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FAZ-Bürgergespräch in der Oper
Böses Neuland Internet?
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat mit drei Experten in der Oper darüber gesprochen, ob das Internet böse ist. Die Erkenntnis des Abends ist so einfach wie ernüchternd: es kommt drauf an - auf die Menschen.
Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), das Holzmedium des konservativen Bildungsbürgers, zu einem Bürgergespräch zum Thema Internet einlädt, dann wirkt das, als ginge es um Leben auf anderen Planeten. Und wenn man dann die Fragestellung „Ist das Internet böse?“ liest, spürt man geradezu die Angst davor, weil man die Aliens für gefährliche Invasoren hält. Im Zweifel heißen sie Trolle und Shitstormer, Hacker und andere Cyberkriminelle.
Und so lädt man sich (schon wieder) diesen augenscheinlichen Punk ein, an dessen extrovertierten Haarschnitt, dem roten Irokesen, man sich gewöhnt hat, weil der Mann, der ihn trägt, schon ein paar kluge Blogposts, Tweets und Kolumnen geschrieben hat und deshalb auch Beiträge für die FAZ schreiben durfte: Sascha Lobo. Den kann dann ein Moderator wie Mathias Müller von Blumencron, der bei der FAZ Chef des Digitalen ist, als „Internetversteher“ einführen lassen, gar als „Verkörperung des Internets“, damit die zumeist grauhaarigen Zuhörer im Holzfoyer der Oper nicht nur einen kompetenten Erklärer, sondern zugleich auch ein Anschauungsobjekt haben. Seht ihn euch an, so sieht es aus, das Internet – es hat eine Stachelfrisur, man kann sich daran stechen, wenn man nicht aufpasst. Dem stellt man eine Frau, Juliane Leopold, Chefredakteurin bei Buzzfeed Deutschland, zur Seite, und schließt die Runde mit einem anderen FAZ-Spießer, Reinhard Müller, Ressortleiter Zeitgeschehen sowie Staat und Recht, damit alles den Eindruck erweckt, im Gleichgewicht zu sein.
Zu Beginn scheinen die beiden Internet-Experten die Ausgangsfrage zu bejahen: Lobo erzählt von seinen Erfahrungen mit Shitstorms, die er (aus vielerlei ungenannten Gründen) lieber Empörungsstürme nennt, Leopold erzählt von ihren, aber dann relativiert sie das Ganze wieder, indem sie sagt: „Das Internet an sich gibt es nicht. Jeder hat ein anderes Internet.“ Es berge sowohl Gefahren als auch Chancenpotenziale, es ermögliche Teilhabe und Demokratie, aber es ernüchtere und enttäusche sie auch. Müller bestätigt sie, indem er die Metapher von der Datenautobahn in eine Allegorie überführt: Eine Autobahn sei auch ein Ort des Staus, der Langeweile und des Todes. Das Internet gebe einerseits den Menschen Zugang zu Informationen, aber Megakonzerne wie Google und Facebook, denen wir unsere Daten preisgeben, ließen Staaten wie Zwerge aussehen.
Hier könnte im dreifachen Sowohl-als-auch die Diskussion beendet sein, aber weil die Veranstaltung für anderthalb Stunden angesetzt ist, sprechen alle weiter und treten breit, was bereits gesagt wurde. Da ist von der „Brustwarzen-Ideologie“ (Müller) von Facebook die Rede, das Bilder von weiblichen Nippeln löscht, aber rassistische Hetze stehen lässt, vom Widerstreit zwischen AGBs und Rechtstaatlichkeit, ob ein internationaler Konzern wie Facebook überall das gleiche (US-amerikanische) Recht durchsetzen dürfe, ob ein Recht auf Vergessen durchgesetzt werden solle. Lobo und Müller sind da jeweils unterschiedlicher Ansicht. Leopold sagt: „Das Recht auf Vergessen nützt den Falschen.“
Blumencron versucht noch einmal die Debatte zu befeuern: „Müssen wir vor Ehrfurcht vor multinationalen Konzernen erstarren?“ Leopold sagt unbeeindruckt: „Nö.“ Man könne keine Planwirtschaft fürs Internet fordern, stattdessen müsse man die Menschen mündig machen. Journalisten hätten die Aufgabe, die Aufklärungsarbeit zu betreiben. Lobo meint, dass die Aufklärung an ihre Grenzen komme, weil es auf sozialer Ebene einen Zwang zu Facebook und Whatsapp gebe, vor allem bei Jugendlichen.
Ist das Internet also Demokratie oder Totalitarismus? Beides, sagt Lobo und wiederholt, was er in der FAZ geschrieben hat: „Das Internet ist kaputt, aber die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ Leopold befindet das Netz sogar für sexy. Menschen müssten sich vernetzen, sie bräuchten das, sagt sie. Und die Hilfsbereitschaft mit den Flüchtlingen, die sich derzeit zeige, wäre ohne diese Vernetzung nicht möglich gewesen. Das Internet, so ihr Urteil, hinge von den Menschen ab, die es nutzen.
Die Diskussion mit dem Plenum wirkt wie eine Internet-Selbsthilfegruppe für Skeptiker und Desillusionierte. Lediglich ältere Herren stehen auf, stellen sich vor und verkünden mit Stolz, dass sie FAZ-Leser seien und das Internet nutzen (und deshalb eine Meinung dazu haben können), manche beteuern sogar, auf Facebook zu verzichten – und auch gut damit leben können. (Ihre Enkel dürften das anders sehen.) Einer ist sogar der Überzeugung, dass das Internet wirklich böse sei, wegen der vielen Falschinformationen, die dort stehen. Es klingt, als wäre die FAZ allein der Weg, die Wahrheit und das ewige Leben.
Am Ende bleibt die Erkenntnis vom Beginn. Juliane Leopold drückt es so aus: Nicht das Netz sei böse, sondern die Menschen, die komplexen Wesen. Und auch an der Erkenntnis von Sascha Lobo ist etwas dran: Das Netz sei zu komplex, als dass man darauf einfache Antworten geben könne. Um es mit der Bundeskanzlerin zu sagen: Das Netz ist für uns alle Neuland. Für manche sogar auf anderen Planeten.
Und so lädt man sich (schon wieder) diesen augenscheinlichen Punk ein, an dessen extrovertierten Haarschnitt, dem roten Irokesen, man sich gewöhnt hat, weil der Mann, der ihn trägt, schon ein paar kluge Blogposts, Tweets und Kolumnen geschrieben hat und deshalb auch Beiträge für die FAZ schreiben durfte: Sascha Lobo. Den kann dann ein Moderator wie Mathias Müller von Blumencron, der bei der FAZ Chef des Digitalen ist, als „Internetversteher“ einführen lassen, gar als „Verkörperung des Internets“, damit die zumeist grauhaarigen Zuhörer im Holzfoyer der Oper nicht nur einen kompetenten Erklärer, sondern zugleich auch ein Anschauungsobjekt haben. Seht ihn euch an, so sieht es aus, das Internet – es hat eine Stachelfrisur, man kann sich daran stechen, wenn man nicht aufpasst. Dem stellt man eine Frau, Juliane Leopold, Chefredakteurin bei Buzzfeed Deutschland, zur Seite, und schließt die Runde mit einem anderen FAZ-Spießer, Reinhard Müller, Ressortleiter Zeitgeschehen sowie Staat und Recht, damit alles den Eindruck erweckt, im Gleichgewicht zu sein.
Zu Beginn scheinen die beiden Internet-Experten die Ausgangsfrage zu bejahen: Lobo erzählt von seinen Erfahrungen mit Shitstorms, die er (aus vielerlei ungenannten Gründen) lieber Empörungsstürme nennt, Leopold erzählt von ihren, aber dann relativiert sie das Ganze wieder, indem sie sagt: „Das Internet an sich gibt es nicht. Jeder hat ein anderes Internet.“ Es berge sowohl Gefahren als auch Chancenpotenziale, es ermögliche Teilhabe und Demokratie, aber es ernüchtere und enttäusche sie auch. Müller bestätigt sie, indem er die Metapher von der Datenautobahn in eine Allegorie überführt: Eine Autobahn sei auch ein Ort des Staus, der Langeweile und des Todes. Das Internet gebe einerseits den Menschen Zugang zu Informationen, aber Megakonzerne wie Google und Facebook, denen wir unsere Daten preisgeben, ließen Staaten wie Zwerge aussehen.
Hier könnte im dreifachen Sowohl-als-auch die Diskussion beendet sein, aber weil die Veranstaltung für anderthalb Stunden angesetzt ist, sprechen alle weiter und treten breit, was bereits gesagt wurde. Da ist von der „Brustwarzen-Ideologie“ (Müller) von Facebook die Rede, das Bilder von weiblichen Nippeln löscht, aber rassistische Hetze stehen lässt, vom Widerstreit zwischen AGBs und Rechtstaatlichkeit, ob ein internationaler Konzern wie Facebook überall das gleiche (US-amerikanische) Recht durchsetzen dürfe, ob ein Recht auf Vergessen durchgesetzt werden solle. Lobo und Müller sind da jeweils unterschiedlicher Ansicht. Leopold sagt: „Das Recht auf Vergessen nützt den Falschen.“
Blumencron versucht noch einmal die Debatte zu befeuern: „Müssen wir vor Ehrfurcht vor multinationalen Konzernen erstarren?“ Leopold sagt unbeeindruckt: „Nö.“ Man könne keine Planwirtschaft fürs Internet fordern, stattdessen müsse man die Menschen mündig machen. Journalisten hätten die Aufgabe, die Aufklärungsarbeit zu betreiben. Lobo meint, dass die Aufklärung an ihre Grenzen komme, weil es auf sozialer Ebene einen Zwang zu Facebook und Whatsapp gebe, vor allem bei Jugendlichen.
Ist das Internet also Demokratie oder Totalitarismus? Beides, sagt Lobo und wiederholt, was er in der FAZ geschrieben hat: „Das Internet ist kaputt, aber die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“ Leopold befindet das Netz sogar für sexy. Menschen müssten sich vernetzen, sie bräuchten das, sagt sie. Und die Hilfsbereitschaft mit den Flüchtlingen, die sich derzeit zeige, wäre ohne diese Vernetzung nicht möglich gewesen. Das Internet, so ihr Urteil, hinge von den Menschen ab, die es nutzen.
Die Diskussion mit dem Plenum wirkt wie eine Internet-Selbsthilfegruppe für Skeptiker und Desillusionierte. Lediglich ältere Herren stehen auf, stellen sich vor und verkünden mit Stolz, dass sie FAZ-Leser seien und das Internet nutzen (und deshalb eine Meinung dazu haben können), manche beteuern sogar, auf Facebook zu verzichten – und auch gut damit leben können. (Ihre Enkel dürften das anders sehen.) Einer ist sogar der Überzeugung, dass das Internet wirklich böse sei, wegen der vielen Falschinformationen, die dort stehen. Es klingt, als wäre die FAZ allein der Weg, die Wahrheit und das ewige Leben.
Am Ende bleibt die Erkenntnis vom Beginn. Juliane Leopold drückt es so aus: Nicht das Netz sei böse, sondern die Menschen, die komplexen Wesen. Und auch an der Erkenntnis von Sascha Lobo ist etwas dran: Das Netz sei zu komplex, als dass man darauf einfache Antworten geben könne. Um es mit der Bundeskanzlerin zu sagen: Das Netz ist für uns alle Neuland. Für manche sogar auf anderen Planeten.
16. September 2015, 11.10 Uhr
Lukas Gedziorowski
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