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Dust Novels in der Edition Faust
Böse-Nacht-Geschichten
Der Frankfurter Verlag "Edition Faust" bringt schaurige Literaturklassiker als Graphic Novels heraus: Der "Sandmann" und der "Geisterseher" sind so anspruchsvoll wie verstörend.
Wenn die Kinder nicht zu Bett gehen wollen, gibt es ein altes Patentrezept, sie dorthin zu kriegen. Man erzählt ihnen die Geschichte vom Sandmann. Nicht von der lieben Puppe aus dem Vorabendprogramm, sondern die vom bösen Mann, der zu den schlaf-unwilligen Kindern kommt, ihnen Sand in die Augen wirft bis die ihnen blutig zum Kopf herausspringen. Die Kleinen, die diese Geschichte zu hören kriegen, liegen dann ganz fix im Bett – nur das Einschlafen wird ihnen wohl Probleme bereiten. Von diesem Sandmann erzählt E.T.A. Hoffmann in seiner gleichnamigen Novelle von 1816. Und als wäre die nicht schon schrecklich genug, gibt es jetzt auch ein Comic, das die Geschichte in Bilder überträgt.
Der italienische Grafiker Andrea Grosso Ciponte hat sie gestaltet: voller Schwärze, Schatten, skizzenhaften Gestalten, finsteren Gesichtern, verzerrten Kulissen, die an expressionistische Filmen wie
„Das Kabinett des Dr. Caligari“ erinnern – und einem Zitat der bekannten Augenszene aus „Ein andalusischer Hund“. Das Comic versteht es wie seine Vorlage, mit den Urängsten zu spielen und zu verstören. Doch wer erwartet, dass ihm die Bilder den Zugang zu Hoffmanns Erzählung erleichtern, wird enttäuscht. Cipontes Comic hält sich mit Erklärungen zurück, deutet vieles an und bleibt in manchem noch rätselhafter. Wer das Original nicht kennt, wird hier nur schwer durchblicken. Aber das macht wohl den Reiz dieser Geschichte aus.
Erschienen ist der „Sandmann“ in der Edition Faust, einem 2014 gegründeten Verlag, der aus dem Frankfurter Kulturportal „Faust Kultur“ hervorgegangen ist. In seinem ersten Programm bietet er neben Gedichten von Paulus Böhmer, einer Novelle von Otto A. Böhmer und Bild-Text-Bänden auch zwei Comics an – oder „Graphic Novels“, wie man Comics für gehobene Ansprüche nennt. Bei der Edition Faust heißt das „Dust Novels“ – Staubromane. Das hänge, sagt Verlagsleiter Werner Ost, mit dem Alter der Erzählungen zusammen; sie hätten bereits „Staub angesetzt“. Den Comics hingegen merkt man die Mühe an, alles andere als verstaubt wirken zu wollen.
Die Idee dazu kam Werner Ost, der Germanistik studiert hat, als er mal wieder den „Sandmann“ las. „Ich war dermaßen begeistert von der Modernität der Erzählung und Hoffmanns Sprache“, sagt er. So beschloss er, ältere und zu Unrecht vergessene Texte wiederaufzufrischen – als Graphic Novel. „Durch die Form wollten wir ein etwas jüngeres Publikum erschließen.“ Lange habe man nach einem geeigneten Zeichner gesucht, der in der Lage war, die Vorlagen adäquat in Comics umzusetzen. „Mit Ciponte haben wir einen Glücksgriff gelandet.“ Auf ihn aufmerksam gemacht wurden sie von dem Galeristen Michele Sciurba, der auch die „Dust Novels“ herausgibt. Adaptiert werden die Texte von Dacia Palmerino auf Italienisch und dann ins Deutsche rückübersetzt. Dennoch erscheinen die Comicbände nicht in Italien, sondern nur in der Edition Faust.
Neben dem „Sandmann“ hat Ciponte auch Friedrich Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“ als Comic adaptiert. Die Geschichte um einen Geheimbund, der einen Prinzen durch Venedig irren lässt, wurde zwischen 1787 und 1789 zunächst in der Zeitschrift Thalia in Fortsetzungen publiziert, bis Schiller den Überblick und die Lust an dem Stoff verlor. Zum Schluss verfluchte der Autor sein Werk: „Welcher Dämon hat ihn mir eingegeben“, schrieb er 1788. Schiller war un-zufrieden, fand seinen einzigen Romanversuch einfach nur „schlecht“. Dennoch: „Der Geisterseher“ hat Schule gemacht: er gilt als Begründer des Genres Geheimbundroman – und ist damit ein Vorläufer von heutigen Verschwörungsthrillern wie Dan Browns „Da Vinci Code“.
Cipontes Version ist ebenso düster, rätselhaft und schauerromantisch realisiert wie sein „Sandmann“. Der Zeichner versteht es, ein Venedig aus Schatten zu erschaffen und eine beklemmende Stimmung zwischen gotischen Gewölben und Geheimbündlern in Kutten zu erzeugen. Gespenstisch wirken die maskierten Gestalten, denen sich der Prinz ausliefert, bis er sein Vermögen verliert und ins Verderben stürzt. „Man verliert leicht die Übersicht“, sagt Werner Ost, der eingesteht, dass Cipontes Version mit Schillers Roman allenfalls eine „Verwandtschaft“ verbinde, das Comic aber einen eigenen Weg gehe. Aber die „Dust Novels“ sollen auch eine „intellektuelle Herausforderung“ sein. Abgeschreckt hat das die Leser bisher nicht. „Die Resonanz war durchweg positiv“, sagt der Verlagsleiter. „Und sie laufen auch ganz gut.“ Insgesamt sind etwa zehn Bände in der Reihe geplant. Wie lange die Reihe tatsächlich fortgesetzt wird, hänge davon ab, wie lange der Zeichner Ciponte noch Lust dazu habe. Im Jahr 2015 soll Horace Walpoles „Schloss Otranto“ von 1764 erscheinen – ein weiterer „vergessener Text“. Walpole, ein britischer Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, gilt als Begründer der Gothic Novel; das „Schloss Otranto“ als Prototyp der Schauerromantik. Bereits für April ist Heinrich von Kleists „Marquise von O …“ angekündigt. Das Comic soll in einem ganz anderen Stil gehalten sein als seine Vorgänger. Werner Ost verspricht: „Sie werden sich wundern über diese eigenwillige Interpretation.“
>> Andrea Grosso Ciponte, Sandmann/Geisterseher, Edition Faust, 56/64 Seiten, jeweils 20 Euro.
Der Artikel ist zuvor im JOURNAL FRANKFURT 1-2/2015 vom 16.12.2014 erschienen.
Der italienische Grafiker Andrea Grosso Ciponte hat sie gestaltet: voller Schwärze, Schatten, skizzenhaften Gestalten, finsteren Gesichtern, verzerrten Kulissen, die an expressionistische Filmen wie
„Das Kabinett des Dr. Caligari“ erinnern – und einem Zitat der bekannten Augenszene aus „Ein andalusischer Hund“. Das Comic versteht es wie seine Vorlage, mit den Urängsten zu spielen und zu verstören. Doch wer erwartet, dass ihm die Bilder den Zugang zu Hoffmanns Erzählung erleichtern, wird enttäuscht. Cipontes Comic hält sich mit Erklärungen zurück, deutet vieles an und bleibt in manchem noch rätselhafter. Wer das Original nicht kennt, wird hier nur schwer durchblicken. Aber das macht wohl den Reiz dieser Geschichte aus.
Erschienen ist der „Sandmann“ in der Edition Faust, einem 2014 gegründeten Verlag, der aus dem Frankfurter Kulturportal „Faust Kultur“ hervorgegangen ist. In seinem ersten Programm bietet er neben Gedichten von Paulus Böhmer, einer Novelle von Otto A. Böhmer und Bild-Text-Bänden auch zwei Comics an – oder „Graphic Novels“, wie man Comics für gehobene Ansprüche nennt. Bei der Edition Faust heißt das „Dust Novels“ – Staubromane. Das hänge, sagt Verlagsleiter Werner Ost, mit dem Alter der Erzählungen zusammen; sie hätten bereits „Staub angesetzt“. Den Comics hingegen merkt man die Mühe an, alles andere als verstaubt wirken zu wollen.
Die Idee dazu kam Werner Ost, der Germanistik studiert hat, als er mal wieder den „Sandmann“ las. „Ich war dermaßen begeistert von der Modernität der Erzählung und Hoffmanns Sprache“, sagt er. So beschloss er, ältere und zu Unrecht vergessene Texte wiederaufzufrischen – als Graphic Novel. „Durch die Form wollten wir ein etwas jüngeres Publikum erschließen.“ Lange habe man nach einem geeigneten Zeichner gesucht, der in der Lage war, die Vorlagen adäquat in Comics umzusetzen. „Mit Ciponte haben wir einen Glücksgriff gelandet.“ Auf ihn aufmerksam gemacht wurden sie von dem Galeristen Michele Sciurba, der auch die „Dust Novels“ herausgibt. Adaptiert werden die Texte von Dacia Palmerino auf Italienisch und dann ins Deutsche rückübersetzt. Dennoch erscheinen die Comicbände nicht in Italien, sondern nur in der Edition Faust.
Neben dem „Sandmann“ hat Ciponte auch Friedrich Schillers Romanfragment „Der Geisterseher“ als Comic adaptiert. Die Geschichte um einen Geheimbund, der einen Prinzen durch Venedig irren lässt, wurde zwischen 1787 und 1789 zunächst in der Zeitschrift Thalia in Fortsetzungen publiziert, bis Schiller den Überblick und die Lust an dem Stoff verlor. Zum Schluss verfluchte der Autor sein Werk: „Welcher Dämon hat ihn mir eingegeben“, schrieb er 1788. Schiller war un-zufrieden, fand seinen einzigen Romanversuch einfach nur „schlecht“. Dennoch: „Der Geisterseher“ hat Schule gemacht: er gilt als Begründer des Genres Geheimbundroman – und ist damit ein Vorläufer von heutigen Verschwörungsthrillern wie Dan Browns „Da Vinci Code“.
Cipontes Version ist ebenso düster, rätselhaft und schauerromantisch realisiert wie sein „Sandmann“. Der Zeichner versteht es, ein Venedig aus Schatten zu erschaffen und eine beklemmende Stimmung zwischen gotischen Gewölben und Geheimbündlern in Kutten zu erzeugen. Gespenstisch wirken die maskierten Gestalten, denen sich der Prinz ausliefert, bis er sein Vermögen verliert und ins Verderben stürzt. „Man verliert leicht die Übersicht“, sagt Werner Ost, der eingesteht, dass Cipontes Version mit Schillers Roman allenfalls eine „Verwandtschaft“ verbinde, das Comic aber einen eigenen Weg gehe. Aber die „Dust Novels“ sollen auch eine „intellektuelle Herausforderung“ sein. Abgeschreckt hat das die Leser bisher nicht. „Die Resonanz war durchweg positiv“, sagt der Verlagsleiter. „Und sie laufen auch ganz gut.“ Insgesamt sind etwa zehn Bände in der Reihe geplant. Wie lange die Reihe tatsächlich fortgesetzt wird, hänge davon ab, wie lange der Zeichner Ciponte noch Lust dazu habe. Im Jahr 2015 soll Horace Walpoles „Schloss Otranto“ von 1764 erscheinen – ein weiterer „vergessener Text“. Walpole, ein britischer Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, gilt als Begründer der Gothic Novel; das „Schloss Otranto“ als Prototyp der Schauerromantik. Bereits für April ist Heinrich von Kleists „Marquise von O …“ angekündigt. Das Comic soll in einem ganz anderen Stil gehalten sein als seine Vorgänger. Werner Ost verspricht: „Sie werden sich wundern über diese eigenwillige Interpretation.“
>> Andrea Grosso Ciponte, Sandmann/Geisterseher, Edition Faust, 56/64 Seiten, jeweils 20 Euro.
Der Artikel ist zuvor im JOURNAL FRANKFURT 1-2/2015 vom 16.12.2014 erschienen.
Web: www.faustkultur.de
19. Januar 2015, 12.00 Uhr
Lukas Gedziorowski
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