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Frankfurt liest ein Buch

Siegfried Kracauer und sein Ginster

Wer dieser Tage ein neues Buch zur Hand nehmen möchte, kann sich eigentlich nur für eines entscheiden. Immerhin liest Frankfurt von 15. bis 28. April wieder ein Buch: Siegfried Kracauers "Ginster".
Frankfurt liest ein Buch, wieder einmal, zum vierten Mal. Und es gehört zum Anspruch und zum Selbstverständnis des Lesefestes, einen Roman auszuwählen, der eine historische Epoche einerseits und die Stadt Frankfurt und deren Besonderheiten in diesem Kontext literarisch spiegelt. Lokalkolorit gehört dazu; es muss ein Buch sein, das Begeisterung wecken kann, das aufklärt, unterhält, überrascht; das einen bis dahin unbekannten Blick auf die Stadt wirft, das Schüler genauso begeistert wie Senioren. Ein Roman als Allzweckwaffe. In Valentin Sengers „Kaiserhofstraße 12“ und Silvia Tennenbaums „Straßen von gestern“ waren es die Zeit des Nationalsozialismus und die Beschreibung jüdischer Schicksale, die das Publikum fesselten; 2011 konnte man sich, mit Wilhelm Genazinos „Abschaffel“-Trilogie an und in der Hand auf die Spuren eines Ange- stelltendaseins in den 70er-Jahren begeben. Und nun, 2013: Siegfried Kracauers „Ginster“; ein Roman, der in den Jahren 1914 bis 1918 spielt und über den sich nicht nur Theodor W. Adorno enthusiastisch äußerte, sondern der auch Thomas Mann zu der nicht eben unpathetischen Bemerkung verleitete: „Dieses Zeugnis wird bleiben.“

Eine der frühen Kindheitserinnerungen Ginsters ist die an einen Straßenbahnschaffner, imposante Erscheinung, blank polierte Uniformknöpfe, der ihn, den Jungen, streng zurechtweist, weil er es gewagt hat, vergnügt vor sich hin zu pfeifen. Was denn werden solle, wird er gefragt, wenn plötzlich alle pfiffen. Mehrere Tage lang traut Ginster sich anschließend nicht, seine Lippen zu spitzen. So ist Ginster. Einer, den die Macht der Obrigkeit immer wieder mit Unverständnis zu erfüllen vermag. Er selbst wird für wehruntauglich befunden; Otto, sein bester Freund, zieht in den Krieg und fällt, wie es heißt, auf dem Feld der Ehre. Ginster hingegen arbeitet für den Architekten Valentin und liefert ihm, auch das eine ironische Pointe, den Entwurf für einen Heldenfriedhof, der glatt mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird. Es gehört zur Wesenhaftigkeit Ginsters, dass er schweigt, als sein Chef ihn bei der Dankesrede mit keinem Wort erwähnt und sich selbst als den Urheber der Pläne ausgibt.

Das durch und durch Naive, durch das Ginster sich auszeichnet, begründet gleichzeitig aber auch die Subversivität des Romans. Besonders deutlich wird das im zweiten Teil, in dem Ginster, nachdem er zuvor vom Militärdienst verschont geblieben wird, dann doch noch einberufen wird. Der militärische Drill, die Formeln von Befehl und Gehorsam, von Disziplin und Vaterlandsliebe lösen sich durch den Filter des Ginster’schen Bewusstseins ins Absurde, Komische, Lächerliche auf. „Ginster im Krieg, das ist Chaplin im Warenhaus“, schrieb der Schriftsteller Joseph Roth.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung. Den kompletten Artikel über Siegfried Kracauer und seinen Roman "Ginster" lesen Sie im aktuellen Journal Frankfurt (Ausgabe 9/2013).

Einige Daten und Termine zu "Frankfurt liest ein Buch" finden Sie hier.
 
Fotogalerie:
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15. April 2013, 11.34 Uhr
Christoph Schröder
 
 
 
 
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