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Titelstory: Journal Frankfurt 6/2020
Unort
Der Müll türmt sich, der Drogenhandel nimmt überhand – Frankfurt verwahrlost zusehends. Doch es gibt Hoffnung: Die hessische Justiz scheint gewillt, sich endlich des Dealer-Problems anzunehmen. Ein Auszug aus der Titelgeschichte der aktuellen JOURNAL FRANKFURT-Ausgabe.
Vollgepisste Hauseingänge, überquellende Mülltonnen und bröckelnde Fassaden prägen in Frankfurt das Bild ganzer Straßenzüge, ja, ganzer Stadtteile. Insbesondere in Bahnhofsviertel und Gallus beklagen Anwohnerinnen und Anwohner zunehmend, die Stadt habe ein neues Extrem der Verwahrlosung erreicht. Sinnbild hierfür ist das Alte Polizeipräsidium an der Friedrich-Ebert-Anlage: einst eindrucksvolles Kulturdenkmal und Symbol eines funktionierenden Rechtsstaates, wird es seit Jahren sich selbst und damit dem Verfall überlassen. Kaum eine Fensterscheibe, die nicht zerbrochen ist. Im November des vergangenen Jahres hatte es unter einem Vordach des Gebäudes an der Ecke Ludwigstraße/Mainzer Landstraße gebrannt – die verkohlten Überreste, darunter Einkaufswagen und anderer Unrat, wurden bis heute nicht weggeräumt. Am Kaisersack und in den angrenzenden Straßen zeichnet sich ein ähnliches Bild der Verelendung.
600 000 Euro investiert die Stadt jährlich allein in die Reinigung des Bahnhofsviertels. Das Problem sei jedoch, so Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Bündnis 90/Die Grünen), der auch die Stabsstelle Sauberes Frankfurt untersteht, dass es „wahnsinnig viel Müll“ gebe und die Menschen ihren Abfall achtlos überall hinwerfen: „Wir betreiben einen enormen Aufwand. Die Reinigungskräfte beginnen im Bahnhofsviertel morgens bereits um 4 Uhr – aber wenn sie ihre Runde beenden, ist es schon wieder genauso dreckig wie zu Beginn. Das ist wahnsinnig frustrierend.“
Sie sei jedoch bereit, allen „die Hölle heiß zu machen, damit die Stadt sauberer wird“, verspricht Heilig. Denn die zunehmende Vermüllung sei kein exklusives Problem des Bahnhofsgebiets, sondern der gesamten Stadt, so die Umweltdezernentin. Rund um den Hauptbahnhof mache es die Situation vor Ort allerdings zusätzlich erforderlich, dass das Reinigungspersonal von Kräften der Stadtpolizei begleitet wird. In den Straßen dämmern betrunkene und drogenkranke Menschen vor sich hin, oftmals in ihren eigenen Exkrementen liegend. Und an den ehemals vergleichsweise ruhigen Ecken, beispielsweise am Platz der Republik und dem Saar-Karree, eignen sich mehr und mehr Dealer mit auffälliger Aggressivität den Raum an.
Seitens des Dezernates für Sicherheit versucht man der zunehmenden Kriminalität und dem in der Bevölkerung schwindenden Sicherheitsgefühl mit zusätzlicher Beleuchtung und Videokameras an als besonders gefährlich geltenden Orten entgegenzuwirken. Für den Kaisersack wird ein Alkoholverbot angestrebt; der Magistrat hat dem bereits zugestimmt, zur Durchsetzung ist allerdings ein Beschluss auf Landesebene notwendig. „Eine Alkoholverbots-Zone zu beschließen, ist juristisch diffizil und muss gut argumentiert werden, damit sie nicht gleich wieder gekippt wird“, sagt der zuständige Dezernent Markus Frank (CDU). „Wir müssen nachweisen, dass eine abstrakte Gefahrensituation vorliegt. Dafür sammeln wir aktuell die Daten“.
Schwindender Respekt
Auch bei der Polizei wächst die Frustration. Die Präsenz an den Brennpunkten sei hoch, doch die Arbeit komme einer Sisyphos-Aufgabe gleich, bestätigt Polizeipräsident Gerhard Bereswill. Rund 400 bis 500 Dealer gehen derzeit laut Frankfurter Polizei derzeit in den Straßen ihren Geschäften nach. Sie treten in Gruppen auf, sind untereinander hervorragend organisiert und zeigen sich extrem aggressiv, erklärt Bereswill. Für die Einsatzkräfte werde das zunehmend zum Problem. Polizeihauptkommissar Sebastian Müller ist seit zwölf Jahren beim 4. Polizeirevier, das für die Bereiche Bahnhofsviertel, Gutleutviertel und Gallus zuständig ist. Der 39-Jährige kennt die Herausforderungen, die dieser Teil der Stadt mit sich bringt: „Das Auftreten gegenüber den Polizeikräften hat sich stark verändert. Früher haben die Dealer, aber auch andere Kriminelle, eine Festnahme mit einer gewissen ‚Würde‘ ertragen. Heute wehren sie sich verstärkt und werden zunehmend angriffslustiger.“
Der schwindende Respekt, meint der Polizeihauptkommissar, liege zum einen an einer grundsätzlichen Veränderung in der Gesellschaft, die auch eine höhere Angriffsbereitschaft gegenüber Rettungskräften mit sich bringe. Zum anderen haben die auf den Straßen umtriebigen Dealer aufgrund der Verordnungen zur Mitführung geringer Mengen beziehungsweise zum Eigenbedarf von Drogen in Hessen kaum Konsequenzen zu erwarten. Zwar ist das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ein Bundesgesetz, die Auslegung divergiert jedoch in den einzelnen Bundesländern und kann zusätzlich zwischen den jeweiligen Staatsanwaltschaften differieren. Die hessische Justiz orientiert sich an der bei Festnahme mitgeführten Gewichtsmenge oder Tablettenanzahl. Gemäß §31a des Betäubungsmittelgesetzes ist bei einer als geringfügig eingestuften mitgeführten Menge von einer Strafverfolgung abzusehen. Bei Cannabis gelten bis zu 6 Gramm als geringfügig. Von den 2500 bis 3000 Verfahren, die jährlich in Frankfurt wegen des Besitzes von Cannabis beanzeigt werden, wird ein Großteil von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Justiz ist am Zug
Die Corona-Pandemie verstärkt derweil die Sichtbarkeit der ohnehin vorhandenen Probleme zusätzlich. Wo sonst Pendler- und Touristenströme den Blick abgelenkt haben, zeigt sich in aller Klarheit, was schon lange bekannt, aber nun einmal mehr deutlich wird: Frankfurt hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Doch es gibt Hoffnung. Die hessische Justiz scheint gewillt, sich endlich des Dealer-Problems anzunehmen. Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hat kürzlich den Kölner Ebertplatz besucht, um sich dort über das Konzept zur Verfolgung der Betäubungsmittelkriminalität auszutauschen.
Der Besuch scheint augenöffnend gewesen zu sein, immerhin, so teilt es das Justizministerium mit, haben sich im Nachgang zu diesem Termin die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium auf ein „Drei-Säulen-Modell zur Bekämpfung der Drogenkriminalität im Frankfurter Bahnhofsviertel“ geeinigt. Man habe sich Gedanken darum gemacht, ab wann von einem gewerbsmäßigen Handel gesprochen werden kann, heißt es aus Wiesbaden. Außerdem soll ein Straftäter die aus der Tat resultierenden Umsätze nicht einbehalten dürfen. In Frankfurt zeigt man sich zurückhaltend hoffnungsvoll, dass die gewonnen Erkenntnisse zu baldigen Verbesserungen führen können.
Die ausführliche Reportage „Unort“ finden Sie in der aktuellen Ausgabe 6/2020 des JOURNAL FRANKFURT (erscheint am 28.5.).
600 000 Euro investiert die Stadt jährlich allein in die Reinigung des Bahnhofsviertels. Das Problem sei jedoch, so Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Bündnis 90/Die Grünen), der auch die Stabsstelle Sauberes Frankfurt untersteht, dass es „wahnsinnig viel Müll“ gebe und die Menschen ihren Abfall achtlos überall hinwerfen: „Wir betreiben einen enormen Aufwand. Die Reinigungskräfte beginnen im Bahnhofsviertel morgens bereits um 4 Uhr – aber wenn sie ihre Runde beenden, ist es schon wieder genauso dreckig wie zu Beginn. Das ist wahnsinnig frustrierend.“
Sie sei jedoch bereit, allen „die Hölle heiß zu machen, damit die Stadt sauberer wird“, verspricht Heilig. Denn die zunehmende Vermüllung sei kein exklusives Problem des Bahnhofsgebiets, sondern der gesamten Stadt, so die Umweltdezernentin. Rund um den Hauptbahnhof mache es die Situation vor Ort allerdings zusätzlich erforderlich, dass das Reinigungspersonal von Kräften der Stadtpolizei begleitet wird. In den Straßen dämmern betrunkene und drogenkranke Menschen vor sich hin, oftmals in ihren eigenen Exkrementen liegend. Und an den ehemals vergleichsweise ruhigen Ecken, beispielsweise am Platz der Republik und dem Saar-Karree, eignen sich mehr und mehr Dealer mit auffälliger Aggressivität den Raum an.
Seitens des Dezernates für Sicherheit versucht man der zunehmenden Kriminalität und dem in der Bevölkerung schwindenden Sicherheitsgefühl mit zusätzlicher Beleuchtung und Videokameras an als besonders gefährlich geltenden Orten entgegenzuwirken. Für den Kaisersack wird ein Alkoholverbot angestrebt; der Magistrat hat dem bereits zugestimmt, zur Durchsetzung ist allerdings ein Beschluss auf Landesebene notwendig. „Eine Alkoholverbots-Zone zu beschließen, ist juristisch diffizil und muss gut argumentiert werden, damit sie nicht gleich wieder gekippt wird“, sagt der zuständige Dezernent Markus Frank (CDU). „Wir müssen nachweisen, dass eine abstrakte Gefahrensituation vorliegt. Dafür sammeln wir aktuell die Daten“.
Schwindender Respekt
Auch bei der Polizei wächst die Frustration. Die Präsenz an den Brennpunkten sei hoch, doch die Arbeit komme einer Sisyphos-Aufgabe gleich, bestätigt Polizeipräsident Gerhard Bereswill. Rund 400 bis 500 Dealer gehen derzeit laut Frankfurter Polizei derzeit in den Straßen ihren Geschäften nach. Sie treten in Gruppen auf, sind untereinander hervorragend organisiert und zeigen sich extrem aggressiv, erklärt Bereswill. Für die Einsatzkräfte werde das zunehmend zum Problem. Polizeihauptkommissar Sebastian Müller ist seit zwölf Jahren beim 4. Polizeirevier, das für die Bereiche Bahnhofsviertel, Gutleutviertel und Gallus zuständig ist. Der 39-Jährige kennt die Herausforderungen, die dieser Teil der Stadt mit sich bringt: „Das Auftreten gegenüber den Polizeikräften hat sich stark verändert. Früher haben die Dealer, aber auch andere Kriminelle, eine Festnahme mit einer gewissen ‚Würde‘ ertragen. Heute wehren sie sich verstärkt und werden zunehmend angriffslustiger.“
Der schwindende Respekt, meint der Polizeihauptkommissar, liege zum einen an einer grundsätzlichen Veränderung in der Gesellschaft, die auch eine höhere Angriffsbereitschaft gegenüber Rettungskräften mit sich bringe. Zum anderen haben die auf den Straßen umtriebigen Dealer aufgrund der Verordnungen zur Mitführung geringer Mengen beziehungsweise zum Eigenbedarf von Drogen in Hessen kaum Konsequenzen zu erwarten. Zwar ist das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ein Bundesgesetz, die Auslegung divergiert jedoch in den einzelnen Bundesländern und kann zusätzlich zwischen den jeweiligen Staatsanwaltschaften differieren. Die hessische Justiz orientiert sich an der bei Festnahme mitgeführten Gewichtsmenge oder Tablettenanzahl. Gemäß §31a des Betäubungsmittelgesetzes ist bei einer als geringfügig eingestuften mitgeführten Menge von einer Strafverfolgung abzusehen. Bei Cannabis gelten bis zu 6 Gramm als geringfügig. Von den 2500 bis 3000 Verfahren, die jährlich in Frankfurt wegen des Besitzes von Cannabis beanzeigt werden, wird ein Großteil von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Justiz ist am Zug
Die Corona-Pandemie verstärkt derweil die Sichtbarkeit der ohnehin vorhandenen Probleme zusätzlich. Wo sonst Pendler- und Touristenströme den Blick abgelenkt haben, zeigt sich in aller Klarheit, was schon lange bekannt, aber nun einmal mehr deutlich wird: Frankfurt hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Doch es gibt Hoffnung. Die hessische Justiz scheint gewillt, sich endlich des Dealer-Problems anzunehmen. Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hat kürzlich den Kölner Ebertplatz besucht, um sich dort über das Konzept zur Verfolgung der Betäubungsmittelkriminalität auszutauschen.
Der Besuch scheint augenöffnend gewesen zu sein, immerhin, so teilt es das Justizministerium mit, haben sich im Nachgang zu diesem Termin die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium auf ein „Drei-Säulen-Modell zur Bekämpfung der Drogenkriminalität im Frankfurter Bahnhofsviertel“ geeinigt. Man habe sich Gedanken darum gemacht, ab wann von einem gewerbsmäßigen Handel gesprochen werden kann, heißt es aus Wiesbaden. Außerdem soll ein Straftäter die aus der Tat resultierenden Umsätze nicht einbehalten dürfen. In Frankfurt zeigt man sich zurückhaltend hoffnungsvoll, dass die gewonnen Erkenntnisse zu baldigen Verbesserungen führen können.
Die ausführliche Reportage „Unort“ finden Sie in der aktuellen Ausgabe 6/2020 des JOURNAL FRANKFURT (erscheint am 28.5.).
28. Mai 2020, 10.32 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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