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Marcel Beyers Poetikvorlesung
Kullertränen Adornos
Am heutigen Dienstagabend geht die Poetikvorlesung von Marcel Beyer in die zweite Runde. In der ersten Lesung wurden die unterschiedlichsten Fäden zu einer Geschichte gesponnen.
Mit pompösen Pauken und Trompeten läutete der Schriftsteller und Lyriker Marcel Beyer vor einer Woche seine erste Poetikvorlesung an der Goethe-Universität ein. Ein Auftakt voller Euphorie. Beyer startete erst einmal mit einer Anekdote, um „runterzukommen“. Eine Anekdote darüber, wie euphorisch er beim Schreiben der Vorlesung und der Vorstellung sie zu halten gewesen sei - so euphorisch, dass er beim Friseur eingeschlafen sei.
So stimmte er seine Hörer mit Humor auf die "folgenden 43 bis 48 Minuten" ein. Das Thema der Poetikvorlesung „Das blinde (blindgeweinte) Jahrhundert“ stammt aus seiner Zeit, als er Friederike Mayröcker dabei half, das Mayröcker-Archiv in Wien einzurichten. Unter dem zu archivierenden Material befanden sich Notizen von Mayröcker, die sie für den Fall angefertigt hatte, einmal die Frankfurter Poetikdozentur zu halten. Der Titel der Vorlesung ist angelehnt an einen Brief, den Mayröcker einst an Beyer schickte. In dem Brief habe nur ein Satz gestanden – ein Zitat von Jacques Derrida: „Wollen Sie mit mir über Tränen sprechen?“
So erörtert Marcel Beyer in den fünf Vorlesungen, wie es denn funktionieren könnte, über Tränen zu sprechen. Tränen zu vergießen sei heute anders besetzt, als in der Zeit, in der aufgewachsen sei. Jede Vorlesung soll in der Form anders sein, bestimmte Motive, Schauplätze und Figuren sollen aber wiederkehren.
In seiner ersten Vorlesung war der Hauptschauplatz die Goethe-Universität selbst, Protagonist Theodor Wiesengrund Adorno. Auch eine nicht unwesentliche Rolle spielten dabei die Studentinnen, die ihm vor versammelter Öffentlichkeit ihre Brüste entblößten – drei macbeth'sche junge Hexen. Nelken, Lederjacken, Aktentaschen und eine Deutschlandfahne seien Motive, die einem italienischen Naziporno entsprächen. Sie werden höchstwahrscheinlich auch in den kommenden Vorlesungen wieder auftauchen. Adorno, als ein Mann, der von Frauen belästigt wird – eine komische Assoziation dieser Tage. Doch vielmehr geht es bei dieser Anekdote um die Reaktion Adornos. Von Tränen, die ihm die Wangen hinunterkullerten, bis Kullertränen, die ihm aus den Augen tropften will ein "Zeitzeuge" alles beobachtet haben. Dieser "Zeitzeuge" wird zwar namentlich nicht genannt, aber den meisten Zuhörern ist klar, dass es sich dabei um Guido Knopp handelt. So flechtet Beyer gleich noch einen Abgesang an das Fernsehen und sein Infotainment mit ein.
Doch sind das längst nicht alle Figuren, die auftreten. Auch Walter Benjamin, Heidi Klum, Heinrich von Kleist, Arnold Schwarzenegger, Franz Kafka, Heintje, die Beatles und Meryl Streep lässt er von Tränen erzählen.
Am heutigen Dienstag findet die nächste Vorlesung im Audimax der Goethe-Universität statt. Man darf gespannt sein, wie er diesmal seine Zuhörer in die Fäden seiner Geschichte verwickelt - und sich glücklich schätzen, dass er seine Vorlesung nicht musikalisch untermalt, wie zum Beispiel sein Vorgänger Clemens Mayer. Denn "die kleine Abschiedsträne die vergess' ich niemals mehr", so sang Heintje.
Sehenswert ist auch die begleitende Ausstellung im Fenster zur Stadt im Restaurant Margarete. Bei einem Essen, bei Kaffee, Wein oder Bier kann man in die Hintergründe des Schaffens von Marcel Beyer eintauchen und „Lyrik als Bückware“ bestaunen.
>> Termine: 19., 26. Januar, 2., 9. Februar 2016, Campus Westend, Hörsaalzentrum, Audimax (HZ1&2), Beginn jeweils um 18.00 Uhr, Einlass ab 17.30 Uhr, Eintritt frei. Die Abschlusslesung findet im Literaturhaus Frankfurt statt am 10. Februar 2016 ab 19:30 Uhr.
>> Die Begleitausstellung ist im Fenster zur Stadt im Margarete Restaurant zu sehen (Braubachstraße 18, Frankfurt am Main).
So stimmte er seine Hörer mit Humor auf die "folgenden 43 bis 48 Minuten" ein. Das Thema der Poetikvorlesung „Das blinde (blindgeweinte) Jahrhundert“ stammt aus seiner Zeit, als er Friederike Mayröcker dabei half, das Mayröcker-Archiv in Wien einzurichten. Unter dem zu archivierenden Material befanden sich Notizen von Mayröcker, die sie für den Fall angefertigt hatte, einmal die Frankfurter Poetikdozentur zu halten. Der Titel der Vorlesung ist angelehnt an einen Brief, den Mayröcker einst an Beyer schickte. In dem Brief habe nur ein Satz gestanden – ein Zitat von Jacques Derrida: „Wollen Sie mit mir über Tränen sprechen?“
So erörtert Marcel Beyer in den fünf Vorlesungen, wie es denn funktionieren könnte, über Tränen zu sprechen. Tränen zu vergießen sei heute anders besetzt, als in der Zeit, in der aufgewachsen sei. Jede Vorlesung soll in der Form anders sein, bestimmte Motive, Schauplätze und Figuren sollen aber wiederkehren.
In seiner ersten Vorlesung war der Hauptschauplatz die Goethe-Universität selbst, Protagonist Theodor Wiesengrund Adorno. Auch eine nicht unwesentliche Rolle spielten dabei die Studentinnen, die ihm vor versammelter Öffentlichkeit ihre Brüste entblößten – drei macbeth'sche junge Hexen. Nelken, Lederjacken, Aktentaschen und eine Deutschlandfahne seien Motive, die einem italienischen Naziporno entsprächen. Sie werden höchstwahrscheinlich auch in den kommenden Vorlesungen wieder auftauchen. Adorno, als ein Mann, der von Frauen belästigt wird – eine komische Assoziation dieser Tage. Doch vielmehr geht es bei dieser Anekdote um die Reaktion Adornos. Von Tränen, die ihm die Wangen hinunterkullerten, bis Kullertränen, die ihm aus den Augen tropften will ein "Zeitzeuge" alles beobachtet haben. Dieser "Zeitzeuge" wird zwar namentlich nicht genannt, aber den meisten Zuhörern ist klar, dass es sich dabei um Guido Knopp handelt. So flechtet Beyer gleich noch einen Abgesang an das Fernsehen und sein Infotainment mit ein.
Doch sind das längst nicht alle Figuren, die auftreten. Auch Walter Benjamin, Heidi Klum, Heinrich von Kleist, Arnold Schwarzenegger, Franz Kafka, Heintje, die Beatles und Meryl Streep lässt er von Tränen erzählen.
Am heutigen Dienstag findet die nächste Vorlesung im Audimax der Goethe-Universität statt. Man darf gespannt sein, wie er diesmal seine Zuhörer in die Fäden seiner Geschichte verwickelt - und sich glücklich schätzen, dass er seine Vorlesung nicht musikalisch untermalt, wie zum Beispiel sein Vorgänger Clemens Mayer. Denn "die kleine Abschiedsträne die vergess' ich niemals mehr", so sang Heintje.
Sehenswert ist auch die begleitende Ausstellung im Fenster zur Stadt im Restaurant Margarete. Bei einem Essen, bei Kaffee, Wein oder Bier kann man in die Hintergründe des Schaffens von Marcel Beyer eintauchen und „Lyrik als Bückware“ bestaunen.
>> Termine: 19., 26. Januar, 2., 9. Februar 2016, Campus Westend, Hörsaalzentrum, Audimax (HZ1&2), Beginn jeweils um 18.00 Uhr, Einlass ab 17.30 Uhr, Eintritt frei. Die Abschlusslesung findet im Literaturhaus Frankfurt statt am 10. Februar 2016 ab 19:30 Uhr.
>> Die Begleitausstellung ist im Fenster zur Stadt im Margarete Restaurant zu sehen (Braubachstraße 18, Frankfurt am Main).
19. Januar 2016, 11.15 Uhr
Tamara Marszalkowski
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