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Abschied von einem Freund
Erinnerungen an Jean-Christophe Ammann
Unsere Kunstredakteurin Ronja Merkel erinnert sich an ihre Begegnungen mit Jean-Christophe Ammann – und beschließt, ihr Glas zu erheben auf einen Menschen, der sie auch weiter begleiten wird.
Wenn ein Mensch stirbt, suchen wir oft verzweifelt nach Worten, um den Hinterbliebenen unser Beileid zu bekunden. Wir schicken Karten und Kränze und hoffen, Trost spenden zu können, obwohl wir doch wissen, dass es keine Worte und keine Gesten auf dieser Welt gibt, die den Verlust eines geliebten Menschen erträglicher machen können.
Ich stehe zwischen halb gepackten Umzugskartons und Bergen aus Papiermüll, vor wenigen Minuten habe ich die offizielle Zusage für den Kunstgeschichts-Master von meiner Wunschuniversität erhalten, als mein Chefredakteur mich anruft und mir mit ruhiger Stimme erklärt, Jean-Christophe Ammann sei gestorben. Und plötzlich steht die Welt still.
Jean-Christophe Ammann, der mir einmal sagte, ich hätte einen sehr quadratischen Schädel und der mir selbstgebastelte Postkarten schickte, hat uns verlassen und nun ringe ich selbst mit Worten, um diesen Verlust zu beschreiben, ihm seinen Schrecken zu nehmen und die Welt wieder in ihre geordneten Bahnen zurückzuschieben. Wir kannten uns noch nicht lange, erst knappe eineinhalb Jahre, doch diese kurze Zeit, in der wir mehr schriftlich als von Angesicht zu Angesicht kommunizierten, hat ausgereicht, diesem famosen Herrn einen festen Platz in meinem Herzen zu sichern.
Wie soll ich diesen Kloß in meinem Hals und die vielen Tränen, die ich nach dem Anruf vergieße, erklären? Was soll ich schreiben, um einen der wichtigsten Kunsthistoriker unserer Zeit zu würdigen? Auch mein Vokabular ist begrenzt, die Liste der positiven Dinge, die sich über Jean-Christophe Ammann sagen lassen, jedoch unendlich, so scheint es mir. Eineinhalb Jahre sind eine zu kurze Zeit, um einen Menschen, der dreimal so alt ist wie man selbst, wirklich gut kennenzulernen, doch beim Durchgehen der Briefe und Karten, die er mir schrieb, fallen mir viele, kleine Momente ein, die für einen Außenstehenden nicht von Bedeutung sein werden, mir jedoch wie eine kleine Schatztruhe in diesem Moment der Trauer erscheinen.
Jeder von uns bewahrt in seinem Herzen eine kleine Schatulle, die er nach Belieben öffnen und schließen kann, um sich dann und wann zu erinnern. Ich erinnere mich an die vielen Anekdoten, die Jean-Christophe erzählte, als wir einmal gemeinsam das MMK besuchten. Ich erinnere mich, wie er dort jeden Mitarbeiter persönlich begrüßte und mit einem Handwerker in farbverschmiertem Blaumann ein Schwätzchen über die Familie hielt. Jeder dort kannte ihn und freute sich, ihn zu sehen. Nach all den Jahren war das MMK noch immer "sein" Haus. Ich erinnere mich, dass er witzig war und intelligent, keine seiner Geschichten war langweilig, keine seiner Gesten affektiert und niemals verlor er seinen Charme. Ich erinnere mich, dass er mich siezte, mich aber ausschließlich beim Vornamen nannte, weil er den Klang so schön fand.
Von unserer ersten Begegnung an habe ich zu Jean-Christophe aufgesehen, zuvor war er eine verschwommene Figur in meinen Studienbüchern, ein Name, den man immer wieder las und hörte, ohne weiter über ihn nachzudenken. Das erste Mal traf ich ihn bei einer Vernissage im 1822-Forum. Er war umringt von Menschen, die seine Meinung zu allem Möglichen hören wollten. Als ich ihn fragte, ob wir für das Journal Frankfurt ein kurzes Gespräch führen und ein paar Fotos machen könnten, küsste er mir zur Antwort die Hand, reichte er mir ein Glas Rotwein und stopfte sich eine Pfeife. Da wusste ich, dass ich ihn mag.
"Er [der Mensch] will sich an das, was er gesehen hat, erinnern. Erinnern meint hier etwas, was in die Sinne sickert, sich zu einem Bild verdichtet. Einem Bild, das in der Lage ist, ihn auf dem Weg zu begleiten", so steht es im Vorwort seines Buches "Kunst? Ja, Kunst!". Das Bild Jean-Christophe Ammanns wird mich stets auf meinem Weg begleiten. Er hat mich als Mensch und als Kunsthistorikerin geprägt, wie kaum eine andere Person und deshalb folgt auf die Tränen um seinen Abschied der Entschluss, lieber sein Leben zu feiern. Jean-Christophe, heute stoße ich mit einem Glas Rotwein auf Sie an und bin dankbar, dass ich Sie kennenlernen durfte. Ruhen Sie in Frieden, mein Freund.
Ich stehe zwischen halb gepackten Umzugskartons und Bergen aus Papiermüll, vor wenigen Minuten habe ich die offizielle Zusage für den Kunstgeschichts-Master von meiner Wunschuniversität erhalten, als mein Chefredakteur mich anruft und mir mit ruhiger Stimme erklärt, Jean-Christophe Ammann sei gestorben. Und plötzlich steht die Welt still.
Jean-Christophe Ammann, der mir einmal sagte, ich hätte einen sehr quadratischen Schädel und der mir selbstgebastelte Postkarten schickte, hat uns verlassen und nun ringe ich selbst mit Worten, um diesen Verlust zu beschreiben, ihm seinen Schrecken zu nehmen und die Welt wieder in ihre geordneten Bahnen zurückzuschieben. Wir kannten uns noch nicht lange, erst knappe eineinhalb Jahre, doch diese kurze Zeit, in der wir mehr schriftlich als von Angesicht zu Angesicht kommunizierten, hat ausgereicht, diesem famosen Herrn einen festen Platz in meinem Herzen zu sichern.
Wie soll ich diesen Kloß in meinem Hals und die vielen Tränen, die ich nach dem Anruf vergieße, erklären? Was soll ich schreiben, um einen der wichtigsten Kunsthistoriker unserer Zeit zu würdigen? Auch mein Vokabular ist begrenzt, die Liste der positiven Dinge, die sich über Jean-Christophe Ammann sagen lassen, jedoch unendlich, so scheint es mir. Eineinhalb Jahre sind eine zu kurze Zeit, um einen Menschen, der dreimal so alt ist wie man selbst, wirklich gut kennenzulernen, doch beim Durchgehen der Briefe und Karten, die er mir schrieb, fallen mir viele, kleine Momente ein, die für einen Außenstehenden nicht von Bedeutung sein werden, mir jedoch wie eine kleine Schatztruhe in diesem Moment der Trauer erscheinen.
Jeder von uns bewahrt in seinem Herzen eine kleine Schatulle, die er nach Belieben öffnen und schließen kann, um sich dann und wann zu erinnern. Ich erinnere mich an die vielen Anekdoten, die Jean-Christophe erzählte, als wir einmal gemeinsam das MMK besuchten. Ich erinnere mich, wie er dort jeden Mitarbeiter persönlich begrüßte und mit einem Handwerker in farbverschmiertem Blaumann ein Schwätzchen über die Familie hielt. Jeder dort kannte ihn und freute sich, ihn zu sehen. Nach all den Jahren war das MMK noch immer "sein" Haus. Ich erinnere mich, dass er witzig war und intelligent, keine seiner Geschichten war langweilig, keine seiner Gesten affektiert und niemals verlor er seinen Charme. Ich erinnere mich, dass er mich siezte, mich aber ausschließlich beim Vornamen nannte, weil er den Klang so schön fand.
Von unserer ersten Begegnung an habe ich zu Jean-Christophe aufgesehen, zuvor war er eine verschwommene Figur in meinen Studienbüchern, ein Name, den man immer wieder las und hörte, ohne weiter über ihn nachzudenken. Das erste Mal traf ich ihn bei einer Vernissage im 1822-Forum. Er war umringt von Menschen, die seine Meinung zu allem Möglichen hören wollten. Als ich ihn fragte, ob wir für das Journal Frankfurt ein kurzes Gespräch führen und ein paar Fotos machen könnten, küsste er mir zur Antwort die Hand, reichte er mir ein Glas Rotwein und stopfte sich eine Pfeife. Da wusste ich, dass ich ihn mag.
"Er [der Mensch] will sich an das, was er gesehen hat, erinnern. Erinnern meint hier etwas, was in die Sinne sickert, sich zu einem Bild verdichtet. Einem Bild, das in der Lage ist, ihn auf dem Weg zu begleiten", so steht es im Vorwort seines Buches "Kunst? Ja, Kunst!". Das Bild Jean-Christophe Ammanns wird mich stets auf meinem Weg begleiten. Er hat mich als Mensch und als Kunsthistorikerin geprägt, wie kaum eine andere Person und deshalb folgt auf die Tränen um seinen Abschied der Entschluss, lieber sein Leben zu feiern. Jean-Christophe, heute stoße ich mit einem Glas Rotwein auf Sie an und bin dankbar, dass ich Sie kennenlernen durfte. Ruhen Sie in Frieden, mein Freund.
18. September 2015, 19.56 Uhr
Ronja Merkel
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. Mehr von Ronja
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