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OB-Kandidaten im Gespräch

Janine Wissler: "Boris Rhein hat ein Glaubwürdigkeitsproblem"

Die Landtagsabgeordnete und Kandidatin der Linken bei der Oberbürgermeisterwahl, Janine Wissler, im Gespräch über die Aufhebung ihrer Immunität, den Flughafenausbau und ihre Konkurrenten Feldmann und Rhein.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Wissler, Ihr Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters wird durch Querelen im Landtag überschattet. Ihre Immunität wurde aufgehoben. Was sagen Sie dazu?
Janine Wissler: Wir halten das für ein verheerendes politisches Signal. Ganz Deutschland redet über eine Nazi-Bande, die jahrelang mordend durch die Republik zieht und dann sollen werden diejenigen, die sich Neonazis in den Weg stellen, strafrechtlich verfolgt. Absurder geht es gar nicht. Deshalb werden wir uns auch in diesem Jahr wieder an Ani-Nazi-Protesten beteiligen. Wir dürfen den Nazis nicht die Straße überlassen. Der Prozess gegen uns ist ein Schlag in das Gesicht der Opfer von rechter Gewalt. Da waren Zehntausende auf der Demonstration und vier Linke werden angeklagt. Warum? Und vor eben solcher Willkür soll die Immunität eigentlich schützen.

Wollen Sie dagegen vorgehen?
Im Moment sieht es so aus, dass wir uns dem Prozess stellen müssen. Wir sind uns keiner Schuld bewusst und sind der Meinung, dass es die Pflicht eines jeden Demokraten ist, sich den Nazis in den Weg zu stellen. Das ist auch ein Thema im Wahlkampf. Wir wollen eine weltoffene, multikulturelle Stadt mit Platz für 180 Nationalitäten. Eine Stadt, in der Nazis keinen Platz haben.

Bleiben wir bei der Wahl. Warum wollen Sie Frankfurts neues Stadtoberhaupt werden?
Ich bin der Meinung, dass die schwarz-grüne Stadtregierung keine Antworten auf die drängenden sozialen Probleme der Stadt hat. Sie setzen auf Privatisierung, sie setzen auf Steuergeschenke an Unternehmen. Ich möchte eine wählbare Alternative sein. Es gibt eine Menge drängender Probleme. Deshalb lautet mein Leitmotto: Menschen vor Profite. Das möchte ich auf alle Themen herunterbrechen.

Und was sind Ihre Themen?
Das übergeordnete Thema ist soziale Gerechtigkeit. Wir leben in einer sehr reichen Stadt, aber im Schatten der Bankentürme leben immer mehr Menschen in Armut. Wir wollen, dass alle Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Das ist in einer teuren Stadt wie Frankfurt nicht so einfach, weil beispielsweise die Fahrpreise viel zu teuer sind. Deshalb fordern wir Mobilität für alle einhergehend mit einer Halbierung der Fahrpreise. Wir wollen, dass alle Menschen einen Zugang zu Bildung und Kultur haben – und zwar einen wohnortnahen Zugang. Außerdem ist uns bezahlbarer Wohnraum wichtig. Wir haben immer mehr Bürotürme und luxuriösen Wohnraum, aber die Menschen werden teilweise aus ihren Stadtvierteln verdrängt, weil die Mieterhöhungen kaum bezahlbar sind. Und das dritte große Thema ist für mich der Flughafen. Da sagen wir ganz klar, dass man an der Lärmquelle ansetzen und die Landebahn stilllegen muss. Alles andere würde auf eine Umsiedlung von Zehntausenden Menschen hinauslaufen.

Aber mal ehrlich: Ist es realistisch, die neue Landebahn wieder stillzulegen?
Die Frage lautet aber doch: Was ist die Alternative? Die Antwort: Umsiedlung. Denn die Menschen verlieren ihre Lebensqualität. Sie können ihre Fenster nicht mehr öffnen, Gärten nicht nutzen. Und die Kapazitäten der neuen Landebahn sind noch lange nicht ausgeschöpft. Angesichts der Situation – selbst der hessische Wirtschaftsminister sagt, dass er mit dieser Lärmbelastung nicht gerechnet hätte – gibt es nur eine Lösung und die lautet: Stilllegung. Unabhängig von der Lärm- und Schadstofffrage ist es auch verrückt, einen Flughafen in einer so dicht besiedelten Region immer weiter wachsen zu lassen. Lärm ist das eine, Schadstoffe sind das andere. Das Vogelschlagrisiko darf man aber auch nicht vergessen. Es gibt ja größte Sicherheitsbedenken gegen die neuen Flugrouten. Ein Flugzeugabsturz in einem so dicht besiedelten Gebiet wäre eine Katastrophe. Deshalb können die Gewinne von Fraport und Lufthansa nicht über der gesundheitlichen Unversehrtheit der Menschen stehen. Das ist eine Entscheidung, die politisch getroffen wurde, deshalb muss diese verheerende Entscheidung auch politisch wieder rückgängig gemacht werden.

Armut, bezahlbarer Wohnraum: Ihre Themen klingen sehr nach Peter Feldmann.
Es ist umgekehrt. Die Themen von Herr Feldmann hören sich nach unseren an. Das Problem ist, dass Herr Feldmann stets über Kinderarmut klagt. Kinderarmut ist schrecklich. Aber wo kommt die denn her? Arme Eltern, arme Kinder. Kinderarmut ist ein Resultat von sinkenden Löhnen, sinkenden Sozialleistungen. Seine Partei trägt doch die Verantwortung dafür. Immerhin hat die rot-grüne Bundesregierung Hartz IV eingeführt, die Niedriglohnsektor ausgeweitet. Man kann nicht über Kinderarmut reden und über die Armut der Eltern schweigen. Wir sind die einzigen, die auch die Frage Umverteilung auf die Tagesordnung setzen. Es reicht nicht über Armut zu jammern, man muss auch über Reichtum reden und den gibt es in dieser Stadt zuhauf. Wir wollen gut bezahlte Arbeit, Leiharbeit und Niedriglohn bekämpfen. Wir wollen Reichtum umverteilen.

Wie stehen Sie zu den anderen Kandidaten? Fangen wir mit Ihrem Landtagskollegen Boris Rhein an.
Ich halte ihn für wenig glaubwürdig, weil er in Frankfurt antritt, um Probleme zu lösen, die er als Mitglied der Landesregierung mit geschaffen hat. Viele Millionen sind der Stadt Frankfurt entgangen wegen falschen Entscheidungen der Landesregierung, der Herr Rhein angehört. Dasselbe gilt für das Nachtflugverbot. Die Landesregierung, der er angehört, klagt dagegen. Herr Rhein möchte mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, aber seine Regierung ist es, die über die Privatisierung der Nassauischen Heimstätte redet. Da gibt es einfach ein Glaubwürdigkeitsproblem. Er tut so, als gäbe es einen Wiesbadener und einen Frankfurter Rhein.

Ist Rosemarie Heilig von den Grünen auch unglaubwürdig?
Zu ihr kann ich nichts sagen. Ich kenne sie kaum. Ich kann nur sagen: In der Flughafen-Debatte war den Grünen im Römer die Koalition in Frankfurt immer wichtiger als gegen den Flughafenausbau zu kämpfen. Sie sind einfach Teil der schwarz-grünen Stadtregierung.

Die Fußstapfen, die Oberbürgermeisterin Petra Roth nach 16 Jahren in Frankfurt hinterlässt, sind sehr groß. Können Sie diese ausfüllen?
Das will ich gar nicht. Ich würde nicht in ihre Fußstapfen treten, sondern in die andere Richtung laufen. Von daher würden ihre Fußstapfen gar nicht auf meinem Weg liegen.

Was wollen Sie anders machen?
Die grundsätzliche Frage ist doch, was wir für eine Stadt wollen. Wollen wir eine Stadt, die man letztlich wie einen Konzern führt, so wie Frau Roth es getan hat? In unserer Stadt gibt es zwar gute Bedingungen für Banken und Konzerne, aber die soziale Schieflage nimmt immer stärker zu. Oder wollen wir eine Stadt, in der die Menschen an aller erster Stelle stehen? Wollen wir einen Flughafen, der immer weitere Teile der Stadt verlärmt oder stehen die Menschen an erster Stelle? Momentan bewegt sich Frankfurt in eine Richtung, wo immer mehr Menschen an den Rand gedrängt werden. Sowohl geografisch, weil sie sich die Innenstadtmieten nicht mehr leisten können, als auch gesellschaftlich. Für einen überflüssigen Altstadtumbau ist Geld da, aber keine 80000 Euro, um die Stadtteilbibliothek im Riederwald zu finanzieren. Ein Armutszeugnis, denn gerade dort leben einkommensschwache Familien. Die Kinder können sich dort nicht jedes Buch kaufen.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen am 11. März ein?
Mein Ziel ist es einfach, so viel wie möglich Stimmen zu holen. Wir haben uns auf kein konkretes Prozentziel festgelegt.

Und wer kommt in die Stichwahl?
Wir kämpfen jetzt erst einmal um die Wähler am 11. März und alles was danach kommt, wird sich zeigen. Aber wäre ich davon überzeugt, dass irgendein Kandidat der anderen Parteien ein guter Frankfurter Oberbürgermeister wäre, würde ich nicht antreten.
 
Fotogalerie:
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28. Februar 2012, 11.08 Uhr
Interview: Julia Lorenz
 
 
 
 
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Welche politischen Themen haben die Menschen in Frankfurt 2024 bewegt? Was wird die Stadt auch im kommenden Jahr noch beschäftigen? Das lesen Sie im JOURNAL-Rückblick.
Text: Florian Aupor / Foto: Rund 4000 Menschen protestierten im September gegen den geplanten A5-Ausbau © Bernd Kammerer
 
 
 
 
 
 
 
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