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Demokratie gestalten

Wer entscheidet? Frankfurt soll ein Haus der Demokratie bekommen

Wie steht es um die Zukunft der Paulskirche? Über ein solches Haus darf nicht nur in Expertengremien debattiert und in Feuilletons gestritten werden. Die Bürgerinnen und Bürger sollten darüber entscheiden. Ein Gastbeitrag.
Um Demokratie wird gerungen. Was es heißt, in einer Demokratie zu leben, wie sie am besten zu verwirklichen ist und nicht zuletzt, sondern ganz alltäglich, wie eine Gesellschaft, die sich demokratischen Regeln unterwirft, zusammenleben will, ist immer schon strittig. Es ist geradezu das Definitionsmerkmal der Demokratie, dass es niemanden gibt, der diese Fragen autoritativ für alle beantworten kann. Der französische Philosoph Claude Lefort drückte das einst so aus: Der Ort der Macht, der zuvor von Gott oder dem König besetzt worden sei, bleibt in der Demokratie leer. Um ihn wird gekämpft, er wird regelmäßig besetzt werden, aber ebenso regelmäßig geräumt: In der Demokratie gibt es keine letzten Gewissheiten mehr, sondern die Freiheit, solche immer wieder neu zu schaffen und zu verwerfen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch über das Gedenken an Demokratie gerungen wird, denn auch dafür kann es in einer demokratischen Gesellschaft nicht den einen einzig richtigen Weg geben. Vielfältige Perspektiven auf Demokratie, ihre Ursprünge, ihre Leistungen und Schwächen konkurrieren und müssen miteinander vermittelt werden. Die Paulskirche steht wie kaum ein zweiter Ort für das Gedenken an die Ursprünge der deutschen Demokratie, den Frühparlamentarismus und die demokratischen Revolutionen und natürlich wird darum gerungen, wie dieses Gedenken angemessen zu gestalten ist. Das beginnt mit der baulichen Gestaltung der Paulskirche in der Frage, ob die nüchterne Nachkriegsgestaltung ihrer historischen Bedeutung gewachsen sei und verlagert sich momentan auf die Feierlichkeiten anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Paulskirchenversammlung im nächsten Jahr.

Debattiert wird etwa, ob und wie stark darin die historische Bedeutung dieses ersten deutschen Parlaments zur Geltung kommen solle. Manfred Köhler von der FAZ vermutete jüngst, dass das Netzwerk Paulskirche, das sich im vergangenen Jahr aufgemacht hat, die Feierlichkeiten aus zivilgesellschaftlicher Perspektive mitzugestalten, desinteressiert an der Geschichte des Parlamentarismus sei und man befürchten müsse, dass „die historische Leistung von 1848 auf die Größe einer Erbse (…) schrumpf(t)“, während „zeitgeistige Fragen und Utopien, wie sie in linken Diskursen eine Rolle spielen mögen“, zu dominieren drohen und damit, so die Interpretation, das demokratische Erbe verkennen.

Es wird gerungen um Demokratie und um das Gedenken an sie und das ist gut so, weil es die Debatte, die Demokratie auszeichnet aktualisiert und für die Gesellschaft greifbar macht. Auch eine Portion Polemik schadet überhaupt nicht, denn sie provoziert, über die eigene Position nachzudenken und sie einzubringen in die Debatte.

In der Gestaltung des Paulskirchenjubiläums reden schon viele mit, aber es sind viele, die ohnehin immer reden: ein Expertenrat von Bund, Land und Stadt bestückt, verschiedentliche wissenschaftliche Studien und Abhandlungen über ein Haus der Demokratie, das der Pauskirche an die Seite gestellt werden soll und Intellektuelle in den Feuilletons. Wenn wir uns aber darauf einigen können, dass es nicht die eine richtige Antwort auf Demokratie gibt, dann müssen diejenigen in die Debatte geholt werden, um die es in der Demokratie geht: Alle! Das Haus der Demokratie soll das leisten: Es soll ein Haus werden für alle, für alle Frankfurterinnen und Frankfurter, egal ob sie die Geschichte der Paulskirchenversammlung als Teil ihrer Geschichte empfinden oder nicht, und für alle anderen, die sich mit der Geschichte der Demokratie, ihrer Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen wollen, d.h. Fragen haben, aber auch Antworten testen und Neues probieren wollen.

Im Haus der Demokratie soll Demokratie unmittelbar und mit allen Sinnen erlebbar werden. Dem Verlust an Vertrauen gegenüber den Institutionen, Verfahren und Praktiken der realen Demokratie, den Umfragestudien seit geraumer Zeit dokumentieren, soll praktische Erfahrung gegenübergestellt werden. Idealiter über die Zusammenarbeit der Kultur- und Bildungsstätten, der zivilgesellschaftlichen Initiativen und öffentlichen Organe soll die Bedeutung von Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft, von der Kunst bis zur Wirtschaft, vermittelt werden, soll über ihre Zukunft nachgedacht und sie ausprobiert werden können.

Nichts davon funktioniert, ohne den Blick in die Geschichte zu werfen, ohne zu lernen aus den Erfahrungen, die vergangene Generationen und Bewegungen mit Demokratie gemacht haben. Wie sie gerungen haben, wo sie gescheitert sind und wo sie erfolgreich waren. Aber es gilt auch: Nichts davon fruchtet, wenn der Blick sich nicht aus der Geschichte auf die Gegenwart und Zukunft richtet und auf das neue Unbekannte, das dort wartet. Die Demokratie, die wir heute kennen, hat kaum mehr etwas mit der Demokratie der Antike zu tun. Die beiden politischen Theoretiker Hubertus Buchstein und Dirk Jörke argumentieren daher, dass der Begriff der Demokratie im Gegensatz zu anderen politischen Begriffen heute noch so wirkmächtig sei, gerade weil seine Bedeutung immer schon so heftig umstritten war.

Im Streit eröffnen sich neue Perspektiven auf Demokratie, eignen sich Menschen aber demokratische Normen und Werte auch an. Sie schreiben sich gleichsam in sie hinein. Um das zu erreichen, muss auch das Haus der Demokratie nicht nur allen offen stehen, sondern es müssen sich auch alle hineinschreiben dürfen. Aus diesem Grund sollte auch über das Haus der Demokratie nicht nur in Expertengremien debattiert und in Feuilletons gestritten werden, sondern die Bürgerinnen und Bürger sollten darüber entscheiden, wie ihr Haus der Demokratie aussehen sollte, denn für sie ist es gemacht.

Wenn die Stadt eine solche schon begrifflich merkwürdig anmutende „Bürgerbeteiligung“ auf den Weg bringt, ist zu hoffen, dass sie sie nicht exklusiv versteht als Angelegenheit einiger weniger Ausgeloster, die sich in Konferenzsälen über Monate über Pläne beugen und dann ein Urteil abgeben. Sondern dass sie einen dynamischen Prozess vorsieht, der zu den Bürgerinnen und Bürgern in ihren lebensweltlichen Nischen kommt, der sie einlädt zu kommentieren und zu initiieren, so dass am Ende ein lebendiger Streit, vielfältige Perspektiven und daraus ein echtes Haus der Demokratie in Frankfurt, aber für alle entsteht.

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Zur Autorin: Nicole Deitelhoff ist Professorin für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und leitet das Leibniz-Institut hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Außerdem ist sie Sprecherin des Forschungsinstituts gesellschafltlicher Zusammenhalt und moderiert gemeinsam mit Michel Friedman regelmäßig den StreitClub im English Theatre. 2021 hat Nicole Deitelhoff eine Konzeptstudie für das Haus der
Demokratie erstellt.
 
Fotogalerie:
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23. August 2022, 11.18 Uhr
Nicole Deitelhoff
 
 
 
 
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