Am Freitag feierte das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Drama "Disgraced" von Ayad Akhtar im English Theatre Premiere. In dem höchst aktuellen und brisanten Stück treffen vier Weltanschauungen aufeinander.
Nicole Brevoord /
Selten war ein Stück im English Theatre thematisch so nah am Puls der Zeit und eben deshalb so sehenswert wie „Disgraced“. 2013 erhielt der Amerikaner Ayad Akthar den Pulitzerpreis für sein Drama, in dem es um kulturelle Identität, die Frage der Integration und um Vorurteile geht. Wie der Botschafter der USA, John B. Emerson, am Freitag zu Beginn der Premiere im English Theatre in Frankfurt in einem Videoeinspieler sagte: „Es ist eine amerikanische Geschichte und zunehmend eine Deutsche, in der heutigen globalisierten Welt könnte die Story überall stattfinden. Dieses Stück regt immer zu Diskussionen an.“
Zentrale Figur ist der erfolgreiche Anwalt Amir (beeindruckend gespielt von Selva Raslingam), Sohn pakistanischer Einwanderer, der sich von seiner islamischen Erziehung distanziert hat, ja seine kulturelle Identität sogar verleugnet – auch um keine Nachteile im Berufsleben zu haben. Seine Frau Emily (Maya Wasowicz), eine Protestantin, ist hingegen eine glühende Verehrerin der islamischen Kultur, ihre Werke zitieren die Ornamentik der opulenten Mosaike aus dem arabischen Raum. Amir scheint es in den USA geschafft zu haben, lebt er doch in einem luxuriösen Apartment in der Upper East Side in Manhattan und gönnt sich schon mal ein 600-Dollar-Hemd. Doch das Idyll hat tiefe Risse, wie sich zeigt, als Amirs schwarze Arbeitskollegin Jory (was eine Diva: Susan Lawson-Reynolds) mit ihrem jüdischen Gatten, dem Kurator Isaac (Edward Wolstenholme) zum Abendessen kommt. Neben einer Salatschüssel (man beachte diese und viele andere Metaphern) soll auch Schweinelende serviert werden – ganz offenbar sind alle Dinnerbeteiligten ach so tolerant. Da will zunächst im Gespräch einjeder den anderen verstehen, um dann doch zu offenbaren, dass die Konflikte unterschwellig vor sich hingären – der Dinnerabend endet in einem Fiasko. Hinzu kommt ein Ehekonflikt zwischen der untreuen Emily und dem in der Firma auch wegen ihr benachteiligten Amir.
80 Minuten Spannung am Stück mit geschliffenen, teilweise beißend gewitzten Dialogen bietet „Disgraced“ und zwar in einem genialen Bühnenbild von David Woodhead, einem luxuriös mit Designermöbeln ausgestatteten Wohnzimmer, in das man einziehen möchte. All das angeschrägt angeordnet, so dass die Bühne des English Theatre mit den bisherigen Sehgewohnheiten bricht.
Doch so bedeutsam das Stück und so schön die Kulisse, um so bedauerlicher ist auch, dass die Inszenierung von Regisseur Adam Lenson die Darsteller kaum in Richtung Publikum sprechen lässt. Häufig drehen die Protagonisten den Zuschauern den Rücken zu und verfehlen daher eine ergreifende Wirkung, derer sie bestimmt im Stande wären. Hervorzuheben ist allerdings Selva Rasalingam, dem es gelingt, Amirs innere Zerrissenheit spürbar zu machen. Nicht nur dessen Entsetzen über sein eigenes Handeln trifft den Zuschauer ins Mark, auch die Zerstörung seiner anfangs so makellosen Existenz erschüttert. Weniger präsent, auch aufgrund der angesprochenen Inszenierung, bleibt Maya Wasowicz als Emily, die – zunächst ganz unerwartet – ihren Beitrag zur Demontage ihres Mannes Amirs leistet.
Ein nachdenklich stimmendes Theatervergnügen ist das Stück „Disgraced“ auf jeden Fall, interessante Denkanstöße und Diskussionen zu Klischees, Integration und Diskriminierung könnten den Abend ausklingen lassen.
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig