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Editorial 2/2021
Die Nachtigallen schweigen
In ihrem Editorial erinnert Chefredakteurin Ronja Merkel an die Lyrikerin Mascha Kaléko. Die ungarische Jüdin lebte unter anderem in Frankfurt und Marburg; während des Nationalsozialismus musste sie in die USA fliehen.
Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant: „Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht.
Mascha Kaléko schrieb diese Zeilen, während sie sich im Exil in den USA befand. Die ungarische Jüdin wurde 1907 in Galizien geboren. Bereits während des Ersten Weltkrieges floh ihre Familie aus Angst vor Verfolgung nach Deutschland. Zwischenzeitlich lebten sie in Frankfurt, dann in Marburg und zuletzt in Berlin. In den 20er- und frühen 30er-Jahren begeisterte Kaléko als Lyrikerin ein breites Publikum. Doch dann kamen die Nazis. Mascha Kalékos Schriften wurden verboten, 1938 emigrierte sie mit Mann und Kind in die USA. Zwar schrieb sie auch weiterhin, unter anderem für die jüdische Exil-Zeitung Aufbau, doch an den alten Erfolg konnte sie nie wieder anknüpfen. Heute ist ihre Kunst fast vergessen. Auch in Frankfurt erinnert sich wohl kaum noch jemand daran, dass hier die wichtigste weibliche Stimme der Neuen Sachlichkeit ihre Jugend verbrachte.
Mascha Kaléko überlebte die Grausamkeiten des Nationalsozialismus. Zumindest physisch. Ihr Leben nach dem Krieg war geprägt von Schicksalsschlägen, Depressionen und einer ständig präsenten Entwurzelung. Wo auch immer sie lebte, so geht es aus ihren Schriften hervor, hielt sie die gepackten Koffer bereit. Stets bereit zur Flucht. So wie ihr ging es Tausenden Jüdinnen und Juden. Die Nazis schlugen Wunden, die bis heute nicht geheilt sind. Und die, betrachtet man das aktuelle politische und gesellschaftliche Klima, erneut drohen, aufzureißen. Oder sind sie sogar bereits aufgerissen?
Ob nun Trump-Jünger oder Querdenker: Meist sind die am lautesten, die am wenigsten zu sagen haben. Doch so lange der Rest schweigt, werden es diese wenigen sein, die die Zukunft bestimmen.
Das ist die Zeit der Krähen.
Die Nachtigallen schweigen.
Es geht ein düstrer Reigen.
Die Schnitter mähen, mähen,
Und keiner kommt, zu säen.
Die Ausgabe 2/2021 des JOURNAL FRANKFURT – „Freiheit durch Widerstand? Frankfurter Autor:innen über Hass, Hetze und Mitläufertum“ – erscheint am 28. Januar 2021.
ein deutscher Emigrant: „Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht.
Mascha Kaléko schrieb diese Zeilen, während sie sich im Exil in den USA befand. Die ungarische Jüdin wurde 1907 in Galizien geboren. Bereits während des Ersten Weltkrieges floh ihre Familie aus Angst vor Verfolgung nach Deutschland. Zwischenzeitlich lebten sie in Frankfurt, dann in Marburg und zuletzt in Berlin. In den 20er- und frühen 30er-Jahren begeisterte Kaléko als Lyrikerin ein breites Publikum. Doch dann kamen die Nazis. Mascha Kalékos Schriften wurden verboten, 1938 emigrierte sie mit Mann und Kind in die USA. Zwar schrieb sie auch weiterhin, unter anderem für die jüdische Exil-Zeitung Aufbau, doch an den alten Erfolg konnte sie nie wieder anknüpfen. Heute ist ihre Kunst fast vergessen. Auch in Frankfurt erinnert sich wohl kaum noch jemand daran, dass hier die wichtigste weibliche Stimme der Neuen Sachlichkeit ihre Jugend verbrachte.
Mascha Kaléko überlebte die Grausamkeiten des Nationalsozialismus. Zumindest physisch. Ihr Leben nach dem Krieg war geprägt von Schicksalsschlägen, Depressionen und einer ständig präsenten Entwurzelung. Wo auch immer sie lebte, so geht es aus ihren Schriften hervor, hielt sie die gepackten Koffer bereit. Stets bereit zur Flucht. So wie ihr ging es Tausenden Jüdinnen und Juden. Die Nazis schlugen Wunden, die bis heute nicht geheilt sind. Und die, betrachtet man das aktuelle politische und gesellschaftliche Klima, erneut drohen, aufzureißen. Oder sind sie sogar bereits aufgerissen?
Ob nun Trump-Jünger oder Querdenker: Meist sind die am lautesten, die am wenigsten zu sagen haben. Doch so lange der Rest schweigt, werden es diese wenigen sein, die die Zukunft bestimmen.
Das ist die Zeit der Krähen.
Die Nachtigallen schweigen.
Es geht ein düstrer Reigen.
Die Schnitter mähen, mähen,
Und keiner kommt, zu säen.
Die Ausgabe 2/2021 des JOURNAL FRANKFURT – „Freiheit durch Widerstand? Frankfurter Autor:innen über Hass, Hetze und Mitläufertum“ – erscheint am 28. Januar 2021.
28. Januar 2021, 09.37 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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