Menschen aus 156 Nationen leben in Offenbach. 100 von ihnen haben die Künstlerinnen Sibel und Anny Öztürk und HfG-Professor Heiner Blum interviewt und fotografiert. Noch gesucht: Bürger von Albanien bis Zypern.
Nils Bremer /
100 Interviews haben Sibel und Anny Öztürk und Heiner Blum geführt, 100 Interviews mit Menschen verschiedener Nationalität, jeweils 45 Minuten mit direkten Fragen, "Fragen", wie Heiner Blum sagt, "die man auch mal seinen Freunden stellen sollte." Zum Beispiel: "Was ist Deine Lebensphilosophie?" Oder: "Lebst Du gerne hier?"
Auf letztere Frage haben ausnahmslos alle gesagt: Ja. Ja, wir leben gerne in Deutschland, gerne in Offenbach. Eine Überraschung. "Wir haben eigentlich kratzbürstigere Antworten erwartet", sagt Heiner Blum, schließlich ist Büchner-Jahr und die Ausstellung des Länderboten-Projekts soll im Rahmen dessen eröffnet werden – das ganze Klingspor-Museum gefüllt mit Fotocollagen und einzelnen Zitaten. "Die Gespräche waren äußerst intensiv", sagt Sibel Öztürk. "Es ging von Anfang an zur Sache, die Menschen haben sich gleich geöffnet." Ihre Schwester ergänzt: "Vielleicht erzählt man Fremden einfach mehr als seinen Freunden." Bedingung war auch: Die Zitate werden den Fotos nicht zugeordnet. Das mag es erleichtert haben.
Schwieriger schon: Die Nationen beisammen zu bekommen. Laut Statistik sind es 156. Doch die Statistik ist zwei Jahre alt und tatsächlich hat das Künstler-Terzett etliche Bürger aufgetan, deren Land nicht in den Tabellen der Stadt steht. Das ursprüngliche Ziel 156, Nationen aufzutun, wurde deswegen nach oben korrigiert, es geht jetzt um alle Länder der Welt. "Kennst Du jemanden aus Vatikanstadt", fragt Anny Öztürk und lacht. Aber in Offenbach, so scheint es, ist nichts unmöglich.
Die Gespräche förderten teilweise schwierige Vergangenheiten zutage, eine einjährige Flucht aus Afrika etwa, Bürgerkriegserlebnisse aus dem Balkan von Menschen, die die öffentliche Ordnung als fragiles Gut kennengelernt haben und auch in Deutschland die Gefahr des Zusammenbruchs sehen. "Wir haben unseren Nachbarn Mehl geliehen, ein paar Wochen später brannten sie unser Haus nieder", schilderte eine Frau aus dem ehemaligen Jugoslawien. Umso froher sind die meisten, in Deutschland untergekommen zu sein, selbst wenn sie hier nur Tellerwaschen und in ihrer Heimat akademischen Berufen nachgingen. Ein Kunststück aus solchen Gesprächen ein einzelnes Zitat für die Ausstellung zu extrahieren. Und auch hinter einem einzigen Satz können ganze Geschichten stecken. Eine Frau aus Osteuropa etwa charakterisierte ihr Heimatland als "Suppe aus Axt". Die Story dazu? Ein ausgehungerter Mensch kommt an einem Haus an, verlangt essen, man will ihm nichts geben. "Aber eine Axt, die habt ihr doch, oder?" Haben sie und so wird die Axt in den Kochtopf geworfen. Ein bisschen Wasser? Haben sie auch. Ein bisschen Zwiebeln? Auch das. So geht es weiter bis am Ende die Axt entfernt werden kann aus der wunderbaren Suppe. Gastfreundschaft muss man sich manchmal eben erarbeiten. Und gesellschaftliche Vielfalt auch. Wer einmal das anfangs etwas kühle Herz der Deutschen erweicht hat, der hält eine sichere Freundschaft in den Händen – so charakterisieren viele Einwanderer die Menschen in ihrer neuen Heimat. Offenbach als Suppe aus Axt – das wäre mal ein subversiver Slogan für Frankfurts Nachbarstadt.
Für folgende Nationen werden noch Länderboten mit entsprechendem Migrationshintergrund und einer Beziehung zu Offenbach gesucht:
Albanien Andorra Antigua und Barbuda Äquatorialguinea Australien Bahamas Bahrain Barbados Belize Bergkarabach Bhutan Bosnien und Herzegowina Botswana Brasilien Brunei Burkina Faso Burundi Cookinseln Dominica Dschibuti El Salvador Elfenbeinküste Estland Fidschi Gabun Georgien Grenada Guatemala Guinea-Bissau Guyana Haiti Honduras Irland Jemen Jordanien Kambodscha Kap Verde Katar Kirgisistan Kiribati Komoren Kongo, Demokratische Republik Kongo, Republik Korea Nord Kuwait Laos Lesotho Lettland Libyen Liechtenstein Luxemburg Madagaskar Malawi Malaysia Malediven Mali Malta Marshallinseln Mauretanien Mazedonien Mikronesien Moldau Moldawien Monaco Mosambik Myanmar Namibia Nauru Nepal Neuseeland Nicaragua Niger Niue Oman Osttimor Timor-Leste Palau Panama Papua-Neuguinea Paraguay Ruanda Salomonen Sambia Samoa San Marino Sao Tome und Principe Saudi-Arabien Senegal Seychellen Sierra Leone Singapur Slowakei Slowenien Somaliland St. Kitts und Nevis St. Lucia St. Vincent und die Grenadinen Sudan Südsudan Suriname Swasiland Tonga Trinidad und Tobago Tschad Turkmenistan Tuvalu Uganda Ukraine Usbekistan Vanuatu Vatikanstadt Venezuela Vereinigte Arabische Emirate Westsahara Zentralafrikanische Republik Zypern
Sachdienliche Hinweise bitte an blum@hfg-offenbach.de.