der Mousonturm steht.
Wagner: Konkret könnte man sagen: Wir verstärken Akzente, die wir in den letzten Jahren schon setzen konnten. Wir freuen uns außerdem, dass wir ab dem 1. September mit dem alten neuen Team unsere Arbeit starten können. Weil Marcus Droß und ich nun in eine andere Position rücken, haben wir ein neues Dramaturgie-Team, das mit uns gemeinsam seine Arbeit beginnen wird. Auf diese Zusammenarbeit freuen wir uns, ebenso wie die Arbeit mit den vertrauten Kollegen und Kolleginnen fortzuführen.
Sie beide sind nicht neu am Mousonturm. Frau Wagner, Sie waren ab 2014 feste Dramaturgin am Haus. Herr Droß, Sie waren bereits ab 2012 fester Dramaturg und in der Saison 2012/13 zudem Co-Interimsleiter. Wie wirkt sich das auf Ihre neue Position aus?
Droß: Bislang waren wir hauptsächlich für die Gestaltung des Programms zuständig. Wir haben Produktionen und Koproduktionen am Mousonturm in die Wege geleitet, sie mitentwickelt und ihre Finanzierung ermöglicht. Das werden wir auch weiterhin tun. Gleichzeitig kommt jetzt aber die Gestaltung der ganzen Institution dazu, und damit Fragen ihrer Zugänglichkeit für die Stadtgesellschaft. Etwa: Wie barrierefrei ist der Mousonturm? Diese Frage erörtern wir derzeit mit der Politik, und wir wollen den Mousonturm zu einer Modellinstitution hin entwickeln. Natürlich braucht so etwas Zeit. Auch die Diversifizierung eines Teams braucht Zeit. Hier ist es uns ein zentrales Anliegen, dass sich Veränderungen und Entwicklungen auf das ganze Theater auswirken, also vor, auf und hinter der Bühne.
Kann der Mousonturm dabei eine Vorbildrolle einnehmen?
Wagner: Auf jeden Fall. Der Mousonturm hat schon immer neue Arbeitsweisen erprobt, vorgeschlagen und realisiert –
das sehen wir auch weiterhin als unseren Auftrag. Dabei zu zweit zu sein, bedeutet zugleich, sich auf der Leitungsebene permanent in Bewegung zu bringen und Schritte transparent zu kommunizieren. Auf der Leitungsebene wollen wir zuhören, befragen und nach außen sichtbar machen. Der Mousonturm hat dafür eine gute Größe und noch dazu seine internationale Strahlkraft. In dieser Kombination sind wir eine Modellinstitution.
Das ist die Innenseite des Hauses. Auf der anderen Seite steht das Publikum. Nach dem letzten Lockdown ist ungefähr ein Drittel der Zuschauer nicht zurück in die Theater gekommen. Ist das am Mousonturm ähnlich?
Wagner: Das betrifft nicht nur das Theater. Es betrifft den ganzen Kultursektor. Die Auslastungszahlen am Mousonturm sind auch hier nicht die von 2019. Aber ich bin zuversichtlich, dass wieder mehr Menschen ins Theater kommen werden. Wir haben derzeit etwa viel mehr Abendkassenpublikum. In den letzten Wochen waren Vorstellungen letztlich ausverkauft, von denen wir noch kurz vorher dachten: Da kommt keiner. Ich hoffe, dass die Leute trotz der hohen Covid-Zahlen nicht den Mut verlieren und ihren Weg ins Theater finden.
Droß: Das andere Prinzip, das wir dabei verfolgen, sind Kooperationen. Die Frage „Wer möchte eigentlich mit wem kooperieren, um Synergien oder eine sich wechselseitig verstärkende Sichtbarkeit zu erzeugen?“ erleben wir in vielen solcher Kooperationen, zum Beispiel bei dem vom Mousonturm getragenen Festival „Politik im Freien Theater“ (28. September bis 8. Oktober).
Andersherum gefragt: Was verpasst man, wenn man sich Kultur entgehen lässt?
Droß: Man verpasst ein Sich-angesprochen-Fühlen. Man verpasst es, ergriffen zu werden. Und man verpasst, dass so etwas andere Räume schaffen kann: Räume, die Fragen eröffnen, und andererseits Räume, in denen sich der gedankliche Druck auch wieder öffnet. Genau solche Räume wollen wir öffnen.
Wagner: Man verpasst das gemeinsame Erleben lustiger oder berührender Dinge. Auch das Erleben von Dingen in ihren Widersprüchlichkeiten verpasst man. Ich glaube, dass so ein Erleben wirklich nur im Theaterraum möglich ist.
30. August 2022, 10.45 Uhr
Julian Mackenthun
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