4 x solo – beim „Musikszene Frankfurt“-Konzert in der Stadtbücherei am 12. Mai demonstrieren vier Top-Solisten, dass sie keine Bandbegleitung brauchen. Im Interview stellen wir Tony Clark, Luca Dechert, Vassily Dück und Gernot Dechert vor.
Detlef Kinsler /
Tony Clark (Shakuhachi)
JOURNAL FRANKFURT: Man kennt Dich vor allem als Gitarrist eines echten Power Post Grunge-Trios Killing Time, mit dem Du auch schon beim Museumsuferfest auf der Journal-Bühne gespielt hast. In der Stadtbücherei sehen wir Dich jetzt solo mit der Shakuhachi. Wie bist Du zur japanischen Bambusflöte gekommen, die vor allem mit dem Zen Buddhismus in Verbindung gebracht wird?
Tony Clark: Ich war 19 und habe an der Universität in Florida Komposition studiert weil mich alles andere gelangweilt hat und ich auch nicht zum Jazzer degenerieren wollte. Jazz hat mir einfach nichts gesagt. Damals haben alle an die Schule, die mit Rockmusik am Ende waren, Gitarristen wie Allen Holdsworth gehört und sind auf die Uni. Ich habe also Komposition studiert und auf einmal steht im Klassenzimmer ein Japaner und spielt Shakuhachi. Die Florida State University hatte ein relativ großes Weltmusikprogramm welches ein Eriträer aufgebaut hat. Das hat mich einfach vollkommen umgeworfen weil das war etwas, was ich nicht kannte. Es klang nicht klassisch, es klang nicht nach Jazz, nicht nach Rockmusik, es klang ganz, ganz anders, und was mir imponiert hat, war, dass alles auch ein bisschen zerstörerisch klang. Shakuhachi hat eine Musiktradition, in der – würde ich sagen – eine aggressive, männliche Komponente durchaus vertreten ist. Die ganzen Kompositionen aus dem Mittelalter, die von zenbuddhistischen Menschen festgehalten wurden, die sind ja so, dass sie ganz schwer greifbar sind, absichtlich, weil das Erlernen dieser Kompositionen eine Art Meditation an sich ist. Ähnlich wie wenn man eine Bachpartitur lernen will. Aber bei diesen japanischen Stücken war es so, dass sie schlussendlich doch irgendwelche Gebete, Mantren oder sogar japanische Volkslieder als Vorlage genommen und sie dann auseinander gestückelt haben so wie Jimi Hendrix das mit „Star Sprangles Banner“ gemacht hat. Er wollte nicht in einem bestimmten Metrum bleiben, sondern ausbrechen. Eine an sich schöne, romantische, wehmütige Melodie, wird auf 13 Minuten gedehnt, fast vollkommen zerstört mit kleinen Fragmenten und wilden Ausbrüchen. Das fand ich cool.
Was bei uns im Westen ankommt, ist das Meditative was automatisch mit der Kirschblüte vor der Silhouette des Fuyijama assoziiert wird. Dabei hat das Ganze nichts Esoterisches ...
Es gibt ganz gezielte Techniken, „Daha“, das Schlagen der Wellen, da muss man mit der Zwerchfell versuchen wirklich über Minuten einen Rhythmus zu generieren obwohl die Melodie aufhört. Das heißt ich puste, muss in den Groove hinein finden und das ist eine sehr kraftvolle Sache. Das ist ja auch ein Instrument, um das richtig zu spielen, braucht man sehr viel Kraft.
Es ist also eine sehr physische, körperliche Geschichte ...
Selbstverständlich ist es auch eine Meditationsmusik, aber es ist nicht so, dass das Publikum meditieren sollte. Ursprünglich war es so, dass das Erlernen der Musik für den Spieler eine Art von Meditation war. In der japanischen Literatur, in der japanische Volksmusik, in der japanischen Seele gehört das Kriegerische auch ein bisschen dazu, etwas Wehmut, die Naturgewalt, auch das musikprogrammtische Element, Hirsche, die sich über die Berge zurufen. Mittlerweilen ist es ja auch Kunstmusik, die konzertant aufgeführt wird.
Wie hast Du das Instrument für Dich persönlich entwickelt?
Sagen wir mal so. Ich habe viel japanische Musik gespielt so wie sie gespielt werden soll, z.B. die Ensemblemusik mit Koto und Gesang, da kann man eigentlich nichts tun, außer sie ähnlich wie ein klassische Musiker zu interpretieren. Da kann man schon seine eigene Interpreation abliefern, aber man hält sich an die Noten, die Konventionen, die man von seinem Lehrer gelernt hat. Das wäre jetzt doof, auf Teufel komm raus etwas Neues machen zu wollen. In der ursprünglichen Sololiteratur, das was die Mönche gemacht haben, da kann man vielleicht noch mehr seine eigenen Gedanken, seine Emotionen einfließen lassen. Schlussendlich habe ich den Eindruck, dass es keinen Sinn macht. Wenn du mit einem virtuosen Geiger sprichst, der wird dir sagen, wenn er eine Sonate spielt, spielt er selbstverständlich was auf dem Blatt steht. Selbstverständlich ist es auch seine ureigene Interpretation und er geht darin auf. Jahrelang haben ich aber keinen Sinn darin gesehen, eas Neues daraus zu machen. Ich glaube nicht, dass ich es weiter entwickelt habe, ich habe es so gespielt wie ich Bock hatte. Dann habe ich versucht mit verschiedenen Kollegen hier die Shakuhachi insofern voran zu treiben, indem ich neue Musik dafür komponiert habe aber das ist für mich immer ein Kompromiss geblieben. Die Shakuhachi passt nicht in viele Stilrichtungen ohne dass man die Essenz verliert. Ich will wenn ich eine Shakuhachi habe eigentlich keine tonale Referenz haben, weil die mikrotonalen Sachen wirken einfach viel besser wenn ich keine Keyboardsuppe darunter habe, die mich da zu unterstützen versucht. Und ich glaube eben, dass die Shakuhachi im Kontext der neuen E Musik am ehestens erweitert werden kann. Dass was es ist, ist gut so ohne dass ein kleiner Tony Clark da was hinzufügen könnte. Ich habe Respekt vor dieser Tradition und es wäre vermessen zu glauben, dass ich da was tun kann.
Wenn man diesen Respekt nicht spüren würde, kämen sich auch keine Einladung von offiziellen japanischen Einrichtungen hier in Deutschland, zumal es ja oft den Eindruck macht, dass es ein Sakrileg ist, wenn ein Nicht- Japaner das heilige Instrument spielt ...
Ich habe auch schon in der Botschaft in Berlin gespielt, auch von einem Leipziger Komponisten, Schleiermacher, Neue Musik. Das ist eine große Herausforderung nicht nur im traditionellen Kontext ganz ganz präzise zu spielen. Dann finde ich es inzwischen interessant mit experimentierfreudigen Jazzern zusammen zu arbeiten. Elvira Plenar z.B., eine hanseatische Pianistin, die mit einer Zahnbürste erst mal in den Flügel reinklettert und einen Groove macht, Dann hat man als Shakuhachisieler sehr viel Platz. Ich mache jetzt mit dem Holger Manthei im September ein paar Gigs, das ist ein norddeutscher Jazzpianist. Letztes Jahr haben wir für die Konichi in Kassel gespielt, eine Mangamesse, wo Du tausende von Comicfiguren vor dir hast. Das Generalkonsulat in Frankfurt findet so was ganz, ganz toll weil sie sehen, dass es da ein ganz neues Publikum gibt für japanische Kultur, Essen etc. Eine interessante Plattform.
Was wirst Du in der Stadtbücherei spielen?
Die traditionellen Sachen sind sehr, sehr lang, insofern werde ich wahrscheinlich ein modernes Stück spielen. In Japan gibt es auch moderne Komponisten, die mit traditionellen Instrumenten arbeiten. Da suche ich mir was aus. Vielleicht spiele ich auch erst mal ein kleines Volkslied
Neben Gitarre und Shakuhachi spielst Du auch die indische Sitar. Da heißt es dann immer gleich Tony Clark, der Multiinstrumentalist ...
Ich hasse diesen Begriff. Die Leute verlangen von mir auch ständig, dass ich was bediene, was ich gar nicht kann. Das macht natürlich Spaß, dieses Spielerische, ich glaub das ist auch wichtig für einen Musiker, aber eigentlich ist es ganz einfach. Ich spiele Gitarre, hauptsächlich elektrische Gitarre, ich singe, spiele Shakuhachi und Sitar. Die Leute denken weil da so unterschiedliche Instrumente sind, dass ich alles mögliche sielen kann, Aber ich kann keine türkische Saz bedienen. Auch wenn es ein gitarrenähnliches Instrument ist, habe ich davon keine Ahnung. Oder Nay, die türkische Flöte, geht gar nicht.
Luca Dechert (Schlagzeug)
Mal ganz ehrlich: gab es nicht doch zuerst die Blockflöte auf der Schule?
Tatsächlich fing es gleich mit Schlagzeug an. Wann genau das war, weiß ich nicht genau, aber es gibt viele Bilder, wo ich auf Mülltonnen rumgetrommelt habe oder mit zwei Ästen auf der Keksdose. An meinem dritten Geburtstag war es soweit, meine Eltern haben mir ein Schlagzeug geschenkt, ein richtiges Kinderschlagzeug, wie ein kleines Jazzkit, so, dass ich dran passte. Ich habe mich dahinter gesetzt, da stand es noch in meinem Zimmer, und es hat wohl von Anfang gang gut geklappt. Mit der Zeit wurden die Schlagzeug grö ß er, die Räume lagen immer tiefer im Keller, denn es wurde immer lauter. Irgendwann musste ich dann umziehen in den Heddernheimer Bunker.
Was ist die Faszination von Trommeln ...
Das Rhythmische ist ein Teil von mir. Alle meine Freunde haben mit Lego und der Playstation gesielt, ich habe zu Roy Hammer und den Rodgau Monotones getrommelt und mit dem MEK (das Mobile Einsatzkommando, eine Marching Band, Anm. der Red.) hatte ich meine Dozenten, meine Stiefväter des Schlagzeugs, die alle Vorbildfunktion hatten, nicht etwa Stars wie Roger Taylor von Queen. Bei mir waren es immer eher die Leute in meiner Nähe mit denen ich auch sprechen konnte. Die habe ich dann imitiert. Wenn einer während dem Trommelsolo seine Zunge in die Backe gesteckt hat, habe ich das auch gemacht. Das war wohl eine Art „interaktives“ Lernen. Außerdem ist Trommeln ein universelles Ding, eine Sprache, die jeder versteht. Aber es gibt natürlich auch Unterscheide. In Afrika trommeln sie anders als in Europa oder in Amerika oder Brasilien. Dort ist es halt besonders faszinierend. Aber egal wo und was für ein Groove, die anderen Trommeln steigen einfach ein. Call and response.
Und wie wichtig ist der Trommler beim Ensemblespiel?
Die Trommeln haben eine ganze wichtige Rolle bei der Musik hat. Sie sind das Herz von einer Band. Wenn du anfängst zu schleppen, wird die ganze Band langsamer. Wenn du lauter wirst, wird die ganze Band lauter. Im Prinzip hast du die Rolle eines Dirigenten. Es ist eine große Verantwortung. Außerdem verbindet das Schlagzeug auch.
Was kann man zu Deinen musikalischen Vorlieben sagen? In junge Jahren hat man Dich beim Stoffel mit AC/DC erlebt, dann in der Marching Band Deines Vaters, jetzt bei Double Bass mit funkigen Jazz ...
Ich bin jetzt keiner, der sagt, ich finde nur Jazz super oder Pop super. Ih finde die brutalsten Death Metal-Platten der Hammer, stehe aber auch auf den einen oder anderen Schlager. Viele sagen, Helene Fischer sei ganz schrecklich. Wenn du lang genug in einer Kneipe bist, kann es gut sein, dass du auch dazu abgehst ...
Die Entwicklungsschritte, die man bei Dir wahrnehmen konnte, waren immer immens. Das gab es also den Ehrgeiz, immer weiter an Dir zu arbeiten ...
Der Punkt, das als Beruf zu sehen kam erst vor zwei Jahren. Ich habe mein Abi mit 17 gemacht weil ich wegen meines Geburtstag am 30.12. früher eingeschult wurde. Vorher habe ich das alles immer nur aus Spaß gemacht. Es war eine große Faszination für mich auf die Musikmesse zu gehen. Da hat das eine zum anderen geführt, es kamen immer neue Dinge dazu, dann habe ich die erste eigene Band gehabt, Texte geschrieben, Songs komponiert. Und dann ging das auch los mit dem Landesjugendjazz Orchester und ich vermehrt den Fokus auf Jazz gelegt habe Mir hat´s immer gereicht, dass ich viel gespielt habe. Als Autodidakt. Bis mein Vater meinte, in Deinem Altern habe andere schon eine Ausbildung. Das hat meinen Ehrgeiz angestachelt, Unterricht zu nehmen und jetzt Musik zu studieren.
Im fernen Osnabrück ...
Ja. Da habe ich auch für Jazz vorgespielt, aber das war nicht so mein Ding. Im Popbereich ist alles viel offener, das gibt es viele Projekte, Singer/Songwriter, Indiepop, Rock, Hip Hop mit Dozenten aus ganz Deutschland.
Vassily Dück (Bajan, Akkordeon)
Wie bist Du zum Akkordeon gekommen?
Mit fünf Jahren gab es die erste Begegnung mit einer Knopfharmonika, eine zweireihige Ziehharmonika. Russisch heißt Garmoschka. Es war ganz einfach: mein Großvater hat neun verschiedene Musikinstrumente gesielt, Gitarre, Geige, Balalaika, Domra, Mandoline. Und da stand noch diese Ziehharmonika. Die hat mir gut gefallen und ich bin da quasi reingefallen. Ich habe schon im Kindergarten kleine Stücke gespielt, Kinderlieder. Irgendwie ging das alles wie von allein. Im Kindergarten hat mich jemand gehört und dann weitergeleitet zur Musikschule. Da musste ich mich mit meinen 15 Jahren nachdem ich fünf Jahre Akkordeon gelernt habe (da war zu Sowjetzeiten so) entscheiden on du weiter studieren willst. Bei mir war schon klar, dass ich weitermache. Da kam jemand vom Staat, der mich geprüft hat und dann meinte, ich solle weiter zur Musikfachschule gehen. Mit 15 in die große Stadt, dreihundert Kilometer entfernt von meinem kleinen Städtchen Blagoweschtschenka. Da gab es ein großes Chemiewerk, da hat mein Vater gearbeitet, und der Ort wurde in den Fünfziger/Sechzigerjahre rund um das Chemiewerk gegründet. Das Städtchen hat gelebt von diesem Werk. Mein Opa hat vierzig Kilometer von diesem Städtchen gewohnt. Das war wirklich ein kleines Dorf.
Das war der Stellenwert des Akkordeons sicher ein anderer als hier ...
Hier in Deutschland kann man es inzwischen auch richtig lernen, z.B. am Hohner Konservatorium, aber auch in Hannover, Würzburg und Remscheid. Das Bild des Akkordeons ist auch hier anders geworden. Es gibt Akkordionisten, die keine traditionelle, volkstümliche Schaukelmusik spielen, sondern Tango, Jazz, Musette, auch Popmusik.
Wie hast Du das Akkordeon so richtig für Dich entdeckt?
Während der Studienzeit gab es immer was Neues zu entdecken. Im Studium gab es ein klares Programm, sehr viel Klassik, traditionelle Musik, volkstümliche russischen Melodien in tausend Variationen gespielt, viele technische Varianten, und es wurde sehr großen Wert auf Technik gelegt, auf die Schnelligkeit und so. Als ich die Musikfachschule verlassen habe, waren schon Bach, Mozart und Vivaldi in meinem Repertoire, und dann am Konservatorium auch Stücke von zeitgenössischer Musik. Das war erst mal die Ausbildung, ich habe dann im Orchester gespielt und im Duo mit anderen Akkordeon/Bajanspielern Konzertantes gespielt. Als ich dann nach Deutschland kam, haben ich einen ganz anderen Klang von Akkordeon entdeckt. Aber schon kurz bevor ich hierher kam, habe ich noch mal alle meine Lehrer besucht. Der eine von der Musikfachschule hat mir hat mir ganz schlechte Kopien von Videos gezeigt von Astor Piazzolla, Wow! Das war eine ganz andere Dimension, eine ganz andere Spielart, ganz andere Musik. In Deutschland habe ich dann ab 1997 viele preisgekrönte Solisten entdecken können. Wir haben schon auch Tango und Musette gekannt und gespielt in Russland, aber das war eine ganz andere Herangehensweise. Plötzlich entdeckst du dein eigenes Instrument ganz anders. Ich war wie infiziert. Nach ein paar Jahren ist Mi Loco Tango entstanden und parallel dazu die französischen Sachen, Chansons von Edith Piaf mit Sängerin Frederike Haas und auch Solokonzerte. Dazu gab es verschiedene Theaterproduktionen mit Gregor Praml und dazwischen auch viel Weltmusik. In der Fabrik Sachsenhausen hat mir Peter Schneckmann viele Türen geöffnet, mit ihm und Matthias Frey waren wir auch zwei in China mit eigenen Komopsitionen. Diese „Labore“ waren gute Erfahrungen. Innerhalb von zwei Stunden erstellt man ein Programm; es waren ja keine Jazzstandards. Da wurde ich auch motiviert eigene Stücke zu schreiben, da sind einige entstanden. Auch mit Larissa, meiner Frau, habe ich von Anfang an viel russische Musik gemacht, sie singt viele Romanzen, spielt auch Bass Balalaika.
Wie würdest Du all den Klischees begegnen, unter dem das Image Deines Instrumentes zu leiden hat, wie würdest Du Werbung machen für das Akkordeon, willst für dein Instrument, was fasziniert Dich besonders an diesem Instrument? Ganz sicher all die Ausdruckmöglichkeiten dieses Klangkörpers, der gewaltig wie eine Kirchenorgel und ganz zart wie eine Piccoloflöte klingen, wie ein lärmender Sturm oder ganz zart wie ein Singvogel im Baum ...
Damit hast Du es ja alles schon sehr gut beschrieben. Die Schnelligkeit bei der Balgführung ist wichtig. Das wichtigste ist aber, wie du atmest mit deinem Akkordeon. Du machst viel mit der linken Hand, die macht die Drecksarbeit; die linke Hand spielt immer Knöpfe, die sie nicht sieht, nach Gefühl und muss gleichzeitig noch mal Luft atmen für die rechte Hand. Das Akkordeon ist tatsächlich immer noch unterbewertet weil das Instrument gerade wegen seines Balgs, das Ziehen und Drücken, diese ganze dynamische Palette, die sehr groß ist beim Akkordeon, sehr komplex. Weil man hat auch noch mal 15 Register wo man mit Piccolo ganz leise anfangen kann, um dann einen gewaltigen vierstimmigen Klang zu erzeugen wo jeder Ton noch mal vier Stimmen hat. Im Akkord also dann 16 Stimmen, das ist dann schon gewaltig. Das Akkordeon hat seine Seele, mit der kann man auch seine eigene Seele siegeln. Wenn man das kann.
Gemessen an der Ziehharmonika im Zirkus ist Dein Bajan ein hoch komplexes Instrument, fast komplexer als ein Flügel ...
Ja, aufschrauben, reingucken, wow! Eine sehr gut ausgedachte Bauweise, ingenieurmäßig eine Supermaschine.
Wen gibt es, an dem Du Dich orientieren kannst?
Ich orientiere mich an den ganz Großen wie Richard Galliano, an Musikern, die schon eine große Karriere gemacht haben, wie auch ein anderer Franzose, Ludovic Beier.
Gernot Dechert (Saxophon & Loop Machine)
Du hast in den unterschiedlichsten Bandformaten gespielt, aktuell mit Double Bass stehen auch zwei Bassisten neben Dir auf der Bühne, ein interessantes Experiment. Daneben hast Du den Reiz des Solospielens entdeckt ...
Als Solist gibt es zwei Grundentwürfe, die möglich sind. So wie es Michael Brecker beim Deutschen Jazzfestival 2002 gemacht hat beim legendären Solokonzert wo er eine Dreiviertelstunde allein gespielt hat. Da muss man schon Brecker sein, um so was zu machen. Du brauchst nicht nur den Namen, sondern vor allem auch dieses Können, am Limit von dem, was möglich ist, dass Du nur machen kannst, wenn du so ein Topvirtuose bist und dann auch die Möglichkeit hast, jedes Stück anders zu machen und auch interessant bleiben kannst über die ganze Konzertstrecke, Das ist schon brutal anstrengend, es auch nicht in Effekthascherei ausarten zu lassen. Dann gibt es den anderen Entwurf, da bewege ich mich ja mehr. Da ist es mit Nils Petter Molvaer ein Trompeter, der mich inspiriert. Ich habe ein großes Faible für elektronische Musik im Clubzusammenhang. Da sehe ich mich auch mehr. Ein Drittel Jazz, zum Teil auch Blues, aber vor allem dieses Soundscapehafte, das hat mich gereizt. Und dann wurde mir zu Weihnachten eine Loopstation von meiner Familie geschenkt. Dann musst du dann erst mal gucken, was du damit machst. Da beginnt die Auseinandersetzung.
Es braucht schon viel Souveränität, nicht zum Showgazer zu mutieren und sich zu sehr mit der Technik zu beschäftigen ....
Das ist eine brutale Übungssache, der Wahnsinn. Bei der Band habe ich erst für ein Intro eingesetzt; aus dem ersten Stück entwickelten sich zwei, drei weitere, die in die Richtung gehen. Und dann kam der Künstlerkiez und noch eine Vernissage. Da hat das gut gepasst, jetzt geht das Schritt für Schritt weiter.
Ein echter Work in progress ...
Es ist eine echte Herausforderung, die Vielseitigkeit, die ich bei Brecker angesprochen habe, insofern auch einzulösen, dass ich nicht drei Mal das gleich Stück spiele. Wenn man es erst nur als Effektgerät einsetzt, geht es dann darum, zu echten Loop Artist. Ich definiere zusätzliche Klangfarben, die eigentlich mit dem Sax gar nicht möglich sind weil es ja ein monophones Instrument ist. Mit der Loop Station kann ich das Instrument polyphonieren, man kann sie rhythmisch, harmonisch, melodisch einsetzen, experimentell, klangforschend. Da ist auch nicht alles kalkulierbar. Die Kiste am Boden braucht viel Konzentration; jeder Fehler ist erstmal drin. Dadurch wird das Technische aber auch sehr lebendig.
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt.