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Foto: © Wolfram Zitz
Foto: © Wolfram Zitz

Gesicht der Stadt

„Ich bin eine Rampensau“

Talla 2XLC gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Techno-/Trance-Szene. An den Ruhestand denkt der 60-Jährige noch lange nicht, erzählt er dem JOURNAL.
JOURNAL FRANKFURT: Du bist in Frankfurt-Bornheim geboren, in Griesheim aufgewachsen. Seit Jahrzehnten legst Du weltweit auf. Was verbindet Dich mit Frankfurt?
TALLA 2XLC: Ich bin ein Bernemer Bub sozusagen und ein Griesemer dazu. Ich bin in meiner Kindheit an Wochenenden immer in Bornheim bei meiner Oma gewesen und habe im Kino Schützenhof von Kasperle und Pippi Langstrumpf bis hin zu Odysseus und Godzilla alle Filmgenres erlebt. Ich liebe Frankfurt mit all seinen Facetten, von Multi-Kulti bis Eintracht Frankfurt, das Mainufer, die City. Ich habe überall auf der Welt aufgelegt, hatte aber nie den Drang auszuwandern. Das Einzige, was mich hier stört: Es gibt zu wenige Clubs inzwischen, da müsste die Stadt mal etwas tun. Siehe Berlin, dort wird die Clubkultur besser supported.

Du giltst als Pionier der Techno-Szene. Der Begriff „Techno“ geht auf Dich zurück. Erzähle uns, wie er entstanden ist.
Nach meiner Lehrzeit arbeitete ich in den Achtzigern im City Musik, in der B-Ebene des Hauptbahnhofs, als Plattenverkäufer. Ich hatte die ganze Dance-Abteilung geführt. Die DJs und die normalen Kunden wussten, dass ich mich mit elektronischer Clubmusik gut auskenne. Sie kamen immer an und fragten, ob ich etwas neues Elektronisches vorrätig habe. Die Schallplatten waren aber von A bis Z und nicht nach Genres einsortiert, das war dann schon etwas mühselig. Ich dachte mir, dieser Sound wird mit einer neuen Technologie erzeugt. Mit Synthies und Drumcomputer. Technologiemusik hörte sich zu sperrig an, also kürzte ich es ab auf „Techno“ und versah einen Plattentrenner damit und sortierte alles ein, was elektronisch war. Damals Depeche Mode, Kraftwerk, Front 242, Italotracks, etc. Das Kürzel hatte also nicht direkt etwas mit dem heutigen Untergenre zu tun, sondern mit der Technologie, mit der sie erzeugt wurde. Das Wort nahm ich dann auch als Eventname, als ich 1984 den Technoclub in der Frankfurter City startete.

Sie wussten, dass ich mich mit elektronischer Clubmusik gut auskenne

Schon damals im Plattenladen war Dir klar, dass Musik Dein Leben ist. Wie lange hat es gedauert, bis Du selbst am DJ-Pult standst?
Also zu Hause war ich schon mein eigener DJ, aber die ersten Engagements hatte ich so circa 1980, ab da zähle ich. Es fing eigentlich an, als ich in der Tanzschule Kiel-Blell bei DJ-Wettbewerben mehrmals mitmachte. In die Tanzschule hatte mich mein ehemaliger Schulkamerad Thomas Bäppler alias Bäppi La Belle hingeschleift. Nachdem ich beim dritten Wettbewerb den ersten Platz erreichte, fragte mich der Tanzschulchef, ob ich Sonntagnachmittags die Teeniedisco mitbeschallen wollte. Dort entdeckte ich dann meine Liebe zum DJing. Zu der Zeit war ich dann auch schon Gast im Dorian Gray, und ließ mich von den damaligen DJs wie Bijan und Freek inspirieren. Ich spielte auch in der Tanzschule immer clubbiger und elektronischer, sehr zum Ärger des Chefs. Ich verließ das Kiel-Blell, weil ein anderer Tanzlehrer und Freund uns ins No Name brachte, wo ich dann am 2. Dezember 1984 den Technoclub startete.

Zu Techno tanzt mittlerweile die ganze Welt. Wie hat sich Techno in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?
Gute Frage, Techno oder elektronische Tanzmusik hat die ersten Keimzellen, wie Frankfurt, Detroit, Chicago, Berlin hinter sich gelassen und ist ein weltweites Phänomen geworden. Techno ist massentauglich und leider auch kommerziell geworden, die Technik lässt viele auflegen, die es gar nicht können und eigentlich eher Showmaker als Handwerker sind. Dem Publikum ist es egal, Hauptsache Torte ins Gesicht, und die Veranstalter wollen den Event voll haben. Es gibt aber noch genügend, denen es auch um die Musik geht, denn das ist in meinen Augen das wichtigste.

Techno hat Frankfurt hinter sich gelassen und ist ein weltweites Phänomen geworden

Du sagtest mal: Techno ist auch Handarbeit. Wie komponiert man einen guten Track?
An erster Stelle steht die Idee. Das können Vocals sein, ein Sprachfetzen, eine Melodie, die einem im Kopf herumschwirrt, oder man ist inspiriert von etwas anderem Musikalischen. Damit setzt man sich ans Equipment und produziert los. Ich mache nicht nur eigene Tracks, sondern auch gerne Remakes oder Covers. Gerade habe ich mit meinem englischen Sänger Gid Sedgwick „Forever young“ gecovert und veröffentlicht. Alphaville haben ihr Okay dazugegeben und die Fans feiern es und singen mit.

Wer sind Deine Vorbilder?
Musikalisch ganz klar Freek Adams, ein holländischer DJ, der in Frankfurt lebt und damals unter anderem im Dorian Gray und in der „Weissen/Pi“ auflegte. Er hat mich maßgeblich mit seiner Musikauswahl und seinem Mixing beeinflusst. Heutzutage mag ich Schiller sehr, als Mensch und Producer. Nicht musikalisch gesehen, würde ich unseren Oberbürgermeister Mike Josef nennen, ich baue große Stück auf ihn, dass er in Frankfurt einiges Gutes nach vorne bringen kann. Und ich hoffe, dass er mich erneut im MOMEM besucht und wir diese Kultureinrichtung nicht nur für die Frankfurter weiter nach vorne bringen können. Das MOMEM ist eine tolle Sache für Frankfurt, ich würde mir mehr Support wünschen. Seitens der Stadt, aber auch von den Frankfurtern.

Meine Vorbilder: Freek Adams, Schiller und Mike Josef

Die Corona-Pandemie hat sicher vieles verändert. Wird noch so gefeiert wie früher?
Es war keine einfach Zeit für uns alle und vor allem auch für die Jugend, die gerade ins Weggeh-Alter kam. Mir fiel wegen all den geplatzten Gigs die Decke zu Hause auf den Kopf und ich fing an, über den Twitch Gaming Kanal live zu streamen, insgesamt rund 1200 Stunden während der Pandemie. Fast täglich und zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, weil ich nicht nur auflegen, sondern auch den ganzen Menschen den Frust nehmen wollte, zu Hause eingesperrt zu sein. Inzwischen streame ich nur noch Montagabends ab 20 Uhr (twitch.tv/talla2xlc). Was die Feierei betrifft, hat sich das extrem in Richtung Festival gewandelt, wo ich auch viel zu finden bin. Wir haben in Frankfurt ein tolles Festival, den World Club Dome. Ich liebe eigentlich beides, die große Bühne zur Show und im Club die Nähe zum Publikum. Ich bin eine Rampensau (lacht), ich brauche die Connection mit den Fans. Meine beiden Homebases sind das MTW und das Europalace. Im letzteren mache ich am 26. Dezember wieder ein großes Fest auf vier Floors.

Du legst jetzt seit fast vier Jahrzehnten auf. Denkst Du manchmal darüber nach, aufzuhören?
Ich hatte in einem früheren Interview mit euch gesagt, dass ich auflege, bis ich ins Gras beiße (lacht). Ich hoffe, dass ich da noch Zeit habe, ich liebe es für die Fans zu spielen, und solange sie mich sehen wollen, mache ich weiter. Gesundheit ist das wichtigste Gut und das wünsche ich auch allen.

Info
Wer Lust hat, tiefer in die Elektronische Welt einzutauchen, kann dies bei einer Führung der Frankfurter Stadtevents. Gemeinsam mit Talla 2XLC und Alex Azary geht es ins MOMEM.
 
Fotogalerie:
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20. November 2023, 06.49 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
 
 
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