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Frankfurter Literaturpapst

Marcel Reich-Ranicki ist tot

93 Jahre wurde er alt: Am Mittwoch, 18. September, ist Marcel Reich-Ranicki in Frankfurt gestorben. Der Publizist und Literaturkritiker prägte über Jahrzehnte das intellektuelle Leben der Republik.
Ein Bestseller waren seine Memoiren unter dem Titel "Mein Leben" - 1999 erschienen sie, zehn Jahre später wurden sie als Fernsehspiel vom Westdeutschen Rundfunk verfilmt - mit Matthias Schweighöfer in der Rolle des Marcel. Auch dies wieder: Ein weithin beachteter Hingucker. Sein Leben, seine Biographie umspannte die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, Reich-Ranicki prägte mit seinen Erinnerungen auch die Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Breiteren Bevölkerungsschichten wurde er mit der Fernsehsendung "Das literarische Quartett" bekannt.

Geboren wurde Reich-Ranicki am 2. Juni 1920 in Włocławek an der Weichsel. Der Sohn eines polnisch-deutschen Ehepaars jüdischer Konfession ging 1929 mit seinen Eltern nach Berlin. 1938 wurde er nach Polen ausgewiesen, dort lernte er auch seine spätere Frau Teofila kennen. 1940 wurde er ins Warschauer Ghetto umgesiedelt, arbeitete im von den Deutschen eingesetzten Ältestenrat als Übersetzer und verfasste Rezensionen für die Zeitung des Ghettos. Den später einsetzenden Deportationen konnte das Paar nur mit viel Glück entgehen. Nach dem Krieg blieben er und seine Frau zunächst in Polen, arbeitete anfangs bei der Geheimpolizei der Kommunisten, geriet später ins Gefängnis. In den 50er-Jahren arbeitete er als Lektor eines polnisches Verlags und als freier Schriftsteller, wobei er unter einem Publikationsverbot durch die Behörden zu leiden hatte. Im Juli 1958 unternahm er eine Studienreise nach Deutschland und blieb in Frankfurt. Frau und Sohn kamen nach.

Reich-Ranicki begann seine journalistische Laufbahn in Deutschland im August 1958 als Literaturkritiker für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die ihm aber nur ein Jahr später die Zusammenarbeit wieder kündigte. Vielleicht, so mutmaßte Reich-Ranicki in seiner Biografie "Mein Leben", weil er kurz zuvor eine Portrait-Reihe in der "Welt" veröffentlichte, die sich Autoren aus der DDR widmete, was bei dem konservativen Medium einigen unangenehm aufstieß. Vielleicht aber auch deshalb, weil es bei der FAZ nicht gut gelitten war, dass der "Neuankömmling" neben der FAZ noch für die "Welt" schrieb und den Norddeutschen Rundfunk arbeitete. Traurig war Reich-Ranicki über die doch unerwartete Kündigung aber nicht gerade. "Ich paßte nicht in die 'Frankfurter Allgemeine', wie sie damals war. Ich hatte nichts übrig für die betont konservative und steif-würdevolle Haltung dieses Blattes", schrieb er in "Mein Leben". Jahre später zog es den Literaturkritiker dann aber doch wieder zur FAZ. Und blieb bis zu seinem Tod untrennbar mit ihr verbunden.

Marcel Reich-Ranicki begründete die Gedichtsammlung "Frankfurter Anthologie". Auch galt er als Erfinder des Ingeborg-Bachmann-Preises, der 1977 zum ersten Mal verliehen wurde. In den Fokus der breiten Öffentlichkeit geriet er von 1988 an, seine Sendung "Das literarische Quartett" lief bis 2001 und widmete sich Buch-Neuerscheinungen. Ältere Semester erinnern sich aber vielleicht noch an die Funkserie das "Literarische Kaffeehaus", die 1964 begann und ebenfalls teilweise im Fernsehen gezeigt wurde. Die Schlussworte einer jeden Sendung übernahm er rund 25 Jahre später auch beim literarischen Quartett: Wir "sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen" stammt ursprünglich aus Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan".

Marcel Reich-Ranicki erhielt mehrere Auszeichungen ob seiner Verdienste um die Literatur. Darunter waren etwa der Thomas-Mann-Preis (1987), der Goethepreis der Stadt Frankfurt (2002) und das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland (2003). Im Jahr 2010 erhielt er in der Frankfurter Paulskirche den Börnepreis, Laudator war Thomas Gottschalk. Der TV-Moderator und der Literaturkritiker waren 2008 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises aneinander gerasselt, bei dem der Literat in legendären Worten das Gegenwartsfernsehen gegeißelt hatte – und den Preis wutschäumend ablehnte.

Reich-Ranicki lebte im Dornbusch. Im März dieses Jahres machte er seine Krebserkrankung öffentlich. Seine Frau Teofila Reich-Ranicki war im April 2011 im Alter von 91 Jahren gestorben.

Nachrufe auf Marcel Reich-Ranicki aus der Frankfurter Politik und Kulturszene finden Sie hier.
 
Fotogalerie:
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18. September 2013, 16.36 Uhr
ges/nil
 
 
 
 
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