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„NSU 2.0“-Skandal
Das Aufatmen des Peter Beuth
In den Ermittlungen um die „NSU 2.0“-Drohschreiben kann endlich ein Verdächtiger präsentiert werden. Die Festnahme eines 53-Jährigen entlastet vorerst die Polizei, untermauert aber nicht automatisch die Einzeltätertheorie, die sich Innenminister Beuth wünscht. Ein Kommentar.
Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft zu der Festnahme des mutmaßlichen Verfassers der „NSU 2.0“-Drohschreiben war noch keine Stunde alt, da kam um kurz nach Mitternacht bereits eine Stellungnahme des deutlich erleichterten hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU). „Die Drohschreiben hatten einen sehr schwerwiegenden Verdacht auf die Polizei gelenkt. Nach allem was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die NSU 2.0-Drohmailserie verantwortlich“, schreibt Beuth. Auch am darauffolgenden Nachmittag betont der Innenminister während einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz mehrmals, dass es „nach allem, was wir wissen keinen Bezug des Täters zur Polizei gibt.“
Es ist nicht nur ein ungewöhnlich schneller Rückschluss des Innenministers so kurz nach einer Festnahme und einer Hausdurchsuchung, nach der Datenträger erst noch ausgewertet werden müssen. Es ist vor allem eine erstaunlich schnelle und hartnäckige Behauptung einer Einzeltätertheorie, bedenkt man die Ermittlungsergebnisse, die bisher bekannt sind.
Gleich in mehreren Fällen nutzte der Täter Daten, die zuvor von Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin abgerufen worden waren. Erstmals wurde dies im Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız bekannt, deren Daten über einen Computer des 1. Polizeireviers kurz vor Eintreffen des ersten Drohschreibens abgerufen wurden. Schnell kam der Verdacht auf, dass Polizeibeamt:innen hinter den Drohmails stecken könnten; drei Wochen nach dem ersten Schreiben an Başay-Yıldız wurde das 1. Polizeirevier durchsucht. Im Zuge der Ermittlungen wurde eine rechtsextreme Chatgruppe entdeckt, in der mehrere Polizist:innen des 1. Polizeireviers aktiv waren. Mit den Drohschreiben sollen sie laut Innenminister Beuth jedoch nichts zu tun haben.
Der nun festgenommene mutmaßliche Verfasser der Drohschreiben, Alexander M. aus Berlin, wurde bereits 1992 wegen Amtsanmaßung verurteilt, weil er sich fälschlicherweise als Kriminalbeamter ausgegeben hatte. Die Ermittler vermuten nun auch im Fall der „NSU 2.0“-Schreiben, dass M. sich telefonisch als Behördenvertreter ausgegeben und die Daten abgefragt haben könnte. Eine durchaus plausible Theorie: denn solch einen Anruf hat es nachweislich schon gegeben. Bei der Chefredakteurin der taz in Berlin hatte ein Mann sich als Polizist ausgegeben, um an die Handynummer einer Mitarbeiterin zu gelangen, die später ebenfalls Drohmails erhielt. Warum es so einfach für M. gewesen sein soll, ohne Zugangsdaten, Personalnummer oder ähnliches am Telefon an die Daten bei der Polizei zu gelangen, ist bisher noch unklar.
Aber auch damit lässt sich noch nicht glaubwürdig erklären, warum nach zahlreichen Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens – und einem damit einhergehenden ständig wachsenden Misstrauen gegen die hessische Polizei –, Başay-Yıldız im Herbst 2020 erneut Drohungen erhielt. Trotz Umzugs und Sperrvermerks bei den privaten Daten. Nachdem dieser Fall zwei Jahre lang immer wieder in den Medien präsent war und massive Kritik und Vorwürfe an der Polizei hervorrief, sollen die Daten so einfach am Telefon weitergegeben worden sein? Es wird auch spekuliert, dass der mutmaßliche Täter die Daten teilweise im sogenannten Darknet gekauft haben könnte. Aber auch in diesem Fall drängt sich die Frage auf, wer sie dort verkauft haben kann und warum.
Der mutmaßliche Verfasser der Drohschreiben ist ein 53-jähriger Erwerbsloser aus Berlin. Kein Polizist und auch nicht aus Hessen. Peter Beuths rasche Erleichterung über diese beiden Tatsachen zeigt, dass die hessischen Behörden wieder einmal zu schnell von der Einzeltätertheorie ausgehen. Es sind nur einige der offenen Fragen, die schnellstmöglich und umfassend geklärt werden müssen – nicht nur, aber eben auch für die Betroffenen. Sonst könnte sich der „herausragende Ermittlungserfolg“, wie Peter Beuth die Festnahme nannte, zu einem noch viel größeren Skandal entwickeln.
Es ist nicht nur ein ungewöhnlich schneller Rückschluss des Innenministers so kurz nach einer Festnahme und einer Hausdurchsuchung, nach der Datenträger erst noch ausgewertet werden müssen. Es ist vor allem eine erstaunlich schnelle und hartnäckige Behauptung einer Einzeltätertheorie, bedenkt man die Ermittlungsergebnisse, die bisher bekannt sind.
Gleich in mehreren Fällen nutzte der Täter Daten, die zuvor von Polizeicomputern in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin abgerufen worden waren. Erstmals wurde dies im Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız bekannt, deren Daten über einen Computer des 1. Polizeireviers kurz vor Eintreffen des ersten Drohschreibens abgerufen wurden. Schnell kam der Verdacht auf, dass Polizeibeamt:innen hinter den Drohmails stecken könnten; drei Wochen nach dem ersten Schreiben an Başay-Yıldız wurde das 1. Polizeirevier durchsucht. Im Zuge der Ermittlungen wurde eine rechtsextreme Chatgruppe entdeckt, in der mehrere Polizist:innen des 1. Polizeireviers aktiv waren. Mit den Drohschreiben sollen sie laut Innenminister Beuth jedoch nichts zu tun haben.
Der nun festgenommene mutmaßliche Verfasser der Drohschreiben, Alexander M. aus Berlin, wurde bereits 1992 wegen Amtsanmaßung verurteilt, weil er sich fälschlicherweise als Kriminalbeamter ausgegeben hatte. Die Ermittler vermuten nun auch im Fall der „NSU 2.0“-Schreiben, dass M. sich telefonisch als Behördenvertreter ausgegeben und die Daten abgefragt haben könnte. Eine durchaus plausible Theorie: denn solch einen Anruf hat es nachweislich schon gegeben. Bei der Chefredakteurin der taz in Berlin hatte ein Mann sich als Polizist ausgegeben, um an die Handynummer einer Mitarbeiterin zu gelangen, die später ebenfalls Drohmails erhielt. Warum es so einfach für M. gewesen sein soll, ohne Zugangsdaten, Personalnummer oder ähnliches am Telefon an die Daten bei der Polizei zu gelangen, ist bisher noch unklar.
Aber auch damit lässt sich noch nicht glaubwürdig erklären, warum nach zahlreichen Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens – und einem damit einhergehenden ständig wachsenden Misstrauen gegen die hessische Polizei –, Başay-Yıldız im Herbst 2020 erneut Drohungen erhielt. Trotz Umzugs und Sperrvermerks bei den privaten Daten. Nachdem dieser Fall zwei Jahre lang immer wieder in den Medien präsent war und massive Kritik und Vorwürfe an der Polizei hervorrief, sollen die Daten so einfach am Telefon weitergegeben worden sein? Es wird auch spekuliert, dass der mutmaßliche Täter die Daten teilweise im sogenannten Darknet gekauft haben könnte. Aber auch in diesem Fall drängt sich die Frage auf, wer sie dort verkauft haben kann und warum.
Der mutmaßliche Verfasser der Drohschreiben ist ein 53-jähriger Erwerbsloser aus Berlin. Kein Polizist und auch nicht aus Hessen. Peter Beuths rasche Erleichterung über diese beiden Tatsachen zeigt, dass die hessischen Behörden wieder einmal zu schnell von der Einzeltätertheorie ausgehen. Es sind nur einige der offenen Fragen, die schnellstmöglich und umfassend geklärt werden müssen – nicht nur, aber eben auch für die Betroffenen. Sonst könnte sich der „herausragende Ermittlungserfolg“, wie Peter Beuth die Festnahme nannte, zu einem noch viel größeren Skandal entwickeln.
5. Mai 2021, 13.03 Uhr
Elena Zompi
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