Ausstellung im Museum für Kommunikation

Anhaftender Antisemitismus

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Das Museum für Kommunikation eröffnet eine Ausstellung über antisemitische Aufkleber und dem gesellschaftlichen Widerstand – und zeigt, dass Propaganda bis heute auch mit dem kleinsten Medium funktioniert.

Vivienne Zerner /

„Gegen Nazis“, steht auf einem Aufkleber an einer Frankfurter U-Bahnstation. Wahrscheinlich war es die Antwort auf die Klebemarke die zuerst dort angebracht war. „Volk und Vaterland“, ist noch zu lesen, der Rest wird von einer Faust, die ein Hakenkreuz zerschlägt, verdeckt. Für dieses Beispiel von rechtsradikaler Kommunikation und gesellschaftlichem Widerstand aus der Gegenwart, lassen sich seit dem späten 19. Jahrhundert unzählige weitere finden. „Sie klebten überall und signalisierten unmissverständlich die ideologische und alltagspraktische Inbesitznahme des öffentlichen Raums“, sagt Isabel Enzenbach, die Kuratorin der Ausstellung „Angezettelt. Antisemitismus im Kleinformat“.

Über 100 Originalobjekte wie Klebezettel, Sammelalben, Beschwerdebriefe und historische Fotos bezeugen in der Ausstellung des Museum für Kommunikation (MfK) die antisemitische Propaganda und gleichzeitig auch ihre Gegenwehr. Ab dem 6. Juni können die Besucher darüber einen Eindruck gewinnen. Zu Verfügung gestellt wurden viele der Materialien von dem Sammler Wolfgang Haney. Schon im frühen Kindesalter beschäftigte sich der Sohn einer jüdischen Mutter mit Fundstücken der vergangenen Tage. Der 91-Jährige ist durch viel Hingabe und Leidenschaft im Besitz einer großen Spezialsammlung von zeitgeschichtlichem Material, das den Antisemitismus ab Ende des 19. Jahrhunderts thematisiert. „Er schreckt nicht einmal davor zurück, zur NPD-Parteizentrale zu fahren und selbst um die Aufkleber zu bitten“, sagt Enzenbach.

Dem MfK ist gemeinsam mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin eine Ausstellung gelungen, die einen Blick in die Vergangenheit wirft und die gleichzeitig die Aktualität des Themas aufgreift indem sie veranschaulicht, dass sich Judenfeindlichkeit weiterentwickelt hat und rechtsradikale Haltungen auch heute noch durch die Klebemarken in die Welt transportiert werden. In sieben Themenräumen verfolgt der Besucher die Entwicklung und wird dabei in die jeweilige soziale Situation versetzt. Auf großen Bildern sind Alltagssituationen dargestellt: Menschen am Bahnhof, ein Wohngebiet oder der Eingang einer U-Bahnstation. Vom späten 19. Jahrhundert bis heute. Bei genauerer Betrachtung der Bilder, sind viele der kleinen Aufkleber zu sehen. „Durch die Art der Inszenierung soll das Medium der Aufkleber gebrochen werden“, sagt die Kuratorin. „Deswegen ist keine der Klebemarken auf Augenhöhe angebracht und die Aussagen des Widerstands sind den antisemitischen Parolen gegenüber gestellt. Damals wie heute äußert sich die Gegenwehr darin, dass die Aktivisten die Kleber abreißen, bemalen oder überkleben“, so Enzenbach.

Ein weiterer Nachweis über die soziale Praxis am Anfang des 20. Jahrhunderts sind 60 Liebesbriefe eines Paares. Jeder Einzelne ist mit einer antisemitischen Verschlussmarke versehen. „Dadurch bekommen die romantischen Liebesbekundungen, einen ganz anderen Charakter. Das Paar bezeugt sich auf subtile Weise wechselseitig seine politische Überzeugung“, sagt Co-Kurator Marcus Funk. Die Ausstellung führt seine Besucher durch eine Zeit politischer Mobilisierungsphasen und Krisen und findet ihren Gegenwartsbezug indem sie auch die Klebezettel des 21. Jahrhunderts ausstellt. So heißt es zum Beispiel „Schöner Leben ohne Schuldkultur“. „Das Leugnen des Holocaust ist eine typische Form des Antisemitismus nach Auschwitz“, sagt die Kuratorin. Dass schon 1893 von Antisemiten Schein-Fahrkarten nach Jerusalem verteilt wurden und 2014 auf NPD- Wahlplakaten „Rückflugticket in die Heimat“ zu lesen ist, zeigt, dass damals wie heute das kleinformatige Medium für die Kommunikation in rechtsradikalen Milieus genutzt wird. Untermauert wird dies mit der Aussage des MfK-Direktors, Helmut Gold: „Das Thema hat eine große Aktualität! Stigmatisierung durch Klebezettel ist kein abgeschlossener Prozess.“

>> Angezettelt. Antisemitismus im Kleinformat: Museum für Kommunikationen, vom 6. bis 21. September, dienstag bis freitags, 9 bis 18 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag, 11 bis 19 Uhr, Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro.


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