Polizei beendet Studentenprotest

Besetztes Haus wurde mit Großeinsatz geräumt

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Polizeikräfte haben am späten Donnerstagabend die Besetzung einer Villa im Westend mit einem Großeinsatz beendet. Rund 70 Studierende hatten gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum protestiert.

Nicole Brevoord, Timo Geißel, Corinna Hunger /

Um zehn Uhr am Freitagmorgen waren vor den seit der Nacht geräumten Gebäuden in der Schumannstraße noch immer zwei vollbesetzte Einsatzwagen der Polizei zu sehen. Noch immer standen Einsatzkräfte in voller Montur, aber scheinbar gelangweilt vor den vernachlässigten Gebäuden und warteten auf das Abziehen der Handwerker, die zu diesem Zeitpunkt Reparaturmaßnahmen innerhalb der Gebäude durchführten. Den Gebäuden sind die Vorgänge vom Donnerstag äußerlich noch deutlich anzusehen. Verbrannte Eimer, leere Flaschen und teils zerrissene Mülltüten liegen in den Vorgärten verteilt und lassen nur erahnen, was bei der Räumungsaktion der Polizei in der Nacht tatsächlich vor sich ging. Dabei gibt es von der Räumung der besetzten Villa in der Schumannstraße 60 mehrere Versionen.

Laut Polizei sei das am Nachmittag besetzte leerstehende Gebäude am späten Donnerstagabend geräumt worden, weil der Eigentümer, das Hessische Immobilienmanagement, Strafanträge wegen Hausfriedensbruch gestellt hatte. Um 22.15 Uhr hätten Einsatzkräfte das Gebäude abgesperrt und die Hausbesetzer über Lautsprecher aufgefordert, die Häuser zu verlassen. Einige Studenten hätten sich daraufhin von den Grundstücken in Richtung Beethovenstraße und Campus entfernt, ohne von der Polizei weiter belangt zu werden. Nach mehrmaliger Aufforderung, habe die Polizei dann um 23 Uhr mit der Räumung des Hauses begonnen. Dazu musste mit schwerem Gerät die verbarrikadierte Haustür geöffnet werden. Anschließend sollen 71 Personen von der Polizei vorläufig festgenommen worden sein. Zwei weitere Personen hätten laut Polizeibericht auf der Straße Widerstand geleistet und die Einsatzkräfte beleidigt. Sie wurden ebenfalls festgenommen. Teilweise sollen Feuerwerkskörper und Raketen gezündet worden sein und die Polizei habe in zwei Fällen den Schlagstock eingesetzt. Die festgenommen Personen habe man zur Identifikation in Gewahrsam verbracht, um sie anschließend wieder zu entlassen.

Inzwischen ist von Seiten der Studenten scharfe Kritik am Vorgehen der Polizisten laut geworden. Unter anderem veröffentlichte die AK Recht der Goethe-Universität Frankfurt eine Mitteilung, in der die „Polizeigewalt sowie die klaren Rechtsverstöße der Polizei“ verurteilt wurden. Zuvor habe die Polizei in der Öffentlichkeit betont, kein Interesse an einer Eskalation zu haben und einen friedlichen Ablauf gewährleisten zu wollen, eine Räumung sei nicht geplant. Obwohl es einen Ansprechpartner mit Handynummer im Besetzerhaus gegeben habe, sei die Polizei ohne Vorwarnung vorgefahren und habe unter Einsatz von Gewalt bis zu 100 Unterstützer bis zum Beethovenplatz getrieben. Hierbei seien durch Faust- und Schlagstockschläge mehrere Personen im Gesicht und am Rücken verletzt worden.

Auch wurde Kritik an der Art und Weise der Festnahmen geäußert. „Unabhängig davon, wie die beteiligten Gruppen die Vorfälle politisch bewerten, ist die juristische Bewertung des Abends eindeutig“, sagt Florian Muhs, Sprecher des AK Recht an der Uni Frankfurt. „Wir verurteilen den heutigen Polizeieinsatz auf das Schärfste und werden in den nächsten Tagen eine ausführliche juristische Bewertung treffen.“ Der AK Recht ruft alle betroffenen Personen auf, Gedächtnisprotokolle anzufertigen und sich mit dem Arbeitskreis über die weiteren Schritte zu beraten. Die Sprecherin der Gruppe „Schlaflos in Frankfurt“ war für eine Stellungnahme zum Polizeieinsatz am heutigen Freitagvormittag nicht zu erreichen.

Vor dem Einsatz der Polizeikräfte hatte sich die Studierendenvertretung mit den Hausbesetzern solidarisch erklärt: “Wer eine desolate Wohnraumsituation zu verantworten hat, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen sich nehmen was ihnen zusteht. Denn Wohnen ist ein Menschenrecht! Während viele Menschen ohne ein angemessenes Dach über dem Kopf alleine gelassen werden, baut die Stadt weiterhin großflächige Büroraume und Einkaufszentren in den Frankfurter Stadtteilen Gallus und Ostend – ohne zeitgleich genügenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen.“

Fast fühlte man sich an die alten Hausbesetzer-Zeiten erinnert, als Studierende der Frankfurter Goethe-Universität nach einer Vollversammlung am Donnerstag unter dem Namen „Schlaflos in Frankfurt“ ankündigten, ein leerstehendes Haus in der Schumannstraße 60 zu bestzen. Hintergrund ist, dass das Wintersemester mit einem großen Run auf die Universität begonnen hat und dementsprechend viele Studierende nun in Frankfurt eine Bleibe suchen. Da man entweder teure Mieten zahlen müsse oder erst gar keine Wohnung finden könne, sei es unzumutbar in Frankfurt zu studieren, so Kim Fröhlich von der Gruppe „Schlaflos in Frankfurt“. Fast ein Fünftel aller Gewerbeflächen der Stadt stünden frei, sodass der nicht nur Studenten betreffende Wohnungsmangel eigentlich nicht nötig sei.

Die Studierengruppierung hielt es einem öffentlichen Statement zufolge für „legitim, sich die Räume zu nehmen, die wir brauchen, um in Frankfurt am Main leben zu können." Aus der Besetzung der Schumannstraße 60 sollte, den Besetzern zufolge, langfristig ein selbstverwaltetes Wohn- und Kulturzentrum entstehen. Aus dem für den heutigen Freitag angekündigten öffentlichen Plenum um 19 Uhr in der Schumannstraße wird nach der Räumung des Hauses wohl nichts mehr. Es soll stattdessen, wie man hört, jedoch ein Zusammentreffen im Café KOZ geben.

Inzwischen hat sich auch Uni-Präsident Werner Müller-Esterl an die Stadt und deren Bewohner mit einem Appell gerichtet, kurzfristig preiswerten zusätzlichen Wohnraum für die Studierenden zur Verfügung zu stellen. „So froh wir über diesen großen Zuspruch sind, so kritisch stellt sich jedoch zu Beginn dieses Wintersemesters die Situation am Frankfurter Wohnungsmarkt dar! Als Präsident der Goethe-Universität, die mit aktuell 41.000 Studierenden auf ein Allzeithoch zusteuert, bin ich in großer Sorge darüber, dass noch nicht alle Studierenden eine angemessene Bleibe in Frankfurt und Umgebung gefunden haben. Der Mangel an Wohnheimplätzen und die im bundesweiten Vergleich mit München höchsten Mieten machen es Studierenden zunehmend schwerer, sich für ein Studium an Frankfurter Hochschulen zu entscheiden. Damit drohen unserer Stadt und Region kluge Köpfe verloren zu gehen, da sie sich gezwungen sehen, sich für Regionen entscheiden, in denen das Mietniveau erträglicher und studentischer Wohnraum eher verfügbar ist“, so Müller-Esterl.


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