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Dalai-Lama-Besuch

"Schöne Worte gibt es auch beim Papst, nur billiger"

Dieser Tage tourt der Dalai Lama auf Einladung der Landesregierung wieder durch Hessen. Der Frankfurter Autor Tom Kahn ist einer der wenigen, die das kritisch sehen - kürzlich war er selbst in Tibet.
Journal Frankfurt: Sie waren auf Einladung der chinesischen Regierung in Tibet. Hat Sie das nachdenklich gestimmt?
Tom Kahn: Natürlich überlegt man sich: wirst du da instrumentalisiert, wirst du indoktriniert. Das lief über das Ministerium für internationale Presse und Information.

Und?
Das war schon die erste Überraschung: mich haben zwei junge Chinesen empfangen, die völlig entspannt waren. Sie haben nur gesagt: Schauen Sie sich um. Mit keinem Wort haben sie versucht, mich von irgendetwas zu überzeugen. Beide sprachen perfekt deutsch, wir waren erst einmal einen Tag in Beijing – das übliche Programm vom Platz des Himmlischen Friedens bis zur Kaiserstadt. Am nächsten Morgen sind wir dann nach Lhasa geflogen. Ich kam mir vor wie Karl May.

Nur dass der, im Gegensatz zu Ihnen, die Schauplätze seiner Bücher nie gesehen hat.
Ja, plötzlich ist man auf einem nagelneuen Flughafen, ist mittendrin in einer Stadt, die man vor allem durch historische Fotos und wissenschaftliche Recherche kennengelernt hat. 50 Jahre nach der Zeit, in der mein Buch spielt. Das ist natürlich eine zweischneidige Sache: man hat die romantisierte Darstellung dieses Landes im Kopf, und da wirkt jedes Zeichen des Fortschritts, der Industrialisierung wie eine Zerstörung dieses alten Bildes. Dabei ist das ja ein Prozess, der weltweit zu beobachten ist.

Was hat Sie noch überrascht?
Der erste Eindruck war nicht der eines Landes, das unter der Knechtschaft seiner Besatzer zu leiden hat. Man erwartet Maschinengewehre und deprimierte Tibeter. Das Gegenteil ist der Fall. Lhasa ist eine Stadt, die sofort lebenswert erscheint. Jugendliche hören im Radio ihre tibetische Musik, Mönche beten im alten Ritus.

Sicherheitskräfte sind aber dennoch präsent?
Natürlich, aber das darf man nicht mit deutschen Maßstäben vergleichen. Sie schauen nach dem rechten, und manchmal sitzt die Mütze schief – die sind nicht wirklich furchterregend. Eher wie unser Ordnungsamt. Und in Beijing stehen die auch fast an jeder Bushaltestelle

Von Montag bis Mittwoch ist der Dalai Lama in Hessen unterwegs. Was erzählen Ihre chinesischen Begleiter über das geistliche Oberhaupt?
Die waren geradezu dankbar, dass ich sie danach fragte und mit ihnen darüber diskutierte. Normalerweise suchen Journalisten nach dem, was sie brauchen, um das Bild, was sie haben, zu bestätigen. Natürlich gaben die Beiden eine Antwort darauf, warum und was damals geschehen ist.

Was war die Antwort?
Da kommt man ins Schlucken. Die Chinesen nennen das eine Befreiung. Da schrillen natürlich im Westen alle Alarmglocken. Ich würde so sagen: sie hängen noch ein wenig in der kommunistischen Terminologie fest. Aber es gibt eben auch andere Geschichten. Ich habe einen Farmer getroffen, einen ganz einfachen Menschen. Der erzählte mir: ich war Sklave, ich weiß noch wie die Volksbefreiungsarmee hier reinkam und meine Kette durchtrennte und meinen Lehnsherrn an den Pranger gestellt hat. Dieser Farmer war dankbar. Und von solchen Menschen trifft man wirklich viele. Es wird dort viel gebaut, viel investiert – alles in der tibetischen Architektur, von chinesischen Plattenbauten keine Spur. Dieser Fortschritt wird anerkannt.

Die Chinesen drücken den Tibetern nicht ihre Ideologie auf?
Das kann man so nicht sagen. Die Chinesen selbst geben zu, dass sie zum Beispiel in der Kulturrevolution verheerende Fehler gemacht haben. Diese richtete sich aber ja nicht allein gegen die Tibeter, sondern auch gegen das eigene Volk. Heute sieht man in Lhasa, wie diese Stadt aufgeblüht ist. Das basiert auf chinesischem Geld. Bei allem was in der Vergangenheit passiert ist: Heute läuft es gut. Das muss man den Chinesen doch zugutehalten.

Die Exilregierung würde dem widersprechen - und davon sprechen, dass die Menschen dort immer noch nicht offen reden dürfen.
Zur Meinungsfreiheit möchte ich sagen: der Großteil der Tibeter ist zufrieden mit ihrer Situation, sie wollen keinen Umsturz und sie wollen vor allem nicht, dass die alte tibetische Regierung zurückkommt. Was ist auch so ungewöhnlich daran, Stabilität und Frieden zu wollen? Die alte Religion, die Kultur - das ist alles noch da. Das mit der Meinungsfreiheit ist natürlich richtig, trifft aber auch auf viele andere Länder der Erde zu - nicht zuletzt auf die große Masse der Chinesen selbst. Auch in Peking kann ich mich nicht hinstellen und das Wort Revolution in den Mund nehmen.

Das macht es aber nicht besser. Würde die Exilregierung in dieser Hinsicht nicht Linderung bieten?
Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass sie etwas besser machen würden. Sie hat doch seit einem halben Jahrhundert kein Land mehr regiert. Wie soll das gehen? Ich glaube nicht mal, das sie heute potentielle Wahlen in Lhasa gewinnen würde. Sie ist damals ja vor allem geflohen, weil diese Stände ihre Privilegien verloren haben. Der Dalai Lama selbst regiert über seine Gefolgschaft recht undemokratisch. Kritik wird ebensowenig zugelassen wie Diskussionen. Selbst Exiltibeter anerkennen, was China in Lhasa geleistet hat und die schauen das Fernsehen von dort. Aber In der Öffentlichkeit ist es ihnen verboten zu sagen, dass sie auf China zugehen zu wollen.

Geht das nicht über eine normale Regierung hinaus? Schließlich bildet die Religion doch einen sehr starken Kern.
Die Menschen in Tibet können ihre Religion frei ausüben - das war einmal anders, mittlerweile aber lässt China dies zu. Was den Dalai Lama angeht ist die Position Chinas: eine Rückkehr als geistiges Oberhaupt wäre denkbar. Als politischer Führer nicht. Die wirklich spannende Frage ist doch: wir haben auf der einen Seite einen funktionierenden Staat mit Flughafen, einer Universität und moderner Kommunikation in Lhasa. Auf der anderen Seite haben wir eine Exilregierung, die sich vor allem über Spenden finanziert.

Sie meinen die Free Tibet-Bewegung?
Das ist mittlerweile eine Geldmaschine, da geht es um Spenden aus dem Westen. Wenn die stockt, dann hat die Exilregierung ein Problem. Gut die Hälfte der Exilgemeinde sind Mönche. Wovon sollen die leben? Jeder der also anfangen würde, die Politik der Exilgemeinde zu hinterfragen, stellt dieses Geschäftsmodell in Frage. Die Forderungen des Dalai Lama sind zudem so hoch, dass China unmöglich darauf eingehen kann. Solange er davon nicht abrückt, werden die Chinesen ihre Haltung ebenfalls nicht aufgeben - und damit wird zugleich das Geschäft mit „Free Tibet“ weiterlaufen.

Warum sehen Sie diese Bewegung so kritisch? Schließlich bezieht sie sich ja unter anderem auf die Aussagen und Bücher des Dalai Lama gegen die sich in ihren Grundwahrheiten nichts sagen lässt.
Ich glaube, da sind wir uns auch einig. Der Dalai Lama repräsentiert einen Traum, den wir alle haben. Menschlichkeit, eine bessere Welt, Nächstenliebe. Was macht er aber, um diese Werte zu erreichen? Schöne Worte gibt es auch beim Papst, nur billiger. Wenn ich ihn nur als Heiligen sehe, dann könnte ich das auch völlig unterschreiben. In seiner Politik hat er aber nie etwas geleistet, um diese hehren Ziele umzusetzen. Die Frage ist sogar, ob Lhasa ohne den Dalai Lama derzeit nicht besser dran ist. Die meisten Provinzen in China sind neidisch darauf, in welch hohem Maße China den Fortschritt in Tibet unterstützt.

Überall, wo der Dalai Lama auftritt - wie jetzt auch wieder in Hessen - interveniert die chinesische Regierung. Warum macht sich das Land nicht einfach locker, was die Tibetfrage angeht?
Es gibt ein schönes chinesisches Schriftzeichen für das Wort Land oder Staat. Es ist wie eine quadratische Mauer, es symbolisiert Schutz und Stabilität. Das erklärt sich aus der an verheerenden Bürgerkriegen reichen Geschichte Chinas. Stabilität steht vor der persönlichen Freiheit des einzelnen. Das mögen wir hier im Westen zumindest seltsam finden, wir sollten es aber bis zu einem gewissen Grad auch anerkennen. Viele Menschen in China sehnen sich nach Stabilität. Die Regierung garantiert diese - und tut alles dafür, Störungen dieser Stabilität zu bekämpfen. Nicht nur in Tibet.

Weiterlesen: Der Dalai Lama zu Besuch in der Goethe-Uni
 
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22. August 2011, 12.08 Uhr
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