Der AfE-Turm ist Geschichte. Die Sprengung am Sonntagvormittag lief nach Plan. 30.000 Menschen sollen zugesehen haben. Nun beginnen die Aufräumarbeiten.
Lukas Gedziorowski /
Es ist selten, dass man an einem Sonntagmorgen jemanden auf der Straße sieht. Am Morgen des 2. Februar jedoch ist viel los: Scharen von Menschen pilgern Richtung Innenstadt. Die Ludwig-Erhard-Anlage ist so belebt wie nicht einmal zu Messezeiten. Zwar fahren hier keine Autos, die Straße ist gesperrt, dafür stehen in der Anlage und auf den Straßen Menschen und schauen alle in eine Richtung: zu einem dunkelgrauen Hochhaus, das in einem leichten Nebel steht.
Die Tage des AfE-Turms, mehr als 40 Jahre lang ein Hochhaus der Universität, sind gezählt, in einigen Minuten wird er gesprengt. Zum Schluss bekommt er die größte Aufmerksamkeit: Später berichtet die Polizei von etwa 30.000 Schaulustigen – in sicherer Distanz von mindestens 250 Metern. Vor der Messe haben Getränke- und Würstchenstände aufgemacht. Zu trinken gibt es Bier, Sekt, Red Bull. Eltern haben ihre Kinder mitgebracht, Hobbyfotografen ihre Kameras, manche auch ihre Stative, die meisten benutzen ihre Mobiltelefone für das letzte Andenken und das nahende Spektakel. Nie zuvor dürften so viele Bilder von diesem Gebäude gemacht worden sein, wie an diesem Morgen.
„Ich weiß nicht, wie man nur so ein hässliches Ding bauen konnte“, sagt einer der Zuschauer kurz vor 10 Uhr. „Ich bin froh, wenn es weg ist.“ Um Punkt 10 starren alle wie gebannt auf den Turm, doch bis auf Warnsignale ist zunächst nichts zu hören. Dann, um 10.04 Uhr, der Countdown, vorgegeben durch die Lautsprecher der Polizei. Eine Staubwolke schießt aus der Mitte des Turms, die Etagen fallen in sich zusammen, mit Verspätung kommt auch der Knall, dann noch einer und der Kern des Turms fällt hinterher. In wenigen Sekunden ist nicht mehr zu sehen als eine aufsteigende Staubwolke. Vereinzelter Jubel ist zu hören. Und das war’s.
Viele Zuschauer bleiben noch eine Weile andächtig stehen, in Trauer, als könnten sie das Geschehene noch nicht fassen oder als könnte noch etwas kommen. Nur langsam beginnen die eben erst Gekommenen abzuziehen. Einige Studenten verkaufen ein Heftchen mit drei Essays zum Turm, geschrieben von ihrem Professor, dem Soziologen Tilman Allert. Wie sich später herausstellen soll, handelt es sich um ein fragwürdiges Andenken: 30 Seiten hochtrabendes Soziologen-Deutsch, für die Allgemeinheit unverständlich und schwer lesbar, für die Auserkorenen mit wenig Erkenntnisgewinn, die wenigen Bilder darin entbehrlich.
Da ist es schon besser, sich die Erzählungen von Studenten anzuhören. Der Turm sei zwar von außen hässlich gewesen, sagt der 25-jährige Moritz Boddenberg, der ebenfalls Allerts Heftchen verkauft, aber im Inneren habe das Gebäude ein gewisses „Flair“ gehabt. Der Vorteil sei gewesen, dass Büros und Seminarräume nah beieinander gelegen hätten. „Es ist schon komisch“, sagt er nach dem Turmfall. „Aber man wird sich schnell dran gewöhnen.“
Ähnlich äußert sich auch seine Komillitonin Marietta. Zwar sei auch sie einige Male in den Aufzügen stecken geblieben, dafür habe sie darin die Sprüche gelesen und von oben die schöne Sicht auf die Stadt genossen, so die 25-Jährige. Dass der Turm weg sei, findet sie „ein bisschen traurig“, aber dafür schätzt sie das Leben auf dem Campus Westend mehr. Dort sei es „kommunikativer“.
Währenddessen wird auf dem alten Campus Bockenheim Abschied gefeiert. Vor dem Studierendenhaus stehen noch einige Studenten und trinken ihren Frühschoppen Bier. Auf dem Boden liegt Konfetti, eine einsame leere Sektflasche mittendrin. Die Straßen in der Umgebung sind voller Staub. An manchen Stellen wirkt es, als hätte es geschneit.
Später, bei der Bilanzpressekonferenz um 13 Uhr im Marriott-Hotel herrscht eine ausgelassene Stimmung. Sprengmeister Eduard Reisch ist der Held des Tages. ABG-Chef Frank Junker gesteht, dass er eine relativ schlaflose Nacht gehabt habe, und freut sich nun über eine „Punktlandung“. Bis auf drei kaputte Fensterscheiben habe es keine Kollateralschäden gegeben. Junker bedankt sich auch bei den rund 1000 Helfern vom Technischen Hilfswerk, von der Berufs- und der Freiwilligen Feuerwehr sowie der Bundeswehr. Reisch lobt sein Team für eine „absolute Spitzenleistung“, spricht von einer „Bilderbuchsprengung“. An die Kollegen von der Bild-Zeitung, die in der vergangenen Woche wegen einiger Vorfälle in Reischs Vergangenheit an seiner Kompetenz gezweifelt haben, richtet er lächelnd den Appell, sie sollten „ordentlich recherchieren“.
Nun gilt es, 50.000 Tonnen Schutt aufzubereiten und zu beseitigen. Mehr als die Hälfte davon soll allerdings den Keller auffüllen, als Gegengewicht, damit die Bodenplatte bleibt, wo sie ist. Bis zu vier Monate lang sollen die Arbeiten noch dauern – allerdings, so verspricht es das Abbruchunternehmen AWR, mit geringer Lärmbelastung. Danach wird das benachbarte FLAT-Gebäude, ehemaliger Sitz der Philosophischen Promotionskomission, abgerissen, was etwa acht Wochen dauern soll. In einigen Jahren sollen an der Stelle neue Hochhäuser für Büros, Wohnungen und ein Hotel entstehen.
Was vom Turm übrig bleibt, ist ein grauer Haufen Stahlbeton. Noch Stunden nach der Sprengung stehen die Menschen in der Senckenberganlage und fotografieren die Reste. Alternativ gibt es Baumwolltaschen und Postkarten als Andenken. Vom 7. Oktober bis 7. November soll die Ausstellung „TurmGeschichten“ im PEG auf dem Campus Westend stattfinden. Die Nostalgiewelle hat gerade erst begonnen.