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Ausstellung „Klangquellen“
Frankfurter Weltkulturenmuseum bietet immersiven Sound-Walk
„Klangquellen. Everything is Music!“ im Weltkulturenmuseum in Frankfurt rückt das Hören in den Fokus und macht den Museumsbesuch mit Instrumenten und Alltagsgeräuschen zum Sound-Walk.
„Heute gehören alle Klänge zu einem kontinuierlichen Feld von Möglichkeiten, das in der umfassenden Herrschaft der Musik liegt. Seht das neue Orchester: das klangliche Universum! Und die Musiker: jeder und alles, was klingt!“, proklamierte Raymond Murray Schafer 1977. Damals arbeitete der kanadische Komponist und Klangforscher an Feldstudien über das menschliche Hören, die den Menschen umgebenden Klanglandschafen – der Begriff „Soundscape“, der heute allenthalben zu hören ist, geht auf Schafer zurück –, und startete in Vancouver das mittlerweile von der UNESCO unterstützte World Soundscape Projekt, eine akustische Vermessung der Welt.
Neue Ausstellung im Weltkulturenmuseum in Frankfurt: Einblick in die Klangwelt der Geräusche
Schon befindet man sich inmitten der aktuellen Ausstellung des Weltkulturenmuseum „Klangquellen. Everything is Music“, die das Verhältnis zwischen Umwelt, Klang, Mensch und Musik in den Mittelpunkt stellt. Umgeben ist der Mensch schließlich schon seit Anbeginn von Geräuschen, die sich miteinander zu Klängen verweben, in verschiedenen Ecken der Welt zu unterschiedlichen Zeiten spezifisch wahrgenommen wurden und in verschiedenen Zusammenhängen jeweils anderes bedeuteten konnten. Wie genau organisieren wir die akustischen Signale, die den ganzen Tag in unsere Gehörgänge eindringen? Und wo genau liegen die Grenzen zwischen Musik und Geräusch?
Westliche Komponisten und Musiker erkunden seit geraumer Zeit die Musikalität im Ungewöhnlichen, und so fanden außerordentliches Instrumentarium oder gar Alltagsgegenstände im 20. Jahrhundert immer wieder in klassischen Orchestern Verwendung, während experimentelle Bands wie die Einstürzenden Neubauten in den 1980er Jahren Schrott nutzten, um Musik zu machen. Dass der Westen mit seiner auf Diatonik beruhenden Harmonik aus Ganz- und Halbtonschritten aber erst spät seinen Blick in diese Richtung öffnete, auch davon erzählt die Ausstellung.
Reibidiophone, Pferdekopfgeigen und Gumboot Dance – rund 170 Ausstellungsobjekte im Weltkulturenmuseum
Gezeigt werden rund 170 Objekte aus Südostasien, Ozeanien, den Amerikas und Afrika: Reibidiophone aus Neuirland sind darunter, Pferdekopfgeigen aus der Mongolei, Schneckenhörner aus dem Pazifikraum oder Bambusschlitztrommeln aus dem Südpazifik. Lassen sich jene Exponate, wenn auch in hiesigen Gefilden nicht alltäglich, noch eindeutig in dem Bereich der Instrumente verorten, liefert die Ausstellung alsbald auch etliche Beispiele von Gebrauchsgegenständen, deren Nutzung oft auch eine musikalische Ausdrucksform innewohnt.
Arbeiter aus Neuguinea schlagen bei politischen Versammlungen als Zeichen der Zustimmung mit ihren Spateln gegen Kalkbehälter, während sich am Klopfrhythmus bei der Rindenbastproduktion in Teilen Sulawesis erkennen lässt, wie weit die Herstellung fortgeschritten ist. Weil es Minenarbeiter unter den sklavischen Arbeitsumständen in den Goldminen Südafrikas untersagt war, miteinander zu kommunizieren, entwickelten sie mittels ihrer Gummistiefel eine klandestine Geheimsprache – später entwickelte sich daraus der polyrhythmische Gumboot Dance, der weit über Südafrika hinaus bekannt ist.
Für die Bewahrung einer gefährdeten Musikkultur appelliert hier ein indonesischer Instrumentenbauer eindringlich, der in einem Video das besondere Timbre der Kadedek, mit der sich polyphone Klänge erzeugen lassen, vorführt und wiederholt darum bittet, das Instrument in der Welt bekannt zu machen, auf dass es nicht in Vergessenheit gerate.
„Klangquellen“ im Weltkulturenmuseum lädt ein zu immersivem Sound-Walk
Doch die interessanteste Ausstellung über Klang ist nicht vollständig ohne das, um was es eigentlich geht. Und so bekommen Besucherinnen und Besucher einen essenziellen Audioguide mit an die Hand, der durch die verschiedenen Stationen führt. Das Museum bedient sich hierbei dankbarerweise einer neueren Technik, bei der nicht wie sonst oft üblich QR-Codes eingescannt werden müssen, sondern mithilfe kleiner Sender automatisch an jeder Station der passende Audiotrack gestartet wird – es müssen lediglich die Kopfhörer aufgesetzt werden, und schon geht es los.
Der Besuch wird somit selbst zu einem immersiven Sound-Walk. Von den rhythmischen Klängen der Schlitztrommeln oder jenen der Rindenbastproduktion über die galoppierenden Töne der Pferdekopfgeige bis hin zu den obertonreichen Anschlägen balinesischer Gamelans – fast alle ausgestellten Exponate werden beim Rundgang akustisch erfahrbar. Die passive Lärmabschirmung der ohrumschließenden Kopfhörer eliminiert sodann auch alle ausstellungstypischen Geräusche, die sonst leicht zur Ablenkung werden können. Zwei zusätzliche Hörräume präsentieren Soundscapes und ausgewählte Beispiele zeitgenössischer Musik, während das Max-Planck-Institut in einem gesonderten Raum seine Studie „Music or not?“ vorstellt und zum Mitmachen einlädt.
Beim Verlassen des Museums und der Rückkehr in die Klanglandschaft Stadt mag einem dann vielleicht noch einmal Raymond Murray Schafer in den Sinn kommen: „Ist die Klanglandschaft der Welt eine unbestimmte Komposition, über die wir keine Kontrolle haben, oder sind wir, die Komponisten und Interpreten, mündig, ihr Form und Schönheit zu verleihen?“ Eine Einladung, den eigenen Alltag mit all seinen vielfältigen Klängen neu zu entdecken.
>> Dieser Text wurde zuerst im aktuellen art kaleidoscope veröffentlicht.
Info
KLANGQUELLEN. Everything is Music!, Weltkulturen Museum, bis 1. September 2024. Zum Ausstellungsprogramm gehören Konzerte und Workshops mit Instrumenten wie Gamelang, Angklung, Kadekek und Pferdekopfgeige. Mehr Infos finden Sie hier.
Schon befindet man sich inmitten der aktuellen Ausstellung des Weltkulturenmuseum „Klangquellen. Everything is Music“, die das Verhältnis zwischen Umwelt, Klang, Mensch und Musik in den Mittelpunkt stellt. Umgeben ist der Mensch schließlich schon seit Anbeginn von Geräuschen, die sich miteinander zu Klängen verweben, in verschiedenen Ecken der Welt zu unterschiedlichen Zeiten spezifisch wahrgenommen wurden und in verschiedenen Zusammenhängen jeweils anderes bedeuteten konnten. Wie genau organisieren wir die akustischen Signale, die den ganzen Tag in unsere Gehörgänge eindringen? Und wo genau liegen die Grenzen zwischen Musik und Geräusch?
Westliche Komponisten und Musiker erkunden seit geraumer Zeit die Musikalität im Ungewöhnlichen, und so fanden außerordentliches Instrumentarium oder gar Alltagsgegenstände im 20. Jahrhundert immer wieder in klassischen Orchestern Verwendung, während experimentelle Bands wie die Einstürzenden Neubauten in den 1980er Jahren Schrott nutzten, um Musik zu machen. Dass der Westen mit seiner auf Diatonik beruhenden Harmonik aus Ganz- und Halbtonschritten aber erst spät seinen Blick in diese Richtung öffnete, auch davon erzählt die Ausstellung.
Gezeigt werden rund 170 Objekte aus Südostasien, Ozeanien, den Amerikas und Afrika: Reibidiophone aus Neuirland sind darunter, Pferdekopfgeigen aus der Mongolei, Schneckenhörner aus dem Pazifikraum oder Bambusschlitztrommeln aus dem Südpazifik. Lassen sich jene Exponate, wenn auch in hiesigen Gefilden nicht alltäglich, noch eindeutig in dem Bereich der Instrumente verorten, liefert die Ausstellung alsbald auch etliche Beispiele von Gebrauchsgegenständen, deren Nutzung oft auch eine musikalische Ausdrucksform innewohnt.
Arbeiter aus Neuguinea schlagen bei politischen Versammlungen als Zeichen der Zustimmung mit ihren Spateln gegen Kalkbehälter, während sich am Klopfrhythmus bei der Rindenbastproduktion in Teilen Sulawesis erkennen lässt, wie weit die Herstellung fortgeschritten ist. Weil es Minenarbeiter unter den sklavischen Arbeitsumständen in den Goldminen Südafrikas untersagt war, miteinander zu kommunizieren, entwickelten sie mittels ihrer Gummistiefel eine klandestine Geheimsprache – später entwickelte sich daraus der polyrhythmische Gumboot Dance, der weit über Südafrika hinaus bekannt ist.
Für die Bewahrung einer gefährdeten Musikkultur appelliert hier ein indonesischer Instrumentenbauer eindringlich, der in einem Video das besondere Timbre der Kadedek, mit der sich polyphone Klänge erzeugen lassen, vorführt und wiederholt darum bittet, das Instrument in der Welt bekannt zu machen, auf dass es nicht in Vergessenheit gerate.
Doch die interessanteste Ausstellung über Klang ist nicht vollständig ohne das, um was es eigentlich geht. Und so bekommen Besucherinnen und Besucher einen essenziellen Audioguide mit an die Hand, der durch die verschiedenen Stationen führt. Das Museum bedient sich hierbei dankbarerweise einer neueren Technik, bei der nicht wie sonst oft üblich QR-Codes eingescannt werden müssen, sondern mithilfe kleiner Sender automatisch an jeder Station der passende Audiotrack gestartet wird – es müssen lediglich die Kopfhörer aufgesetzt werden, und schon geht es los.
Der Besuch wird somit selbst zu einem immersiven Sound-Walk. Von den rhythmischen Klängen der Schlitztrommeln oder jenen der Rindenbastproduktion über die galoppierenden Töne der Pferdekopfgeige bis hin zu den obertonreichen Anschlägen balinesischer Gamelans – fast alle ausgestellten Exponate werden beim Rundgang akustisch erfahrbar. Die passive Lärmabschirmung der ohrumschließenden Kopfhörer eliminiert sodann auch alle ausstellungstypischen Geräusche, die sonst leicht zur Ablenkung werden können. Zwei zusätzliche Hörräume präsentieren Soundscapes und ausgewählte Beispiele zeitgenössischer Musik, während das Max-Planck-Institut in einem gesonderten Raum seine Studie „Music or not?“ vorstellt und zum Mitmachen einlädt.
Beim Verlassen des Museums und der Rückkehr in die Klanglandschaft Stadt mag einem dann vielleicht noch einmal Raymond Murray Schafer in den Sinn kommen: „Ist die Klanglandschaft der Welt eine unbestimmte Komposition, über die wir keine Kontrolle haben, oder sind wir, die Komponisten und Interpreten, mündig, ihr Form und Schönheit zu verleihen?“ Eine Einladung, den eigenen Alltag mit all seinen vielfältigen Klängen neu zu entdecken.
>> Dieser Text wurde zuerst im aktuellen art kaleidoscope veröffentlicht.
KLANGQUELLEN. Everything is Music!, Weltkulturen Museum, bis 1. September 2024. Zum Ausstellungsprogramm gehören Konzerte und Workshops mit Instrumenten wie Gamelang, Angklung, Kadekek und Pferdekopfgeige. Mehr Infos finden Sie hier.
19. Dezember 2023, 10.00 Uhr
Daniel Urban
Daniel Urban
Daniel Urban schreibt seit 2022 für das JOURNAL FRANKFURT mit dem Schwerpunkt TV und Streaming. Mehr von Daniel
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