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„NSU 2.0“-Prozess

Angeklagter vermutet Polizisten hinter Drohschreiben

Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben hat der Angeklagte Alexander M. am Donnerstag alle Vorwürfe bestritten. Die Nachrichten seien in einer Chatgruppe im Darknet koordiniert worden. Zu dieser sollen nach Vermutungen des Angeklagten auch Polizisten gehören.
Als Alexander M. am Donnerstag den Verhandlungssaal 165 betritt, scheint seine Wut vom Vortrag noch nicht verraucht. Die Mittelfinger wie noch am Tag zuvor bekommen die Kameras aber nicht zu sehen; M. entschuldigt sich vor seiner Einlassung gar dafür. Er sei sauer darüber gewesen, was in der Presse über ihn geschrieben steht. Ob das nun ehrliche Reue oder guter Rat der Verteidigung war, kann nur spekuliert werden.

Dem 54-jährigen Berliner wird unter anderem vorgeworfen, zwischen August 2018 und März 2021 insgesamt 116 selbst verfasste Drohschreiben per E-Mail, SMS und Fax verschickt zu haben. Viele davon waren mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet. Adressiert waren die Nachrichten an Privatpersonen, Personen des öffentlichen Lebens sowie Behörden und Institutionen und enthielten zahlreiche rassistische Beleidigungen sowie gewaltsame Androhungen.

In seiner rund einstündigen Erklärung, die er am Donnerstag vorliest, bestreitet Alexander M. alle Vorwürfe der Anklage. „In keinem einzigen Fall habe ich eine Straftat begangen“, sagt er zu Beginn. Im Jahr 2019 habe er eine Einladung zu einer geschlossenen Gruppe im Darknet erhalten; einen der Administratoren habe er bereits seit Jahren gekannt. Diskutiert worden sei in der Gruppe über „rechte Politik“, so M. Die Teilnehmer seien „intelligent, aber auch arrogant“ gewesen. „Der sogenannte NSU 2.0 wurde meiner Einschätzung nach von dort aus koordiniert“, sagte M. Es habe ein „bemerkenswertes Aggressionspotential“ geherrscht. Zudem sei er sich sicher, dass in der Chatgruppe auch Polizeibeamte involviert waren; Beweise dafür könne er aber keine vorlegen. Teilweise seien in der Chatgruppe die Texte der Drohschreiben veröffentlicht und zur Nachahmung aufgerufen worden. Bereits seit Sommer 2020 sei Alexander M. nicht mehr Teil der Chatgruppe. Er glaubt, dass andere Teilnehmer nun dafür verantwortlich sind, dass er als Urheber der Drohschreiben gilt.

In der Gruppe sei auch gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız gehetzt worden. Als Grund dafür sei der Frankfurter Polizei-Skandal angeführt worden, der aus dem Bekanntwerden der Datenabfrage an einem Polizeicomputer in Frankfurt kurz vor dem ersten Drohschreiben an die Anwältin folgte. Damals waren im Zuge der Ermittlungen rechte Chatgruppen in der Frankfurter Polizei aufgedeckt worden. Dies, so M., habe schließlich dazu geführt, dass einer der Polizisten aus den aufgeflogenen rechten Chatgruppen Selbstmord begangen habe.

Diese Info führt M. als Beweis dafür an, über polizeiinternes Wissen zu verfügen, das er auch nicht über einen Anruf bei den Beamten herausbekommen habe können. Dem widerspricht der Staatsanwalt, Sinan Aktogan, gegen Ende der Verhandlung: Der Tod des Beamten sei kein exklusives Polizeiwissen, sondern Gegenstand diverser Presseberichterstattungen. Unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung und der Hessische Rundfunk hatten im Mai 2019 darüber berichtet, dass der Beamte mit schneller Geschwindigkeit gegen einen Baum gefahren war und dass die Polizei in dem Fall von Suizid ausgeht.

Alexander M. gibt an, er könne Mitglieder der Gruppe namentlich nennen, doch wäre das für ihn ein Nachteil und er müsse dann in ein Zeugenschutzprogramm. Auch die weiteren Anklagevorwürfe – Verstoß gegen das Waffengesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Besitz jugendpornografischer Schriften – weist M. von sich. Die Vorsitzende Richterin, Corinna Distler, schlägt dem Angeklagten vor, den Ermittlern Zugang zu verschlüsselten Dateien auf seinem Rechner zu gewähren, um zur vollständigen Aufklärung beizutragen. M. lehnt jedoch ab mit der Erklärung, dass er sich dadurch keine Verbesserung seiner Handlungsposition verspreche.

Wie schon der Staatsanwalt widerspricht auch Antonia von der Behrens, die Nebenklagevertreterin von Seda Başay-Yıldız, den Ausführungen des Angeklagten. Es ist der Moment, in dem Alexander M. sich nicht mehr zurückhalten kann und erneut die in ihm brodelnde Wut zum Vorschein kommt: Trotz mehrfacher Ermahnung der Vorsitzenden Richterin, unterbricht M. die Nebenklageanwältin immer wieder, wird laut und beleidigt sie mit „die spinnt doch wohl“.

Eine weitere Anwältin der Nebenklage, die Vertreterin der Linken-Politikerin Martina Renner, sagt nach dem Ende der Verhandlung, das Verhalten des Angeklagten spiegele wider, was sich in den Drohschreiben zeige: „Der Angriff auf Frauen, die laut sind, die etwas zu sagen haben – das stößt ihm auf, da hat er überhaupt keinen Respekt.“
 
Fotogalerie:
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17. Februar 2022, 15.10 Uhr
Elena Zompi
 
 
 
 
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