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Im Interview mit Mike Josef
„Wer über die Mobilität der Zukunft reden will, muss heute die Weichen stellen“
Mike Josef ist der Vorreiter in Frankfurt, wenn es um eine autofreie Innenstadt geht. Im Interview erzählt der SPD-Politiker, wie für ihn die Mobilität der Zukunft aussieht und warum er davon überzeugt ist, dass die Sperrung des nördlichen Mainufers ein richtiger Schritt ist.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Josef, Sie fordern eine autofreie Innenstadt. Innerhalb des Anlagenrings sollen nur noch Anliegerinnen und Anlieger und Lieferverkehr fahren dürfen. Warum wünschen Sie sich das?
Mike Josef: Es ist ja jetzt schon so, dass der Autoverkehr in der Innenstadt seit 1988 um 31 Prozent zurückgegangen ist. Und wir stellen fest, dass immer mehr Menschen rausgehen. Es sind nicht nur Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs, sondern vor allem auch Fußgängerinnen und Fußgänger und die wollen sich im öffentlichen Raum wohlfühlen. Und sie wollen je nach Situation verweilen, laufen, Rad fahren, rollern oder in die Straßenbahn springen. Will man das als Stadt gestalten, müssen wir den öffentlichen Raum zurückgewinnen – in diesem Sinne will ich unsere Stadt gestalten.
Die Mobilität neu aufzustellen, haben wir dem Radentscheid Gott sei Dank ein Stück weit geschafft. Jetzt müssen wir auch verstärkt nach den Fußgängerinnen und Fußgängern im öffentlichen Raum schauen. Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir noch Autos haben wollen. Sie brauchen zu viel Raum, aber auch klimatische und gesundheitliche Gründe spielen eine Rolle. Das ist keine Frankfurter Debatte, sondern eine Debatte, die mittlerweile alle Großstädte der Welt betrifft. Ich fahre selbst Auto, aber es geht darum, wie wir unsere Stadt sozial-ökologisch aufstellen wollen.
Haben Sie ein Konzept im Kopf?
Ich habe damals gesagt, ich wolle ein Konzept für eine autofreie Innenstadt und die konzeptionelle Debatte muss jetzt eben mit Ortsbeiräten, Verbänden, Vereinen und der Bürgerschaft aufgesetzt werden. In der Diskussion sieht man, dass es ganz verschiedene Ansätze gibt, wie man die Mobilität der Zukunft gestalten kann. Uns ist klar, dass gewisse Verkehre wie der Anlieferungs- und Anliegerverkehr Raum brauchen, die Frage ist, wie viel Raum. Ich glaube, es gibt in der Innenstadt Straßen, wo kein Auto fahren muss: Nebenstraßen der Zeil zum Beispiel und Straßen die als „shared space“ gemeinschaftlich und verkehrsberuhigt durch alle genutzt werden könnten.
Das heißt man geht Schritt für Schritt vor?
Ja, das geht nicht von heute auf morgen, wir brauchen eine schrittweise Entwicklung. Mir ist schon wichtig, dass man Nutzungen in den öffentlichen Raum bringt: Sitzmöglichkeiten, Freiflächen, Möglichkeiten für Kinder zum Spielen. Um die soziale Kontrolle zu behalten, müssen wir den öffentlichen Raum bespielen, es muss klar werden, warum wir den öffentlichen Raum zurückgewinnen wollen. Wir wollen nicht einfach breitere asphaltierte Straßen, wir wollen Alleen mit Bäumen, breite Fußgängerwege, die eine oder andere Fläche entsiegeln, wir wollen, dass Kinder bessere Möglichkeiten im öffentlichen Raum haben.
Wenn man den Autoverkehr einschränken oder aus der Stadt verbannen will, muss es Alternativen geben. Bedarf es eines Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs?
Ich glaube die Städte, die Länder und der Bund sind klug beraten, zu investieren und den ÖPNV massiv zu erweitern. Wir merken, dass der Ausbau von Trassen für S- und U-Bahnen wegen der hohen Kosten und der oft schlechten Planungen, die zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer legen, viel zu lange dauert. Das muss beschleunigt werden.
Ein Kritikpunkt der CDU, aber auch der IHK ist, dass es durch die Verbannung der Autos aus der Innenstadt zu Umsatzeinbußen komme. Was sagen Sie dazu?
Zum einen: Nehmen wir den Onlinehandel. Die klassische Familie mit dem riesigen Kofferraum, die in die Stadt fährt und sich eine Waschmaschine kauft, gibt es ja so ausgeprägt gar nicht mehr. Heute lässt man sich vieles liefern. Zum anderen kaufen auch Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrerinnen und Radfahrer viel ein. Sie sind mitnichten die schlechteren Kundinnen und Kunden. Es ist ja nicht so, dass wir gar keine Mobilität in den Städten mehr hätten. Und: Es gibt keinen empirisch nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Umsatzeinbußen und autofreien Straßen.
Also ist die Angst unbegründet, weil die Praxis etwas anderes lehrt?
Aus Sicht des Einzelnen sind Ängste immer begründet. Ich kann nur sagen: Empirisch gibt es keine Korrelation zwischen Umsatzeinbußen und weniger Autos. Weder in Wien noch in Madrid, die da ja viel weiter sind, und auch nicht hier an der Hauptwache. Ich bin da vielleicht zu rational, aber ich betrachte immer die Vergangenheit und diese lehrt uns etwas anderes.
Sie sprechen von Madrid und Wien. Können diese Städte als Vorbilder dienen?
Madrid hat die autofreie Innenstadt beschlossen. Da gab es genau dieselbe Debatte: Die Geschäftsleute haben geklagt, weil sie Umsatzeinbußen befürchteten. Der umgekehrte Fall ist jetzt eingetreten: Die Umsätze haben zugenommen, weil die Menschen den öffentlichen Raum als Flaniermeile wahrnehmen. Madrid hat das verstanden. Dort dürfen Anwohnerinnen und Anwohner sowie Gas-, Elektro-, und Wasserstofffahrzeuge reinfahren. Paris hat entlang der Seine drei Kilometer für den öffentlichen Raum geöffnet. Gerade werden viele innerstädtische Verkehrsknoten wieder als autofreie Plätze umgebaut und zurückgewonnen. In Zeiten des Klimawandels besteht ja auch die Chance, solche Flächen zu entsiegeln und zu begrünen. Wer über die Mobilität der Zukunft reden will, der muss heute die Weichen stellen. Hamburg macht das gerade mit der Ausweitung einer Fußgängerzone in die Nachbarstraßen. Dort wird Schritt für Schritt mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrerinnen und Radfahrer geschaffen. Aber auch kleinere Städte wie Erfurt oder Kassel haben viel in diese Richtung getan.
Ein erster Schritt zu einer autofreien Innenstadt soll die probeweise Sperrung des nördlichen Mainufers sein, die seit August besteht. Wie bewerten Sie die Sperrung nach 100 Tagen?
Es läuft, wie in der Vergangenheit solche Pilotprojekte immer gelaufen sind. Am Anfang werden sie kontrovers diskutiert und sind mit Schwierigkeiten verbunden. Doch es zeigt sich: Je länger so eine Sperrung geht, desto besser wird sie von der Öffentlichkeit angenommen. Es ist natürlich eine gravierende Veränderung, vorher sind hier zwanzigtausend Autos durgefahren, mittlerweile wird der Bereich von Fußgängerinnen und Fußgängern, Familien und Fahrradfahrenden genutzt. Um die Nutzung weiter anzukurbeln, werden wir im Winter beispielsweise eine kleine Schlittschuhbahn am Mainkai errichten. Veränderungen brauchen Zeit. Die Sperrung der Zeil in den 1970er Jahren war eine Diskussion, die man eins zu eins auf die Mainufersperrung übertragen kann. Heute würde dem keiner widersprechen, dass das damals die richtige Entscheidung war.
Der Ortsbeirat 5 fordert die Aufhebung der Sperrung. Auch eine Bürgerinitiative mit Anwohnerinnen und Anwohnern aus Sachsenhausen, dem Bahnhofsviertel und der Innenstadt wollen eine Aufhebung der Sperrung. Sie beschweren sich über erhöhten Verkehr in ihren Vierteln. Können Sie den Unmut nachvollziehen?
Der Ortsbeirat 1, also unter anderem Innenstadt und Bahnhofsviertel, hat sich für den Erhalt des Pilotprojekts ausgesprochen. Veränderungen tun am Anfang weh, nichtsdestotrotz denke ich, dass man diesen Weg gehen muss, eingebettet in eine Strategie, die am Ende auch für Sachsenhausen gilt. Ziel muss doch sein, dass die Menschen auf schönen Fußgängerwegen sowie mittels gut ausgebautem und bezahlbarem ÖPNV in die Innenstadt kommen. Wir haben das 365 Euro Jahresticket für Schülerinnen und Schüler und Azubis, das Seniorenticket kommt im Januar nächsten Jahres, die U5 wird verlängert, der Lückenschluss der U4 wird endlich angegangen, die Regionaltangente West wird in den nächsten Jahren in Betrieb genommen, die U2-Verlängerung in Bad Homburg, die U- und S-Bahnen fahren am Wochenende jetzt die ganze Nacht und vor allem haben wir mit den ersten Maßnahmen des Radentscheids begonnen. Von einer Einzelmaßnahme kann nicht die Rede sein.
Wir haben bewusst als Stadt entschieden, das mit dem Mainufer jetzt erstmal für ein Jahr zu machen. Wir werden das wissenschaftlich begleiten, es gibt eine Verkehrszählung, bei der man sich zehn Knotenpunkte anschaut, nicht nur das Mainufer, sondern auch den Verkehrsfluss, der darüber hinausgeht. Es wird geschaut, wie sich der Verkehr ordnet, wie er sich gestaltet und wohin er fließt, um dann zu entscheiden.
Der größte Kritikpunkt ist, dass es im Vorfeld kein Konzept vom Verkehrsdezernat gegeben habe. Hätte man im Vorfeld besser agieren können?
Die Öffnung des nördlichen Mainufers für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende ist eine Debatte, die jetzt etwa seit dreißig Jahren läuft. Ich halte es für eine kluge Entscheidung, das probeweise für ein Jahr zu machen. Stellen Sie sich vor, wir hätten jetzt alles andere mit beordert, wie Ampelschaltungen und dergleichen. Dann wäre der Vorwurf gewesen, wir würden vollendete Tatsachen schaffen. Es ist schwierig: Zieht man die Konsequenzen komplett durch, auch beispielsweise durch eine Umgestaltung des Mainufers, heißt es, es ist doch eine Pilotphase und wir wissen noch gar nicht, ob es weitergeht.
Wer wird in die Entscheidung, ob die Sperrung beibehalten wird, miteinbezogen?
Es ist wichtig, eine breite Bürgerschaft einzubinden. Wir müssen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Verbänden über die Mobilität der Zukunft reden. Ich muss aber Versäumnisse in der Kommunikation im Vorfeld der Mainufer-Sperrung zugeben. Bei einer Straßensperrung in Hamburg beispielsweise gab es direkt ein Bürgerfest. Da muss ich selbstkritisch sagen: Wir hätten in der Kommunikation besser sein müssen. Das können wir aber noch nachholen.
Sie kritisieren die mangelnde Kommunikation. Hätte man im Vorfeld mit den Anwohnerinnen und Anwohnern in Sachsenhausen sprechen müssen, beispielsweise mit dem Ortsbeirat?
Die koalitionstragenden Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben 2016 einen Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem das mehrfach öffentlichkeitswirksam angekündigt wurde. Ich finde, es gibt schon ein Stück weit eine Bringschuld aller Koalitionsparteien, dies auch so zu kommunizieren. Es ist schwierig, wenn koalitionstragende Fraktionen so tun, als hätten sie von nichts gewusst. Aber die Schuld hin und her zu schieben bringt auch nichts, ich würde gerne nach vorne schauen.
Sind Sie sich sicher, dass die Sperrung ein Jahr lang durchgezogen wird?
Absolut!
Mike Josef: Es ist ja jetzt schon so, dass der Autoverkehr in der Innenstadt seit 1988 um 31 Prozent zurückgegangen ist. Und wir stellen fest, dass immer mehr Menschen rausgehen. Es sind nicht nur Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs, sondern vor allem auch Fußgängerinnen und Fußgänger und die wollen sich im öffentlichen Raum wohlfühlen. Und sie wollen je nach Situation verweilen, laufen, Rad fahren, rollern oder in die Straßenbahn springen. Will man das als Stadt gestalten, müssen wir den öffentlichen Raum zurückgewinnen – in diesem Sinne will ich unsere Stadt gestalten.
Die Mobilität neu aufzustellen, haben wir dem Radentscheid Gott sei Dank ein Stück weit geschafft. Jetzt müssen wir auch verstärkt nach den Fußgängerinnen und Fußgängern im öffentlichen Raum schauen. Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir noch Autos haben wollen. Sie brauchen zu viel Raum, aber auch klimatische und gesundheitliche Gründe spielen eine Rolle. Das ist keine Frankfurter Debatte, sondern eine Debatte, die mittlerweile alle Großstädte der Welt betrifft. Ich fahre selbst Auto, aber es geht darum, wie wir unsere Stadt sozial-ökologisch aufstellen wollen.
Haben Sie ein Konzept im Kopf?
Ich habe damals gesagt, ich wolle ein Konzept für eine autofreie Innenstadt und die konzeptionelle Debatte muss jetzt eben mit Ortsbeiräten, Verbänden, Vereinen und der Bürgerschaft aufgesetzt werden. In der Diskussion sieht man, dass es ganz verschiedene Ansätze gibt, wie man die Mobilität der Zukunft gestalten kann. Uns ist klar, dass gewisse Verkehre wie der Anlieferungs- und Anliegerverkehr Raum brauchen, die Frage ist, wie viel Raum. Ich glaube, es gibt in der Innenstadt Straßen, wo kein Auto fahren muss: Nebenstraßen der Zeil zum Beispiel und Straßen die als „shared space“ gemeinschaftlich und verkehrsberuhigt durch alle genutzt werden könnten.
Das heißt man geht Schritt für Schritt vor?
Ja, das geht nicht von heute auf morgen, wir brauchen eine schrittweise Entwicklung. Mir ist schon wichtig, dass man Nutzungen in den öffentlichen Raum bringt: Sitzmöglichkeiten, Freiflächen, Möglichkeiten für Kinder zum Spielen. Um die soziale Kontrolle zu behalten, müssen wir den öffentlichen Raum bespielen, es muss klar werden, warum wir den öffentlichen Raum zurückgewinnen wollen. Wir wollen nicht einfach breitere asphaltierte Straßen, wir wollen Alleen mit Bäumen, breite Fußgängerwege, die eine oder andere Fläche entsiegeln, wir wollen, dass Kinder bessere Möglichkeiten im öffentlichen Raum haben.
Wenn man den Autoverkehr einschränken oder aus der Stadt verbannen will, muss es Alternativen geben. Bedarf es eines Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs?
Ich glaube die Städte, die Länder und der Bund sind klug beraten, zu investieren und den ÖPNV massiv zu erweitern. Wir merken, dass der Ausbau von Trassen für S- und U-Bahnen wegen der hohen Kosten und der oft schlechten Planungen, die zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer legen, viel zu lange dauert. Das muss beschleunigt werden.
Ein Kritikpunkt der CDU, aber auch der IHK ist, dass es durch die Verbannung der Autos aus der Innenstadt zu Umsatzeinbußen komme. Was sagen Sie dazu?
Zum einen: Nehmen wir den Onlinehandel. Die klassische Familie mit dem riesigen Kofferraum, die in die Stadt fährt und sich eine Waschmaschine kauft, gibt es ja so ausgeprägt gar nicht mehr. Heute lässt man sich vieles liefern. Zum anderen kaufen auch Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrerinnen und Radfahrer viel ein. Sie sind mitnichten die schlechteren Kundinnen und Kunden. Es ist ja nicht so, dass wir gar keine Mobilität in den Städten mehr hätten. Und: Es gibt keinen empirisch nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Umsatzeinbußen und autofreien Straßen.
Also ist die Angst unbegründet, weil die Praxis etwas anderes lehrt?
Aus Sicht des Einzelnen sind Ängste immer begründet. Ich kann nur sagen: Empirisch gibt es keine Korrelation zwischen Umsatzeinbußen und weniger Autos. Weder in Wien noch in Madrid, die da ja viel weiter sind, und auch nicht hier an der Hauptwache. Ich bin da vielleicht zu rational, aber ich betrachte immer die Vergangenheit und diese lehrt uns etwas anderes.
Sie sprechen von Madrid und Wien. Können diese Städte als Vorbilder dienen?
Madrid hat die autofreie Innenstadt beschlossen. Da gab es genau dieselbe Debatte: Die Geschäftsleute haben geklagt, weil sie Umsatzeinbußen befürchteten. Der umgekehrte Fall ist jetzt eingetreten: Die Umsätze haben zugenommen, weil die Menschen den öffentlichen Raum als Flaniermeile wahrnehmen. Madrid hat das verstanden. Dort dürfen Anwohnerinnen und Anwohner sowie Gas-, Elektro-, und Wasserstofffahrzeuge reinfahren. Paris hat entlang der Seine drei Kilometer für den öffentlichen Raum geöffnet. Gerade werden viele innerstädtische Verkehrsknoten wieder als autofreie Plätze umgebaut und zurückgewonnen. In Zeiten des Klimawandels besteht ja auch die Chance, solche Flächen zu entsiegeln und zu begrünen. Wer über die Mobilität der Zukunft reden will, der muss heute die Weichen stellen. Hamburg macht das gerade mit der Ausweitung einer Fußgängerzone in die Nachbarstraßen. Dort wird Schritt für Schritt mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrerinnen und Radfahrer geschaffen. Aber auch kleinere Städte wie Erfurt oder Kassel haben viel in diese Richtung getan.
Ein erster Schritt zu einer autofreien Innenstadt soll die probeweise Sperrung des nördlichen Mainufers sein, die seit August besteht. Wie bewerten Sie die Sperrung nach 100 Tagen?
Es läuft, wie in der Vergangenheit solche Pilotprojekte immer gelaufen sind. Am Anfang werden sie kontrovers diskutiert und sind mit Schwierigkeiten verbunden. Doch es zeigt sich: Je länger so eine Sperrung geht, desto besser wird sie von der Öffentlichkeit angenommen. Es ist natürlich eine gravierende Veränderung, vorher sind hier zwanzigtausend Autos durgefahren, mittlerweile wird der Bereich von Fußgängerinnen und Fußgängern, Familien und Fahrradfahrenden genutzt. Um die Nutzung weiter anzukurbeln, werden wir im Winter beispielsweise eine kleine Schlittschuhbahn am Mainkai errichten. Veränderungen brauchen Zeit. Die Sperrung der Zeil in den 1970er Jahren war eine Diskussion, die man eins zu eins auf die Mainufersperrung übertragen kann. Heute würde dem keiner widersprechen, dass das damals die richtige Entscheidung war.
Der Ortsbeirat 5 fordert die Aufhebung der Sperrung. Auch eine Bürgerinitiative mit Anwohnerinnen und Anwohnern aus Sachsenhausen, dem Bahnhofsviertel und der Innenstadt wollen eine Aufhebung der Sperrung. Sie beschweren sich über erhöhten Verkehr in ihren Vierteln. Können Sie den Unmut nachvollziehen?
Der Ortsbeirat 1, also unter anderem Innenstadt und Bahnhofsviertel, hat sich für den Erhalt des Pilotprojekts ausgesprochen. Veränderungen tun am Anfang weh, nichtsdestotrotz denke ich, dass man diesen Weg gehen muss, eingebettet in eine Strategie, die am Ende auch für Sachsenhausen gilt. Ziel muss doch sein, dass die Menschen auf schönen Fußgängerwegen sowie mittels gut ausgebautem und bezahlbarem ÖPNV in die Innenstadt kommen. Wir haben das 365 Euro Jahresticket für Schülerinnen und Schüler und Azubis, das Seniorenticket kommt im Januar nächsten Jahres, die U5 wird verlängert, der Lückenschluss der U4 wird endlich angegangen, die Regionaltangente West wird in den nächsten Jahren in Betrieb genommen, die U2-Verlängerung in Bad Homburg, die U- und S-Bahnen fahren am Wochenende jetzt die ganze Nacht und vor allem haben wir mit den ersten Maßnahmen des Radentscheids begonnen. Von einer Einzelmaßnahme kann nicht die Rede sein.
Wir haben bewusst als Stadt entschieden, das mit dem Mainufer jetzt erstmal für ein Jahr zu machen. Wir werden das wissenschaftlich begleiten, es gibt eine Verkehrszählung, bei der man sich zehn Knotenpunkte anschaut, nicht nur das Mainufer, sondern auch den Verkehrsfluss, der darüber hinausgeht. Es wird geschaut, wie sich der Verkehr ordnet, wie er sich gestaltet und wohin er fließt, um dann zu entscheiden.
Der größte Kritikpunkt ist, dass es im Vorfeld kein Konzept vom Verkehrsdezernat gegeben habe. Hätte man im Vorfeld besser agieren können?
Die Öffnung des nördlichen Mainufers für Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende ist eine Debatte, die jetzt etwa seit dreißig Jahren läuft. Ich halte es für eine kluge Entscheidung, das probeweise für ein Jahr zu machen. Stellen Sie sich vor, wir hätten jetzt alles andere mit beordert, wie Ampelschaltungen und dergleichen. Dann wäre der Vorwurf gewesen, wir würden vollendete Tatsachen schaffen. Es ist schwierig: Zieht man die Konsequenzen komplett durch, auch beispielsweise durch eine Umgestaltung des Mainufers, heißt es, es ist doch eine Pilotphase und wir wissen noch gar nicht, ob es weitergeht.
Wer wird in die Entscheidung, ob die Sperrung beibehalten wird, miteinbezogen?
Es ist wichtig, eine breite Bürgerschaft einzubinden. Wir müssen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Verbänden über die Mobilität der Zukunft reden. Ich muss aber Versäumnisse in der Kommunikation im Vorfeld der Mainufer-Sperrung zugeben. Bei einer Straßensperrung in Hamburg beispielsweise gab es direkt ein Bürgerfest. Da muss ich selbstkritisch sagen: Wir hätten in der Kommunikation besser sein müssen. Das können wir aber noch nachholen.
Sie kritisieren die mangelnde Kommunikation. Hätte man im Vorfeld mit den Anwohnerinnen und Anwohnern in Sachsenhausen sprechen müssen, beispielsweise mit dem Ortsbeirat?
Die koalitionstragenden Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben 2016 einen Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem das mehrfach öffentlichkeitswirksam angekündigt wurde. Ich finde, es gibt schon ein Stück weit eine Bringschuld aller Koalitionsparteien, dies auch so zu kommunizieren. Es ist schwierig, wenn koalitionstragende Fraktionen so tun, als hätten sie von nichts gewusst. Aber die Schuld hin und her zu schieben bringt auch nichts, ich würde gerne nach vorne schauen.
Sind Sie sich sicher, dass die Sperrung ein Jahr lang durchgezogen wird?
Absolut!
5. November 2019, 10.55 Uhr
Helen Schindler
Helen Schindler
Jahrgang 1993, Studium der Politikwissenschaft an der Goethe-Universität, seit 2017 beim Journal Frankfurt Mehr von Helen
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