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Einblicke in eine andere Welt
Eine Tour durchs Laufhaus nur für Frauen
Wie sieht es in einem Laufhaus aus? Unter welchen Umständen arbeiten Prostituierte? Und warum gehen Männer in eine Animierbar? Bei speziellen Führungen für Frauen gibt Ulrich Mattner seltene Einblicke ins Milieu.
Ein recht karger Raum mit einem Spiegel über dem Bett, auf der Bettwäsche prangen pinke Streublümchen und auf dem Nachttisch stehen eine Tube Gleitgel, zwei Küchenrollen und Desinfektionsmittel. Hier schafft Gabriela an.
Die 34-jährige Bulgarin prostituiert sich seit zehn Jahren. Sie soll gut im Geschäft sein, auch wenn die Freier nicht mehr so großzügig seien wie vor ein paar Jahren. Ungeschönt und auf ihre Weise doch auch unterhaltsam sind die Rotlicht-Touren von Ulrich Mattner, die Frauen, die sonst kaum Zugang zu den Etablissements hätten, Einblicke in den Arbeitsalltag eines Laufhauses in der Taunusstraße 26 und in die Animierbar My Way geben. Wo sonst kommt man auch mal mit einer Prostituierten ins Gespräch?
Gabriela beantwortet geduldig die Fragen der Gruppe. Rund 5000 Frauen hat Mattner schon gezeigt, wie die zweitgrößte Branche im Bahnhofsviertel funktioniert. Während der Bahnhofsviertelnacht am 17. August wird er wieder diese Touren für Frauen anbieten, den Erlös an die Teestube Jona spenden. Dass die Stadt diese Touren in diesem Jahr nicht ins offizielle Bahnhofsviertelnachtprogramm aufgenommen hat, weil sie das älteste Gewerbe der Welt bewerben würden, findet der Journalist Mattner unfair. Ihm geht es um eine realistische Darstellung.Außerdem würden Städte wie Hamburg und Amsterdam auf ihren Homepages ganz offensiv mit den Rotlichtmeilen werben. „Das wurde wohl von Personen entschieden, die noch nie bei meiner Tour mitgegangen sind. Das ist auch keine Zootour, die Dame im ersten Stock wurde für unseren Besuch bezahlt“. Tatsächlich, wer sich die Geschichte von Gabriela anhört, der sieht, die Realität ist noch weitaus weniger rosarot als sie den Freiern im schummrigen Licht des Laufhauses erscheint.
Zurück zur alleinerziehenden Gabriela, die mit ihrem Körper das Geld verdient, um ihre 14-jährige in Bulgarien lebende Tochter zu ernähren und ihren beiden Geschwistern dort das Studium zu finanzieren. Offiziell weiß ihre Familie nichts von ihrer Arbeit, vielleicht aber ahnen sie es. Gabriela macht sie glauben, sie sei in Deutschland reich verheiratet. In Bulgarien verdient ein Arzt 500 Euro im Monat, Gabriela schafft das vielleicht in zwei Tagen. Erst mal muss sie die tägliche Miete von 140 Euro an den Laufhausbetreiber zahlen, der davon jeweils 15 Euro als Abgabe an die Stadt Frankfurt zahlen muss. Die Stadt verdient also durchaus mit.
Während die cracksüchtigen Junkies draußen auch schon für 5 Euro in das Auto der Freier einsteigen, bekommt man im Bahnhofsviertel regulär „eine Nummer“, beziehungsweise 15 Minuten, für 20 bis 25 Euro. Den Preis im Laufhaus macht jede Frau selbst aus. Ist sie zu teuer, wandern die Männer zur Billigeren ab. Rund 1500 Männer tigern am Tag durchs Laufhaus, in die Zimmer gehen aber höchstens 10 Prozent. Der Zuzug von Menschen aus Osteuropa hat die Armutsprostitution in Frankfurt befeuert, erfahren wir, die Preise seien entsprechend runtergegangen. Wir erfahren auch, dass Gabriela schon mal von einem Freier mit einem Messer bedroht und brutal festgehalten und dann ausgeraubt worden sei. Ihre Arbeit ist gefährlich, in dem Fall konnten ihr nicht mal die zwei Alarmknöpfe im Zimmer helfen.
Wenn darauf gedrückt wird, geht der Alarm beim Wirtschafter im Erdgeschoss an. Niko, so nennt er sich, hat sieben Bildschirme vor sich. In der Mitte schaut er Fernsehen, links und rechts sieht er, was gerade in den Fluren des Laufhauses los ist. Im Notfall könnte Niko eingreifen und die Polizei holen. In drei Schichten wird im Laufhaus gearbeitet, das 24 Stunden lang geöffnet ist und über 34 Zimmer verfügt.
Wir treffen auf Richard Böhlig, ein Mitglied der Hells Angels, der seit 1981 das Laufhaus betreibt. Ob man damit reich werden kann, wollen wir wissen. „Wenn das Finanzamt nicht wär, dann ja“, sagt der 53-Jährige und grinst hinter seiner getönten Brille hervor. In Wiesbaden betreibt er noch ein ähnliches Etablissement und gewährt, im Unterschied, zu vielen anderen im Viertel, Fremden Einblicke, weil man sonst ja nur vom Hörensagen und aus vielleicht falschen Berichten wisse, wie es wirklich im Laufhaus abgehe. Derzeit stünden 12 Zimmer leer, das sei nicht gut.
Im Erdgeschoss der Taunusstraße 26 befindet sich die Animierbar My Way. Rote Wände, rote Vorhänge, es ist recht schummrig und an den Wänden hängen gerahmte Bilder von Hollywoodikonen von Bogart bis Wayne. Hier schenkt Claudia Getränke aus, sie ist die Chefin. Zwei bis drei Animierdamen seien am Abend hier, sie würden die männlichen Gäste ansprechen, falls diese das schön finden und lassen sich auf Getränke einladen. Während die Herren zu recht normalen Preisen trinken, sind die Cocktails der Damen durchaus teurer, aber das steht auch in der Karte. „Man zahlt nicht fürs Getränk der Damen, sondern fürs Quatschen“, sagt Claudia. Mehr als Reden laufe, zumindest im My Way, nicht. Wir Frauen können uns gar nicht vorstellen, dass Männer so einsam sein können. Aber Ulrich Mattner erklärt, das beispielsweise ein IAA-Vertreter in den fünf Tagen in Frankfurt vielleicht auch mal abends jemanden zum Reden braucht, seinen Spaß haben will, ohne die Frau daheim zu betrügen, auch wenn er zu schüchtern ist, jemanden in einer Bar anzusprechen. Und so gebe es eben Animierdamen, die sich gutgelaunt und freundlich den Herren nähern und für ein Gespräch bereit sind – das entsprechend bezahlte Getränk vorausgesetzt. Denn davon leben die Damen.
Die Tour ist zu Ende. Wir haben starke Frauen kennengelernt, von erschütternden Schicksalen gehört und letztlich real gesehen, wovon wir sonst nur als Außenstehende geredet hätten. Interessant war auch die Erkenntnis, dass das neue Prostituiertenschutzgesetz weder von Gabriela, noch vom Laufhausbetreiber als realitätsnah angesehen wird. Frauen, die vorher – auch aus Scham – anonym ihrem Geschäft nachgingen, müssen nun registriert sein. Das würde viele Frauen in Bedrängnis bringen. Auch eine Kondompflicht sei nicht durchzusetzen. „Wer will das denn in den Zimmern kontrollieren?“, sagt Gabriela, die weiß, dass ihre Kolleginnen mitunter für Geld auch auf ein Gummi verzichten würden. Das Milieu unterliegt eben seinen eigenen Spielregeln.
Zehn Führungen für jeweils 10 Euro finden am 17. August, also während der Bahnhofsviertelnacht statt. Sie sind buchbar bei den Frankfurter Stadtevents.
Die 34-jährige Bulgarin prostituiert sich seit zehn Jahren. Sie soll gut im Geschäft sein, auch wenn die Freier nicht mehr so großzügig seien wie vor ein paar Jahren. Ungeschönt und auf ihre Weise doch auch unterhaltsam sind die Rotlicht-Touren von Ulrich Mattner, die Frauen, die sonst kaum Zugang zu den Etablissements hätten, Einblicke in den Arbeitsalltag eines Laufhauses in der Taunusstraße 26 und in die Animierbar My Way geben. Wo sonst kommt man auch mal mit einer Prostituierten ins Gespräch?
Gabriela beantwortet geduldig die Fragen der Gruppe. Rund 5000 Frauen hat Mattner schon gezeigt, wie die zweitgrößte Branche im Bahnhofsviertel funktioniert. Während der Bahnhofsviertelnacht am 17. August wird er wieder diese Touren für Frauen anbieten, den Erlös an die Teestube Jona spenden. Dass die Stadt diese Touren in diesem Jahr nicht ins offizielle Bahnhofsviertelnachtprogramm aufgenommen hat, weil sie das älteste Gewerbe der Welt bewerben würden, findet der Journalist Mattner unfair. Ihm geht es um eine realistische Darstellung.Außerdem würden Städte wie Hamburg und Amsterdam auf ihren Homepages ganz offensiv mit den Rotlichtmeilen werben. „Das wurde wohl von Personen entschieden, die noch nie bei meiner Tour mitgegangen sind. Das ist auch keine Zootour, die Dame im ersten Stock wurde für unseren Besuch bezahlt“. Tatsächlich, wer sich die Geschichte von Gabriela anhört, der sieht, die Realität ist noch weitaus weniger rosarot als sie den Freiern im schummrigen Licht des Laufhauses erscheint.
Zurück zur alleinerziehenden Gabriela, die mit ihrem Körper das Geld verdient, um ihre 14-jährige in Bulgarien lebende Tochter zu ernähren und ihren beiden Geschwistern dort das Studium zu finanzieren. Offiziell weiß ihre Familie nichts von ihrer Arbeit, vielleicht aber ahnen sie es. Gabriela macht sie glauben, sie sei in Deutschland reich verheiratet. In Bulgarien verdient ein Arzt 500 Euro im Monat, Gabriela schafft das vielleicht in zwei Tagen. Erst mal muss sie die tägliche Miete von 140 Euro an den Laufhausbetreiber zahlen, der davon jeweils 15 Euro als Abgabe an die Stadt Frankfurt zahlen muss. Die Stadt verdient also durchaus mit.
Während die cracksüchtigen Junkies draußen auch schon für 5 Euro in das Auto der Freier einsteigen, bekommt man im Bahnhofsviertel regulär „eine Nummer“, beziehungsweise 15 Minuten, für 20 bis 25 Euro. Den Preis im Laufhaus macht jede Frau selbst aus. Ist sie zu teuer, wandern die Männer zur Billigeren ab. Rund 1500 Männer tigern am Tag durchs Laufhaus, in die Zimmer gehen aber höchstens 10 Prozent. Der Zuzug von Menschen aus Osteuropa hat die Armutsprostitution in Frankfurt befeuert, erfahren wir, die Preise seien entsprechend runtergegangen. Wir erfahren auch, dass Gabriela schon mal von einem Freier mit einem Messer bedroht und brutal festgehalten und dann ausgeraubt worden sei. Ihre Arbeit ist gefährlich, in dem Fall konnten ihr nicht mal die zwei Alarmknöpfe im Zimmer helfen.
Wenn darauf gedrückt wird, geht der Alarm beim Wirtschafter im Erdgeschoss an. Niko, so nennt er sich, hat sieben Bildschirme vor sich. In der Mitte schaut er Fernsehen, links und rechts sieht er, was gerade in den Fluren des Laufhauses los ist. Im Notfall könnte Niko eingreifen und die Polizei holen. In drei Schichten wird im Laufhaus gearbeitet, das 24 Stunden lang geöffnet ist und über 34 Zimmer verfügt.
Wir treffen auf Richard Böhlig, ein Mitglied der Hells Angels, der seit 1981 das Laufhaus betreibt. Ob man damit reich werden kann, wollen wir wissen. „Wenn das Finanzamt nicht wär, dann ja“, sagt der 53-Jährige und grinst hinter seiner getönten Brille hervor. In Wiesbaden betreibt er noch ein ähnliches Etablissement und gewährt, im Unterschied, zu vielen anderen im Viertel, Fremden Einblicke, weil man sonst ja nur vom Hörensagen und aus vielleicht falschen Berichten wisse, wie es wirklich im Laufhaus abgehe. Derzeit stünden 12 Zimmer leer, das sei nicht gut.
Im Erdgeschoss der Taunusstraße 26 befindet sich die Animierbar My Way. Rote Wände, rote Vorhänge, es ist recht schummrig und an den Wänden hängen gerahmte Bilder von Hollywoodikonen von Bogart bis Wayne. Hier schenkt Claudia Getränke aus, sie ist die Chefin. Zwei bis drei Animierdamen seien am Abend hier, sie würden die männlichen Gäste ansprechen, falls diese das schön finden und lassen sich auf Getränke einladen. Während die Herren zu recht normalen Preisen trinken, sind die Cocktails der Damen durchaus teurer, aber das steht auch in der Karte. „Man zahlt nicht fürs Getränk der Damen, sondern fürs Quatschen“, sagt Claudia. Mehr als Reden laufe, zumindest im My Way, nicht. Wir Frauen können uns gar nicht vorstellen, dass Männer so einsam sein können. Aber Ulrich Mattner erklärt, das beispielsweise ein IAA-Vertreter in den fünf Tagen in Frankfurt vielleicht auch mal abends jemanden zum Reden braucht, seinen Spaß haben will, ohne die Frau daheim zu betrügen, auch wenn er zu schüchtern ist, jemanden in einer Bar anzusprechen. Und so gebe es eben Animierdamen, die sich gutgelaunt und freundlich den Herren nähern und für ein Gespräch bereit sind – das entsprechend bezahlte Getränk vorausgesetzt. Denn davon leben die Damen.
Die Tour ist zu Ende. Wir haben starke Frauen kennengelernt, von erschütternden Schicksalen gehört und letztlich real gesehen, wovon wir sonst nur als Außenstehende geredet hätten. Interessant war auch die Erkenntnis, dass das neue Prostituiertenschutzgesetz weder von Gabriela, noch vom Laufhausbetreiber als realitätsnah angesehen wird. Frauen, die vorher – auch aus Scham – anonym ihrem Geschäft nachgingen, müssen nun registriert sein. Das würde viele Frauen in Bedrängnis bringen. Auch eine Kondompflicht sei nicht durchzusetzen. „Wer will das denn in den Zimmern kontrollieren?“, sagt Gabriela, die weiß, dass ihre Kolleginnen mitunter für Geld auch auf ein Gummi verzichten würden. Das Milieu unterliegt eben seinen eigenen Spielregeln.
Zehn Führungen für jeweils 10 Euro finden am 17. August, also während der Bahnhofsviertelnacht statt. Sie sind buchbar bei den Frankfurter Stadtevents.
13. Juli 2017, 07.13 Uhr
Nicole Brevoord
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig Mehr von Nicole
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