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Kampf gegen Dealer, Junkies, Bettler und Schmutz
Sisyphos-Arbeit im Bahnhofsviertel
Seit 150 Tagen versucht die Stadt koordiniert mit anderen Institutionen gezielt für Sicherheit im Hauptbahnhof und im Bahnhofsviertel zu sorgen. Während die Politik eine positive Bilanz zieht, machen Anwohner und Besucher andere Erfahrungen.
Sicherheit und das individuelle Sicherheitsgefühl sind nicht dasselbe. Doch seit 150 Tagen werden von der Stadtpolitik und anderen Akteuren beide Dinge fröhlich mit einander vermengt, vor allem wenn es um das Bahnhofsviertel und den Hauptbahnhof geht. „Wir bitten Fahrgäste auf die organisierten Banden im Hauptbahnhof zu achten“, ertönt es durch die Lautsprecher im Hauptbahnhof und das ausgerechnet fünf Minuten bevor Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), der Sonderkoordinator des Präventionsrats Klaus-Dieter Strittmacher, Joe Kanyi von der DB Sicherheit und Matthias Heinrich, Leiter der Stadtpolizei, bei einem Rundgang durch den Hauptbahnhof berichten wollen, dass sich in den vergangenen 150 Tagen hier viel bei der Sicherheit, dem Sicherheitsempfinden und bei der Sauberkeit getan hat.
Die verwinkelte B-Ebene des Hauptbahnhofs, die nicht umgebaut werden kann, so lange der Brandschutz und das Eisenbahnbundesamt hierzu nicht ein Okay geben, ist ein beliebter Treffpunkt für Dealer und ihre Kunden gewesen. Abgekämpfte in Treppenaufgängen liegende Drogenkonsumenten samt Blutspritzern und Nadeln gehörten zum täglichen, unangenehmen Szenario für die Bahnhofsbesucher. Seit 150 Tagen gibt es regelmäßige Streifen von zwei DB-Sicherheitsmitarbeitern und zwei Stadtpolizisten – immer zwischen 8 und 21 Uhr. Danach übernehme die Bundespolizei die Verantwortung, sagt Matthias Heinrich. Es sei besser geworden. So habe man in bisher 1780 geleisteten Streifenstunden 1150 Maßnahmen ergriffen, unter anderem 740 Personen überprüft, 185 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt, 28 Mal sei man bei unerlaubtem Lagern eingeschritten, 50 Mal bei nicht erlaubtem Rauchen, man habe 37 Hausverbote erteilt. Und kurz nachdem die Frankfurter Pressevertreter sich diese zweifellos beeindruckende Bilanz anhören, werden die bei dem Rundgang teilnehmenden Sicherheitsbeamte von einer zahnlosen Drogenabhängigen angepöbelt: „Ja und sagt ruhig, wie schlecht ihr mit uns umgeht!“.
Die Stadtpolizei habe einfach mehr Rechte als die Mitarbeiter der DB Sicherheit, könne effektiver einschreiten, sagt Joe Kanyi. Die B-Ebene sehe nun schon viel besser aus als vor einiger Zeit.
Der Uringestank bleibt
Klaus-Dieter Strittmacher zeigt auf neu angebrachte Spiegel an einem Treppenabgang zur U-Bahn. „Dadurch sieht man, ob um die Ecke einer sitzt. Das soll da subjektive Sicherheitsgefühl verbessern“, sagt er. Aber ob man dann auch wirklich sicherer ist, wenn nicht mal das Sicherheitspersonal von Pöblern verschont wird? Trotz jährlich 1,6 Millionen Euro, die die Deutsche Bahn in die Reinigung von Deutschlands größtem Hauptbahnhof investiert, stinkt es an den Treppen beißend nach Urin. „Den Smell bekommen sie hier nicht mehr weg“, sagt Strittmacher lapidar. Kanyi versichert, es gebe eine tägliche Nassreinigung und dass man keinen Müll, keine Flaschen, Spritzen oder blutverschmierte Fliesen sehe, sei ein Erfolg.
Ganz offensichtlich hat auch die Bahn über Jahre hinweg die B-Ebene vernachlässigt, man sieht es an der heruntergekommenen Bausubstanz der Unterführungen.
Da mutet es doch etwas seltsam an, wenn die Sprecherin der Deutschen Bahn auf das weiße Klavier bei Gleis 2 verweist, auf dem Reisende nun spielen können, das trage ja auch zu einem besseren und sichereren Gefühl am Hauptbahnhof bei. Ja, ist klar.
Klaus-Dieter Strittmacher erklärt, dass man überlege, die Mülleimer der Bahn so zu verändern, dass Flaschensammler nicht mehr hineingreifen könnten und so Unrat verbreiten.
Am Bahnhofsvorplatz soll es eine andere, gleichmäßigere Beleuchtung geben, die keine schattigen Ecken zulässt, aber auch bei der Hell-Dunkelanpassung nicht stören würde. All das wird in einer Machbarkeitsstudie gerade erforscht. Am Kaisersack baut Strittmacher auf ein demnächst eröffnendes kanadisches Pommeslokal mit Außengastronomie, da soll die Bestuhlung die alkoholisierten Lungerer abschrecken. Man versuche die Gruppenbildung zu zerschlagen, beim Rundgang aber stehen rund zwölf Personen um einen Baum, natürlich mit Flaschen in den Händen und klar werden dann auch die Sicherheitsleute angepöbelt. Mit Fritten gegen Suffgammler, wenn es doch so einfach wäre. 50 Maßnahmen will die Sonderkoordination Bahnhofsviertel sukzessive umsetzen. Das ist viel Engagement, aber ganz so toll, wie die Akteure ihre Bilanz finden, ist die Realität doch nicht. „Was wir machen, ist ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf“, bekennt auch Markus Frank. Sobald die Kontrollen nachließen, würden wieder die alten Zustände herrschen, „eine Sisyphosaufgabe“.
Schein und Sein
Bahnhofsviertelbewohnern wie dem Fotografen und Gewerbevereinsvorsitzenden Ulrich Mattner gehen all die Maßnahmen nicht weit genug. „Es ist nicht besser geworden, sondern schlimmer.“ Die B-Ebene sei ja noch okay. Aber nachts im Bahnhofsviertel herumlaufen halte er mittlerweile für gefährlich, er mache mittlerweile um manche Personengruppen auf der Straße einen großen Bogen, das habe er vorher nie getan. „Kürzlich habe ich nachts die Polizei gerufen, weil hier im Viertel ab halb vier über Stunden eine sehr laute Party gefeiert wurde und an schlafen nicht zu denken war.“ Die Polizei habe am Telefon gesagt, man wisse davon, es gebe zahlreiche Beschwerden, aber die Polizei habe gerade kein Auto und könne sich so einfach keines schnitzen. Das habe sein persönliches Sicherheitsgefühl stark beeinträchtigt. Nicht auszudenken, wenn es zu einem wirklichen Notfall gekommen wäre.
Frankfurter Weg – der heilige Gral
Dass an jeder Ecke im Viertel mittlerweile nachts Drogen angeboten würden, das sei aber keine alleinige Frage des persönlichen Sicherheitsgefühls mehr. „Die Stadt sollte langsam auch den Frankfurter Weg, den Heiligen Gral, hinterfragen. In den letzten 25 Jahren hat sich alles verändert, die Junkies nehmen Crack und nicht mehr Heroin und nur der Frankfurter Weg soll sich da nicht mitändern?“, fragt Mattner. Tatsächlich wagen weder der Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) noch Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) das sich schon seit Jahren anbahnende Crack-Problem in Frankfurt mit konkreten Vorschlägen in Angriff zu nehmen. Ulrich Mattner erwartet, dass die Stadt Experten konsultiere, sich der aktuellen Entwicklung stelle. „Wir sind die Crackhauptstadt Nummer eins, aber darüber verliert die Politik kein Wort!“
Foto ganz oben: v.l.n.r. Joe Kanyi, Klaus-Dieter Strittmacher, Markus Frank und Matthias Heinrich
Die verwinkelte B-Ebene des Hauptbahnhofs, die nicht umgebaut werden kann, so lange der Brandschutz und das Eisenbahnbundesamt hierzu nicht ein Okay geben, ist ein beliebter Treffpunkt für Dealer und ihre Kunden gewesen. Abgekämpfte in Treppenaufgängen liegende Drogenkonsumenten samt Blutspritzern und Nadeln gehörten zum täglichen, unangenehmen Szenario für die Bahnhofsbesucher. Seit 150 Tagen gibt es regelmäßige Streifen von zwei DB-Sicherheitsmitarbeitern und zwei Stadtpolizisten – immer zwischen 8 und 21 Uhr. Danach übernehme die Bundespolizei die Verantwortung, sagt Matthias Heinrich. Es sei besser geworden. So habe man in bisher 1780 geleisteten Streifenstunden 1150 Maßnahmen ergriffen, unter anderem 740 Personen überprüft, 185 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt, 28 Mal sei man bei unerlaubtem Lagern eingeschritten, 50 Mal bei nicht erlaubtem Rauchen, man habe 37 Hausverbote erteilt. Und kurz nachdem die Frankfurter Pressevertreter sich diese zweifellos beeindruckende Bilanz anhören, werden die bei dem Rundgang teilnehmenden Sicherheitsbeamte von einer zahnlosen Drogenabhängigen angepöbelt: „Ja und sagt ruhig, wie schlecht ihr mit uns umgeht!“.
Die Stadtpolizei habe einfach mehr Rechte als die Mitarbeiter der DB Sicherheit, könne effektiver einschreiten, sagt Joe Kanyi. Die B-Ebene sehe nun schon viel besser aus als vor einiger Zeit.
Der Uringestank bleibt
Klaus-Dieter Strittmacher zeigt auf neu angebrachte Spiegel an einem Treppenabgang zur U-Bahn. „Dadurch sieht man, ob um die Ecke einer sitzt. Das soll da subjektive Sicherheitsgefühl verbessern“, sagt er. Aber ob man dann auch wirklich sicherer ist, wenn nicht mal das Sicherheitspersonal von Pöblern verschont wird? Trotz jährlich 1,6 Millionen Euro, die die Deutsche Bahn in die Reinigung von Deutschlands größtem Hauptbahnhof investiert, stinkt es an den Treppen beißend nach Urin. „Den Smell bekommen sie hier nicht mehr weg“, sagt Strittmacher lapidar. Kanyi versichert, es gebe eine tägliche Nassreinigung und dass man keinen Müll, keine Flaschen, Spritzen oder blutverschmierte Fliesen sehe, sei ein Erfolg.
Ganz offensichtlich hat auch die Bahn über Jahre hinweg die B-Ebene vernachlässigt, man sieht es an der heruntergekommenen Bausubstanz der Unterführungen.
Da mutet es doch etwas seltsam an, wenn die Sprecherin der Deutschen Bahn auf das weiße Klavier bei Gleis 2 verweist, auf dem Reisende nun spielen können, das trage ja auch zu einem besseren und sichereren Gefühl am Hauptbahnhof bei. Ja, ist klar.
Klaus-Dieter Strittmacher erklärt, dass man überlege, die Mülleimer der Bahn so zu verändern, dass Flaschensammler nicht mehr hineingreifen könnten und so Unrat verbreiten.
Am Bahnhofsvorplatz soll es eine andere, gleichmäßigere Beleuchtung geben, die keine schattigen Ecken zulässt, aber auch bei der Hell-Dunkelanpassung nicht stören würde. All das wird in einer Machbarkeitsstudie gerade erforscht. Am Kaisersack baut Strittmacher auf ein demnächst eröffnendes kanadisches Pommeslokal mit Außengastronomie, da soll die Bestuhlung die alkoholisierten Lungerer abschrecken. Man versuche die Gruppenbildung zu zerschlagen, beim Rundgang aber stehen rund zwölf Personen um einen Baum, natürlich mit Flaschen in den Händen und klar werden dann auch die Sicherheitsleute angepöbelt. Mit Fritten gegen Suffgammler, wenn es doch so einfach wäre. 50 Maßnahmen will die Sonderkoordination Bahnhofsviertel sukzessive umsetzen. Das ist viel Engagement, aber ganz so toll, wie die Akteure ihre Bilanz finden, ist die Realität doch nicht. „Was wir machen, ist ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf“, bekennt auch Markus Frank. Sobald die Kontrollen nachließen, würden wieder die alten Zustände herrschen, „eine Sisyphosaufgabe“.
Schein und Sein
Bahnhofsviertelbewohnern wie dem Fotografen und Gewerbevereinsvorsitzenden Ulrich Mattner gehen all die Maßnahmen nicht weit genug. „Es ist nicht besser geworden, sondern schlimmer.“ Die B-Ebene sei ja noch okay. Aber nachts im Bahnhofsviertel herumlaufen halte er mittlerweile für gefährlich, er mache mittlerweile um manche Personengruppen auf der Straße einen großen Bogen, das habe er vorher nie getan. „Kürzlich habe ich nachts die Polizei gerufen, weil hier im Viertel ab halb vier über Stunden eine sehr laute Party gefeiert wurde und an schlafen nicht zu denken war.“ Die Polizei habe am Telefon gesagt, man wisse davon, es gebe zahlreiche Beschwerden, aber die Polizei habe gerade kein Auto und könne sich so einfach keines schnitzen. Das habe sein persönliches Sicherheitsgefühl stark beeinträchtigt. Nicht auszudenken, wenn es zu einem wirklichen Notfall gekommen wäre.
Frankfurter Weg – der heilige Gral
Dass an jeder Ecke im Viertel mittlerweile nachts Drogen angeboten würden, das sei aber keine alleinige Frage des persönlichen Sicherheitsgefühls mehr. „Die Stadt sollte langsam auch den Frankfurter Weg, den Heiligen Gral, hinterfragen. In den letzten 25 Jahren hat sich alles verändert, die Junkies nehmen Crack und nicht mehr Heroin und nur der Frankfurter Weg soll sich da nicht mitändern?“, fragt Mattner. Tatsächlich wagen weder der Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) noch Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) das sich schon seit Jahren anbahnende Crack-Problem in Frankfurt mit konkreten Vorschlägen in Angriff zu nehmen. Ulrich Mattner erwartet, dass die Stadt Experten konsultiere, sich der aktuellen Entwicklung stelle. „Wir sind die Crackhauptstadt Nummer eins, aber darüber verliert die Politik kein Wort!“
Foto ganz oben: v.l.n.r. Joe Kanyi, Klaus-Dieter Strittmacher, Markus Frank und Matthias Heinrich
14. Juni 2017, 15.49 Uhr
Nicole Brevoord
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